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Stanislaus Kostka in Recklinghausen-Suderwich. Darstellung eines polnischen Nationalheiligen auf einem Farbfenster in der St.-Johannes-Kirche

Stanislaus Kostka zwischen Tarcisius und Thomas von Aquin. Fensterdarstellung in der Kirche St. Johannes in Recklinghausen-Suderwich.

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Mediathek
  • Stanislaus Kostka zwischen Tarcisius und Thomas von Aquin - Fensterdarstellung in der Kirche St. Johannes in Recklinghausen-Suderwich
  • Im Auftrag der Bergbau-Patronin Barbara reichen zwei Engel Stanislaus die heilige Kommunion - Kupferstich von Hieronymus Wierix (1563 – vor 1619)
  • Die Muttergottes überreicht Stanislaus das Jesuskind - Glasfenster in der Kreuzauffindungskapelle in dem ehemaligen Jesuitenkolleg in Dillingen
  • Stanislaus-Vereinsfahne aus Bottrop im Ruhrgebiet (Vorderseite) - Foto aus: Sylvia Haida, Die Ruhrpolen. Nationale und konfessionelle Identität im Bewusstsein und im Alltag 1871–1918, Bonn 2012
  • Stanislaus-Vereinsfahne aus Bottrop im Ruhrgebiet (Rückseite) - Foto aus: Sylvia Haida, Die Ruhrpolen. Nationale und konfessionelle Identität im Bewusstsein und im Alltag 1871–1918, Bonn 2012
  • Stanislaus-Vereinsfahne aus Essen-Altenessen im Ruhrgebiet (Vorderseite) - Foto aus: Sylvia Haida, Die Ruhrpolen. Nationale und konfessionelle Identität im Bewusstsein und im Alltag 1871–1918, Bonn 2012
  • Stanislaus-Vereinsfahne aus Essen-Altenessen im Ruhrgebiet (Rückseite)  - Foto aus: Sylvia Haida, Die Ruhrpolen. Nationale und konfessionelle Identität im Bewusstsein und im Alltag 1871–1918, Bonn 2012
  • Kathedrale in Lodz (Łódź), geweiht dem heiligen Stanislaus-Kostka - 2017
  • Stanislaus-Kostka-Altar - In der Kathedrale in Lodz (Łódź)
  • Darstellung der beiden Stanislaus-Legenden auf dem Lodzer Altar  -
  • Stanislaus-Kostka-Kirche in Warschau-Żoliborz  - 2015
  • Jerzy Popiełuszko als Mosaik-Darstellung - Außenwand von St. Stanislaus-Kostka-Kirche in Warschau- Żoliborz
  • Kathedrale in Frauenburg (Frombork)  - 2022
  • Altar von ca. 1640–50 mit polnischen Nationalpatronen in der Kathedrale von Frauenburg - Das große Mittelbild zeigt Stanislaus Kostka, flankiert von zwei Statuen: Adalbert (links), Stanislaus von Krakau (rechts)
  • Stanislaus Kostka empfängt die heilige Kommunion - Altarbild von ca. 1640-50 in der Kathedrale von Frauenburg
  • Stanislaus-Kostka-Kirche in Chicago / USA  - Ausschnitt aus: https://www.youtube.com/watch?v=vkUmqvRM-0s
  • Die Muttergottes überreicht Stanislaus das Jesuskind - Gemälde in der St.-Stanislaus-Kostka-Kirche in Chicago / USA
  • St.-Stanislaus-Kathedrale in Keetmanshoop / Namibia  - 2018
  • St. Stanislaus Kapelle in Polish Hill River / Australien - Fotos, rechts oben Ansicht um 1918
  • St. Stanislaus Kapelle in Polish Hill River / Australien (heute Museum) - Zeitgenössische Ansicht
  • Zeche König Ludwig I/II/III in Recklinghausen-Bruch - Ansichtskarte von ca. 1910
  • Zeche König Ludwig IV/V in Recklinghausen-Suderwich - Ansichtskarte von ca. 1910
  • Zeche König Ludwig IV/V in Recklinghausen-Suderwich - Ansichtskarte von ca. 1970
  • Denkmal mit einer Seilscheibe von König Ludwig IV/V  - Recklinghausen-Suderwich
  • Erläuterungstafel am Seilscheiben-Denkmal  - Recklinghausen-Suderwich
  • Recklinghausen-Suderwich - Ansichtskarte von ca. 1900
  • Kinder aus zugewanderten Bergmannsfamilien in einer Koloniestraße  - Recklinghausen-Suderwich
  • Dorfkirche aus vorindustrieller Zeit und St.-Johanneskirche von ca 1904  - Recklinghausen-Suderwich
  • Neugotische St.-Johanneskirche und Dorfhäuser im Ortskern  - Recklinghausen-Suderwich
  • Alter Ortskern von Recklinghausen-Suderwich - Auf dem Straßenpflaster sind die Grundmauern der abgebrochenen Dorfkirche markiert.
  • St.-Johanneskirche in Recklinghausen-Suderwich - Die Apsis im Vordergrund dient als Josefs-Kapelle
  • Innenansicht der St.-Johanneskirche in Recklinghausen-Suderwich  - 2024
  • Der heilige Josef trägt das Jesuskind - Rückseite einer Fahne der Bruderschaft des Hl. Rosenkranzes der Frauen in Suderwich
  • Mittelfenster im Chor der St.-Johanneskirche in Recklinghausen-Suderwich - Kreuzigung Christi
  • Linkes Seitenfenster im Chor der St.-Johanneskirche in Recklinghausen-Suderwich - Johannes akklamiert Christus als den Sohn Gottes, nachdem er ihn im Jordan getauft hat
  • Rechtes Seitenfenster im Chor der St.-Johanneskirche: Johannes der Täufer wird enthauptet - Links im Bild Herodias und Salome
  • Mittelfenster im linken Nebenchor der St.-Johanneskirche - Mariae Himmelfahrt
  • Linkes Seitenfenster im linken Nebenchor - Mariae Tempelgang
  • Rechtes Seitenfenster im linken Nebenchor - Maria als Schmerzensmutter
  • Mittelfenster im linken Nebenchor - Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben
  • Rechtes Seitenfenster im rechten Nebenchor  - Zimmermannswerkstatt des heiligen Josef
  • Linkes Seitenfenster im rechten Nebenchor - Josef erläutert seiner Familie die Heiligen Schrift
  • Mittelfenster im rechten Nebenchor - Verklärung des heiligen Josef als Schutzpatron der katholischen Kirche
  • Mittelfenster im rechten Nebenchor - Papst Pius IX., flankiert von einem Bauern und einem Bergmann aus Recklinghausen-Suderwich
  • Cäcilia, Barbara und Clara - Darstellung von drei Heiligengestalten im linken Fenster des Hauptchors
  • Tarcisius, Stanislaus Kostka, Thomas von Aquin  - Darstellung von drei Heiligengestalten im rechten Fenster des Hauptchors
Stanislaus Kostka zwischen Tarcisius und Thomas von Aquin. Fensterdarstellung in der Kirche St. Johannes in Recklinghausen-Suderwich.
Stanislaus Kostka zwischen Tarcisius und Thomas von Aquin. Fensterdarstellung in der Kirche St. Johannes in Recklinghausen-Suderwich.

