Polens Weg in die Freiheit auf den SPIEGEL-Covern 1980 bis 1990
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Die erste Ausgabe des Magazins erschien Anfang Januar 1947 und hatte nur 28 Seiten. Dabei war der SPIEGEL[2] von Anfang an als illustriertes Magazin angelegt, wobei die Vorbilder des wöchentlich erscheinenden US-amerikanischen Nachrichtenmagazins „Time“ und der britischen „News Review“ nicht zu verleugnen sind. Beide Zeitschriften wurden jungen SPIEGEL-Redakteuren von britischen Offizieren, die den Entstehungsprozess des Magazins überwachten, als Ansichtsexemplare zur Verfügung gestellt.[3] (Abb. 1-3) Der Verlag ließ daraufhin Artikel aus der „Time“ und der „News Review“ ins Deutsche übersetzen, um die Redakteure lernen zu lassen, den in Deutschland unbekannten journalistischen Stil zu adaptieren. Auch die graphische Gestaltung griff auf die visuellen Muster der englischsprachigen Meinungsblätter zurück. Die Erinnerungen des Mitbegründers und langjährigen Herausgebers, Rudolf Augstein. beschränken sich hinsichtlich des Layouts auf die lakonische Aussage, dass die charakteristische „plakative“ rote Leitfarbe des Umschlags rein deklaratorisch sei.[4] Tatsächlich rangierte sie in den ersten Jahren zwischen Rot und Orange.
Das Cover eines illustrierten Magazins ist seine Visitenkarte. So auch beim SPIEGEL, dessen Titel geradezu Kultstatus erlangten und zum festen Bestandteil der visuellen Alltagskultur in Deutschland wurden. Die farbigen Cover der neuen Medien werden damals in den Ausstellungsfenstern der Kioske, in denen sie um die Aufmerksamkeit der Passant:innen und der Leser:innen buhlen, zu einer Art Bühne, auf der Fotografen und Graphiker brillieren. Eine Zäsur für die Wiedererkennbarkeit des SPIEGEL stellte 1955 das erste Heft mit der bis heute beibehaltenen rotorangenen Umschlagseite dar, die der langjährige Leiter der Grafikabteilung, Eberhard Wachsmuth, angelegt hatte. (Abb. 4) Seitdem ist der farbige Rahmen der Cover ein festes Element des Magazins. Das frühere Layout in den Jahren von 1947 bis 1954 teilte die Fläche noch in einen roten Kopf, der das obere Drittel der Seite einnahm, und in ein darunter stehendes Feld mit dem eigentlichen Titelbild.
Die Titelseite des SPIEGEL kündigt das Thema der Woche an und illustriert es mit einer Fotografie, einer Fotomontage oder einer Karikatur. Für jede der 52 Umschlagsseiten in einem Jahr entstehen im Schnitt zehnmal so viele Entwürfe, aus denen dann in der Redaktion ausgewählt wird.[5] Die Umschlagsgestaltung bezieht auch freischaffende Grafiker ein. Zu den bekanntesten gehörten zweifellos Künstler:innen, die wie Boris Artzybasheff, Jean Sole, Tilman Michalski, Ursula Arriens und der Pole Rafał Olbiński auch für das Wochenmagazin „Time“ gearbeitet haben.[6] Aus den Untersuchungen von Dieter Just geht hervor, dass Titelseiten mit männlichen Konterfeis bis Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts überrepräsentiert waren. 1956 wurden 88 % der Umschlagseiten mit Abbildungen von Männern gestaltet, 4 % zeigten Frauen. Die übrigen Cover kamen mit unbelebten Szenen und Objekte aus.[7] Diese Proportionen blieben im Prinzip jahrelang gewahrt. Dafür veränderte sich die visuelle Gestaltung der Titel. Der Anteil von Fotomontagen bzw. von Karikaturen, die Szenen und Persönlichkeiten darstellten, nahm zu und die Nutzung von Porträts ließ nach. Bei alledem haben die Cover des SPIEGEL in der deutschen Presselandschaft rasch den Status einer Institution erlangt. 1972 wurden sie sogar auf der alle fünf Jahre in Kassel stattfindenden Documenta, einer der wichtigsten Kunstveranstaltungen der Welt ausgestellt. Dies lag nicht nur an ihrem künstlerischen Wert, sondern vor allem an ihrer Relevanz als einer gesellschaftlichen Ikonographie des Alltagslebens, die der Kurator der Documenta 5, Harald Szeemann, ihnen attestierte. Er wählte 40 Titelseiten aus, die sich zu einem Zyklus herausragender politischer Ereignisse zusammenfügten, die seines Erachtens Themen aufwarfen, die nicht nur für die deutsche Gesellschaft, sondern auch für die damalige Weltpolitik von größter Bedeutung waren.[8]
[2] Die Wochenzeitschrift erschien anfangs in der britischen Besatzungszone unter dem Titel „Diese Woche“ und wurde von der britischen Militärregierung beaufsichtigt (sechs Nummern von November bis Ende 1946).
[3] H. Hielscher, „Wollen Sie mitmachen?“ Wie Diese Woche entstand und daraus Der Spiegel wurde, [in:] DER SPIEGEL, Sonderausgabe 1947-1997, 0/1997, Hamburg 1997, S. 10ff.
[4] J. Bölsche (Hrsg.), Rudolf Augstein. Schreiben, was ist. Kommentare, Gespräche, Vorträge, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2003, S. 67.
[5] Hausmitteilung, [in:] DER SPIEGEL, 53/1970, S. 5.
[6] S. Aust, (Hrsg.), Die Kunst des Spiegel. Titel-Illustrationen aus fünf Jahrzehnten, Kempen 2004.
[7] D. Just, Der Spiegel. Arbeitsweise – Inhalt – Wirkung, Verlag für Literatur und Zeitgeschehen 1967, S. 99.
[8] Vgl.: L. Burckhardt, B. Brock, H.H. Holz (u.v.a.), documenta5. Befragung der Realität – Bildwelten heute. Katalog, Band 1 und Band 2, Kassel 1972.