Helena Bohle-Szacki. Mode – Kunst – Erinnerung
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Interview mit Helena Bohle-Szacki, 2005
Mode
„Wer hätte das gedacht! Das staatliche Warschauer Modehaus ‚Leda‘ zeigt neueste Kreationen in Berlin. Und dann noch in Europa-Center. Noch vor einem Jahr hätte man eine solche Modeschau als Produkt einer überspannten Phantasie, als Hirngespinst ostkontaktfreudiger Bekleidungshändler angesehen. […] Die Polin Helena Szacka präsentierte die erste Kollektion, die sie in den Westen führt, in Berlin“ – berichtete DIE ZEIT im Dezember 1965.[1] „Dezente Eleganz aus Polen“ titelte das Spandauer Volksblatt.[2] Andere, durchaus positive Artikel betonten den „leicht pariserisch orientierter Pfiff“ der Mode aus Polen und nahmen mit einer gewissen Genugtuung den ersichtlichen Einfluss vom Courrèges-Stil mit futuristischem Touch wahr[3], der in den frühen 1960ern den modischen Ton im Westen angab. Indes war die Abgrenzung zwischen Ost und West nie vollkommen hermetisch, so dass auch in Polen manch eine Tendenz oder Richtung der westlichen Mode wahrgenommen und aufgegriffen wurde.
Natürlich war die erste Modeschau aus Warschau in Westberlin ein Politikum. Als lüftete sich ein wenig der Eiserne Vorhang, der die damalige politische Welt scheinbar endgültig und für alle Zeiten teilte. Die 37-jährige Helena Bohle-Szacki hatte eine renommierte Stellung in der staatlich reglementierten Modebranche inne. An die Entwicklung als freie Künstlerin dachte sie noch nicht, ebenso wenig daran, Polen endgültig zu verlassen. Viele Jahre später wird sie ihre Modetätigkeit nicht besonders hoch wertschätzen: „Als Ausdruckmittel war die Mode für mich nie ausreichend, in der Mode war ich keine Künstlerin, ich war vielleicht keine schlechte, doch nur eine Designerin der Bekleidungsindustrie.“[4]
Eine unbegründete Bescheidenheit? Die von ihr entworfenen Kleider gewannen in den 1960er Jahren Auszeichnungen (goldene Medaille in München, silberne auf der Posener Messe), wurden gelobt und nicht zuletzt sehr gerne getragen (falls sie für die Produktion zugelassen wurden). Natürlich funktioniere der Modebetrieb im damaligen Polen völlig anders als im freien Westen. Private Modehäuser existierten nicht, die staatlichen Bekleidungsunternehmen hatten mit Unzulänglichkeiten der heimischen Industrie und der bürokratisch aufgefassten Ästhetik zu kämpfen, es fehlte an geeigneten Stoffen und allem, was die Mode benötigt. Andererseits fand alles – oder fast alles – was produziert wurde, dankbare Abnehmer. Der unendlich aufnahmefähige Markt wurde äußerst sparsam beliefert. Und noch eines: In der Mode äußerte sich nicht selten eine Art Widerstand gegen die graue Wirklichkeit eines kommunistischen Landes.
Helena Bohle-Szacki begann ihre Modekarriere als Zeichnerin und – wie sie selbst betonte, war das eine Beschäftigung aus Not. Nach dem Abschluss im Fachbereich Graphik an der Państwowa Wyższa Szkoła Sztuk Plastycznych (heute: Akademia Sztuk Pięknych w Łodzi im. Władysława Strzemińskiego) / Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Lodz (Abb. 2 und 3) war es nicht einfach, eine Arbeit zu finden. Die Werbebranche steckte aus verständlichen Gründen noch in den Kinderschuhen, das Industriedesign entwickelte sich kaum, auch im Verlagswesen waren Graphiker nur sehr beschränkt gebraucht. So zeichnete Helena Bohle-Szacki für Modeblätter, deren Aufmachung eher karg war. Danach versuchte sie sich als Modejournalistin, wurde zur Dozentin für Mode an ihrer Alma Mater und begann schließlich Kleider zu entwerfen. Zunächst arbeitete sie im Zentralen Labor der Bekleidungsindustrie, dann nacheinander in den drei staatlichen Modehäusern. In den 1960er Jahren waren es die berühmtesten: Telimena, Moda Polska und Leda.