Olga Boznańska. Krakau – München – Paris
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Als Boznańska in München eintrifft, betreibt dort neben Brandt inzwischen Wierusz-Kowalski (1849-1915) ein eigenes Atelier, der 1874 über Dresden und Prag nach München gekommen ist. An ihn hat Boznańska Empfehlungsschreiben dabei und offenbar ist er ihr in der Eingewöhnungsphase behilflich.[5] Auch zu Brandt hat Boznańskas Vater im Vorwege Kontakt aufgenommen.[6] Weiterhin sind zahlreiche polnische Studenten an der Münchner Kunstakademie immatrikuliert: Seit 1884/85 studiert Stanisław Dębicki dort und an der Privatschule von Paul Nauen. Ab 1885 lernen an der Akademie unter anderem Zdzisław Piotr Jasiński, Zygmunt Ajdukiewicz und Feliks Cichocki Nałęcz, ab 1886 Wincenty Trojanowski, ab 1887 Stanisław Batowski-Kaczor, ab 1888 Stanisław Fabijański und Władysław Karol Szerner.[7] Brandt und Wierusz-Kowalski nehmen an allen wichtigen Münchner Ausstellungen teil. Brandt ist seit 1878, Wierusz-Kowalski wird 1890 Honorarprofessor an der Akademie. Beide werden mit höchsten bayerischen Orden ausgezeichnet. Zahlreiche junge Polen haben wie Brandt bei dem Schlachten- und Pferdemaler Franz Adam und dem Historienmaler Carl Theodor von Piloty studiert, die beide 1886 sterben. Andere sind Schüler des aus Ungarn stammenden Historienmalers Sandór (Alexander) Wagner (1838-1919) wie beispielsweise Czachórski (1850-1911), der 1879 sein eigenes Atelier gegründet hat, ebenfalls Honorarprofessor wird und für immer in München bleiben wird. 1886 ruft der ungarische Genremaler Simon Hollósy eine private Malschule ins Leben, deren Sommerkurse für Freilichtmalerei, die in Ungarn abgehalten werden, das Interesse zahlreicher polnischer Malschüler wecken.
Boznańska ist jedoch bei ihren Bildthemen weder für Jäger, Kosaken und polnische Reiter,[8] noch für Kavallerieattacken, fliehende Pferdegespanne im Schneesturm, die „Heimkehr vom Markt“ oder die „Polnische Bauernfahrt“ zu begeistern, für die Brandt und Wierusz-Kowalski bekannt und bei Galeristen und Sammlern gefragt sind. Vermutlich sind es gerade die Historien- und die Genremalerei, also die Themen der polnischen Geschichte und Volkskultur, vor denen sie aus Krakau geflohen ist. Aber auch in München werden an der Königlichen Kunstakademie keine Frauen zugelassen. Boznańska studiert stattdessen zunächst im privaten Atelier von Carl Kricheldorf (1863-1934), der für Damenbildnisse in bäuerlichen und bürgerlichen Interieurs, als Porträt- und Kindermaler bekannt ist. Regelmäßig besucht sie die Alte Pinakothek um die Gemälde der alten Meister zu studieren, beispielsweise die „Beweinung Christi“ (1634) von Anthonis van Dyck und dessen Bildnis des Schlachtenmalers Pieter Snayers (um 1627/32), von denen sie Kopien anfertigt. Ihre eigenen Werke aus dieser Zeit, das „Mädchen mit Federhut“ (1887, Abb. 1) und der „Wein trinkende Mönch“ (1887, Abb. 2), belegen den Einfluss der flämischen Malerei. Beim Mädchenporträt deuten der starke Kontrast zwischen dem hellen Inkarnat und der schwarzen Kleidung, beim „Weintrinker“ das typische Bildmotiv und das Kolorit aus bräunlichen und gelblichen Farbtönen, der sogenannte „Galerieton“, darauf hin. Beide Werke zeigen aber auch, dass Boznańska Kricheldorf schon bei weitem überlegen ist. Im März 1887 sucht sie daher nach einem neuen Lehrer. Brandt rät anlässlich eines Besuchs bei ihr davon ab, sich auf einen neuen Professor einzulassen: Sie sei bereits eine selbstbewusste Künstlerin.[9] Ihre Kopie nach Van Dycks „Beweinung“, die sich heute in der Polnischen Bibliothek in Paris/Bibliothèque Polonaise de Paris befindet, und den „Mönch“ zeigt sie in der Lokalausstellung der Münchner Künstlergenossenschaft. Zwei weitere heute nicht mehr bekannte Bilder, „Camaldolit“ und „Alte Frau“, hat sie bereits im Jahr zuvor, 1886, in Krakau in der Jahresausstellung der Gesellschaft der Freunde der Schönen Künste/Towarzystwo Przyjaciół Sztuk Pięknych (TPSP) gezeigt. Auch ihre Sommerferien verbringt sie in Polen.
[5] Eliza Ptaszyńska: Alfred Wierusz-Kowalski, auf diesem Webportal, Seite 3
[6] Piotr Kopszak: In Munich, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 37
[7] Listen der polnischen Studenten an der Münchner Akademie bei Halina Stępień/Maria Liczbińska: Artyści polscy w środowisku monachijskim w latach 1828-1914. Materiały źródłowe, Warschau 1994, Seite 15 ff. Biographien der polnischen Künstler auch in der Encyclopedia Polonica auf diesem Webportal.
[8] Hans-Peter Bühler: Jäger, Kosaken und polnische Reiter. Josef von Brandt, Alfred von Wierusz-Kowalski und der Münchner Polenkreis, Hildesheim 1993
[9] Piotr Kopszak: In Munich, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 38