Ruhrpolen
 

Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts führte die fortschreitende Industrialisierung von Steinkohlenförderung und Stahlerzeugung zu einem immensen Arbeitskräftebedarf. Vor allem zwischen 1890 und 1914 zogen zahllose Menschen von nah und fern in das rheinisch-westfälische Montanrevier zwischen Ruhr und Lippe. Nahezu eine halbe Million stammte aus den preußischen Ostprovinzen Schlesien, Posen, West- und Ostpreußen und war mit polnischer Muttersprache aufgewachsen. Abgesehen von Protestant:innen aus dem ostpreußischen Masuren, war das Gros dieser Migrant:innen katholischer Konfession.

Den regionalen Schwerpunkt dieser Zuwanderung bildeten die neu erschlossenen Kohlenreviere im nördlichen Ruhrgebiet. In der Stadt Recklinghausen waren 1890 ungefähr 5% der Einwohner:innen polnischer Nationalität, zwanzig Jahre später bereits 23%. Im umliegenden Landkreis stieg der polnische Bevölkerungsanteil in diesem Zeitraum von 5,8% auf 15,7%. Zusammengenommen lebten 1910 in Stadt- und Landkreis Recklinghausen mehr als 53.000 Menschen mit polnischer Muttersprache und damit mehr als 10% der Pol:innen des Ruhrgebiets überhaupt.

