Polens Weg in die Freiheit auf den SPIEGEL-Covern 1980 bis 1990
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In den nächsten drei Jahren spielte die polnische Thematik bei den Titelseiten des Magazins keine Rolle. Auch wenn Papst Johannes Paul II auf dem Cover der Ausgabe 51/1983 zu sehen ist, geschieht dies ohne bewussten Bezug auf die gesellschaftliche und politische Situation in Polen. (Abb. 18) Als Hauptthema der Ausgabe legte sich die Redaktion auf die Bedeutung der Marienverehrung in der katholischen Kirche fest. Auf dem Titel der Ausgabe ist Maria, die Mutter Gottes, zu sehen, zu der Johannes Paul II betet. Ihre Darstellung verdankte sich dem deutschen Maler Mathias Waske. Die durch die Militärdiktatur erzwungene relative Stabilisierung der Lage in Polen beruhte auch auf der Kontrolle von Informationen, die nur bedingt unzensiert an westliche Medien durchsickerten. Seit der offiziellen Aufhebung des Kriegsrechts am 23. Juli 1983 hatten die polnischen Behörden die Gewissheit, dass es keine rasche Rückkehr zu dem alten Dualismus geben würde, in dem die Partei offiziell die Interessen der Gesellschaft vertritt, während diese eigene basisdemokratische Formen der Interessenvertretung betreibt. Von 1983 bis 1987 bzw. bis 1988 gingen die Mitteilungen über Polen, die das Hamburger Wochenmagazin verbreitete und auch die „polnischen“ Titelseiten fast auf null zurück. In dieser Zeit gab es nun noch ein einziges Cover, das ein polnisches Thema problematisierte, indem es den Mord an dem Solidarność-Priester Jerzy Popiełuszko von 1984 auf das Cover nahm. (Abb. 19) Die Ausgabe 5/1985 vom 28. Januar druckte einen Ausschnitt eines Fotos von Popiełuszko mit der Schlagzeile „Wie der Geheimdienst mordete – Prozess in Polen“ auf dem Titel, wobei das Wort „Prozess“ in Schrift und Farbe eindeutig der Wortmarke der Solidarność entsprach. Das Titelthema befasste sich mit dem Prozess gegen die Popiełuszko-Mörder sowie mit den Auswirkungen des politischen Mordes auf die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik Polen.
Der sogenannte „Runde Tisch“ der politischen Opposition und der kommunistischen Regierung, der am 6. Februar 1989 offiziell eröffnet wurde, der letztlich zu einem Durchbruch führte und die sukzessive Änderung des politischen Systems hervorrief, fand kein Interesse der Bildredaktion des SPIEGEL. Die westliche Öffentlichkeit und die westlichen Medien waren von der Gründung und der Entwicklung der Solidarność offenbar genauso überrascht, wie sie den Prozess des Niedergangs des kommunistischen Systems in den mittel- und osteuropäischen Staaten weitgehend vorausgesehen und wohl auch erwartet haben. Seit 1987 macht sich dann das Interesse an den Veränderungen, die nicht nur in Polen, sondern im ganzen Ostblock stattfinden, in den Prioritäten des Hamburger Magazins wieder mehr bemerkbar. Die demokratische Transformation in Mittel- und Osteuropa schritt vielerorts voran und strahlte breit aus. In diesem Kontext ist die letzte Titelseite, die sich der polnischen Thematik nur allgemein zuordnen lässt, als signifikant anzusehen. Papst Johannes Paul II stand erneut im Mittelpunkt der Darstellung, die von dem bekannten französischen Schriftsteller und Illustrator Jean-Thomas „Tomi“ Ungerer geschaffen wurde. (Abb. 20) Sein Titelbild stellt eine Karikatur des damaligen Kirchenoberhaupts dar. Der Papst hält ein rosa Kondom in der Hand, dessen oberer Teil als Fratzenkopf stilisiert ist. Das Titelthema, in dem im Hinblick auf die menschliche Sexualität kritisch um die herrschende Lehre der Kirche und des Papstes Johannes Paul II geht, heißt „Der Papst und die Lust“. Alles in allem scheint es so gewesen zu sein, dass die politische und die gesellschaftliche Situation in Polen zu Beginn der Neunziger Jahre nicht so besorgniserregend war, dass sie auf das Cover der Zeitschrift hätte kommen können. 1989 und 1990 standen die sich immer mehr abzeichnende Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands, der Zerfall des Ostblocks sowie in dessen Folge auch das Auseinanderbrechen der UdSSR im Fokus der Bildredaktion des SPIEGEL.
Aleksander Gowin, Juli 2018
Quellen:
Stefan Aust (Hrsg.), Die Kunst Des Spiegel. Titel-Illustrationen aus fünf Jahrzenten, teNeues Publishing Group 2004.
Jochen Bölsche, Rudolf Augstein. Schreiben, was ist. Kommentare, Gespräche, Vorträge, Deutsche Verlags-Anstalt 2003.
Hans Dieter Jaene, Der Spiegel. Ein deutsches Nachrichten-Magazin, Fischer Bücherei 1968.
Dieter Just, Der Spiegel. Arbeitsweise – Inhalt – Wirkung, Verlag für Literatur und Zeitgeschehen 1967.
Peter Merseburger, Rudolf Augstein. Der Mann, der den Spiegel machte, Pantheon Verlag 2009.
Hans-Dieter Schütt, Oliver Schwarzkopf, Die Spiegel-Titelbilder 1947-1999, Schwarzkopf &Schwarzkopf Verlag 2000.
„Der Spiegel“, Sonderausgabe 1947–1997, Ausgabe 0/1997.
Online-Archiv des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1947.html