Diese „ruhrpolnischen“ Zuwander:innen brachten ihr spezifisches religiöses Brauchtum mit in ihre neue Heimat. Das betraf im katholischen Bereich neben dem nationalpolnischen Kult um die Madonna von Tschenstochau auch die Verehrung bestimmter Heiliger, zum Beispiel von Hedwig (Jadwiga), Adalbert (Wojciech), Kasimir (Kazimierz), Michael (Michał Archanioł) oder Stanislaus (Stanisław) Kostka. Diese Verehrung äußerte sich in Vereinsgründungen sowie in ihrer künstlerischen Darstellung auf Altarbildern, als Skulptur oder in einem Farbfenster. Darüber hinaus war aber auch die Verehrung bestimmter ruhrgebietstypischer Heiliger unter den Ruhrpol:innen verbreitet. Das galt vor allem für den heiligen Josef, der als gelernter Zimmermann einen glaubwürdigen Schutzpatron für die Arbeiter:innen abgab, sowie für die heilige Barbara, die Patronin der Bergleute. Wie Vereinsnamen bezeugen, stellten sich ruhrpolnische Vereine in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts nicht selten unter den Schutz von Josef oder von Barbara.

 

Stanislaus Kostka
 

Im Ruhrgebiet zählte Stanislaus Kostka [ . ] zu den am meisten verehrten polnischen Nationalheiligen. Dokumentiert sind katholische Stanislaus-Vereine unter anderem für Duisburg-Marxloh, Mülheim-Styrum, Essen, Essen-Altenessen, Essen-Katernberg, Bottrop, Gelsenkirchen-Schalke, Herne, und Dortmund-Eving. Außerdem für die Recklinghäuser Vororte Bruch, Röllinghausen, Hochlar und Suderwich. Aus den Vereinen in Bottrop und Altenessen sind auch kunstvoll gestaltete Fahnen überliefert [ ., ., ., . ].

In Dortmund-Lütgendortmund und Dortmund-Eving fielen Kirchenfenster, die Stanislaus gewidmet waren, den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Das Evinger Fenster ist als ruhrpolnische Vereinsstiftung nachgewiesen. Als einziges erhaltenes Stanislaus-Fenster gilt heute ein Farbfenster in der St.-Johannes-Kirche in Recklinghausen-Suderwich [ . ]. Vermutlich handelt es sich hierbei sogar um das einzige erhaltene Kirchenfenster des Ruhrgebiets, das einen polnischen Nationalheiligen darstellt.

Geboren wurde Stanislaus Kostka am 1550 auf Schloss Rostkowo in Masowien, 90 Kilometer nördlich von Warschau. Er stammte aus einer prominenten Adelsfamilie. In Wien besuchte Stanislaus 1564–1567 das Jesuitenkolleg. Als er 1566 dramatisch erkrankte, erlebte er im Fieberwahn mystische Visionen: In Erwartung, sterben zu müssen, bat er die heilige Barbara, die Patronin eines guten Todes, um sofortige Hilfe. Daraufhin ließ ihm Barbara durch zwei Engel die heilige Kommunion reichen [ . ]. In einer zweiten Vision erschien ihm die Jungfrau Maria und legte ihm den Jesusknaben in den Arm [ . ].  Die Gottesmutter forderte den Schüler zum Eintritt in den Jesuitenorden auf. Sein Vater verbot ihm allerdings diesen Schritt, und aus furchtsamer Rücksicht auf die einflussreiche polnische Familie verweigerte die österreichische Ordensprovinz die Aufnahme des Sohnes in die Societas Jesu.

Daraufhin verließ Stanislaus Kostka fluchtartig Wien und wandte sich in Bayern an Petrus Canisius, den Jesuiten-Provinzial von Oberdeutschland und engagierten Vorkämpfer der katholischen Gegenreformation. Canisius war dem eifrigen Schüler, den er im Jesuiten-Kolleg in Dillingen an der Donau traf, sehr gewogen. Er unterzog ihn einer Prüfung und schickte ihn nach Rom weiter, wo Stanislaus im Oktober 1567 endlich in die Societas Jesu aufgenommen wurde. Allerdings verstarb der junge Novize bereits zehn Monate später nach einem schweren Fieberanfall, offenbar an Malaria. Anscheinend war seine Gesundheit durch die kräftezehrende Wanderung von Wien über Dillingen nach Rom – der Überlieferung nach barfuß und in armseliger Bettlerkleidung – entscheidend geschwächt worden.

In seinem kurzen Leben hatte Stanislaus Kostka seine Mitmenschen durch ein fröhliches Wesen, persönliche Bescheidenheit und tiefe Frömmigkeit beeindruckt. Begraben wurde er in der Kirche Sant'Andrea al Quirinale in Rom. Bald darauf begann ein religiöser Kult um seine Person. 1605 erfolgte die Seligsprechung, 1726 die Heiligsprechung. Stanislaus gilt als Schutzpatron der studierenden Jugend, der Novizen des Jesuitenordens sowie von schwer Erkrankten und von Sterbenden. 

Weil seine Fürsprache zu mehreren Siegen bei wichtigen Schlachten geführt haben soll, wurde Stanislaus Kostka 1674 zum Patron der polnisch-litauischen Krone proklamiert. Vor allem in seinem Heimatland dauert seine Verehrung bis heute an; es gibt dort mehrere Dutzend Gotteshäuser, die ihm geweiht sind. Hervorzuheben sind der monumentale Dom in Lodz (Łódź), [ ., ., . ] sowie die Stanislaus-Kostka-Kirche im Warschauer Vorort Żoliborz, wo der charismatische Priester Jerzy Popiełuszko während der kommunistischen Ära zwei Jahre lang seine „Messen für das Vaterland“ (Msze za Ojczyznę) zelebrierte, bevor er im Oktober 1984 von Offizieren des polnischen Staatssicherheitsdiensts ermordet wurde [ ., . ].  Ein barocker Altar in der Kathedrale von Frauenburg (Frombork) zeigt Stanislaus Kostka auf dem zentralen Gemälde. Außerdem Statuen von zwei weiteren polnischen Nationalpatronen: Adalbert von Gnesen und einen weiteren heiligen Stanislaus, der im 11. Jahrhundert als Bischof von Krakau amtierte [ ., ., . ]. Der Legende nach sei dieser Stanislaus 1410 während der Schlacht von Tannenberg (Grunwald) am Firmament erschienen und habe das polnisch-litauische Heer zum Sieg über die Ritter des Deutschen Ordens geführt.

Im Industriezeitalter brachten polnische Migrant:innen den Stanislaus-Kostka-Kult auch nach Übersee. Das betraf vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika, wo zwischen 1880 und 1910 fast eine Million Pol:innen eintrafen, die zumeist aus den preußischen Ostprovinzen stammten. Noch heute zeugen prachtvolle Stanislaus-Kostka-Kirchen von diesem Zustrom, unter anderem in Chicago, Cleveland, Milwaukee, Pittsburgh und New York [ . ]. Aber auch in Keetmanshoop in Namibia wurde 1904 eine Kirche dem heiligen Stanislaus geweiht, inspiriert offenbar durch polnische Auswander:innen aus dem Deutschen Kaiserreich, zu dem dieses Territorium 1884–1915 als „Kolonie“ gehörte [ . ]. Sogar in River Hill in Australien schufen Zuwanderer:innen 1871 eine Stanislaus-Kostka-Kirche [ ., . ]. Fazit: Noch heute ist dieser polnische Nationalheilige geradezu weltweit populär! 

Bei der ruhrpolnischen Stanislaus-Verehrung in Recklinghausen-Suderwich spielte sicherlich eine Rolle, dass sich der Jesuiten-Schüler in seiner gesundheitlichen Krise 1566 hilfesuchend an die heilige Barbara gewandt hatte, die auch im rheinisch-westfälischen Montanrevier als populäre Schutzpatronin der Bergleute verehrt wird. Der Legende nach war die Märtyrin Barbara während einer römischen Christenverfolgung von ihrem heidnischen Vater in einem Turmverlies eingesperrt worden. In dieser Einkerkerung sahen die Ruhrbergleute eine Parallele zu ihrer eigenen Arbeitssituation, einem Gefangensein im dunklen Streb untertage, bei ständiger Todesgefahr durch eine Schlagwetter- oder Kohlenstaub-Explosion. Und auch zur Stanislaus-Legende gab es eine Parallele: In Wien war der sterbenskranke Schüler von der Außenwelt isoliert worden, und sein protestantischer Hauswirt verweigerte ihm den Besuch eines katholischen Priesters. Daher intervenierte die heilige Barbara und schickte zwei Engel, die Stanislaus die eucharistische Wegzehrung ans Krankenbett brachten.