Stanislaus Kostka in Recklinghausen-Suderwich. Darstellung eines polnischen Nationalheiligen auf einem Farbfenster in der St.-Johannes-Kirche
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Farbfenster-Zyklus
Die drei Farbfenster für die zentrale Apsis hinter dem Mittelschiff der neugotischen Suderwicher Kirche wurden 1904 von der Glasmalerwerkstatt Wilhelm Derix aus Kevelaer gefertigt. Weitere sechs Fenster folgten 1907 für die Nebenchöre hinter den beiden Seitenschiffen. Jedes Fenster misst zehn Meter in der Höhe und 2,20 Meter in der Breite. In seiner Leuchtkraft kommt der Zyklus vor allem bei einfallender Morgensonne gut zur Wirkung. Die Werkstatt berechnete allein für die drei Fenster des Hauptchors 4.700 Goldmark. Der Suderwicher Autor (und evangelische Pastor) Walter Zillessen vermutete, dass sich das Generalvikariat des Bistums Münster an den Gesamtkosten beteiligt habe. Die Hauptlast musste allerdings die Kirchengemeinde tragen: „Sie war durch den Einzug des Bergbaus und dem damit verbundenen Verkauf von Ländereien nicht unvermögend. Dazu gab es die damals vorhandenen kirchlichen Vereine, die bereitwillig ihren Anteil beisteuerten, und finanzkräftige Gemeindemitglieder.“ (Zillessen, 1987)
Zillessen nimmt auch an, dass der örtliche Pfarrer Heinrich Hauling das Bildprogramm der Farbfenster entworfen habe. Hauling galt als „Kunstliebhaber“ und war vor seiner Suderwicher Amtszeit (1884–1921) als Kaplan auf Schloss Darfeld im Münsterland mit der „damaligen geistigen westfälischen Führungsschicht“ in Kontakt gekommen. Beim Kirchbauprojekt wurde der betagte Pfarrer (geb. 1831) von seinem Kaplan Hermann Öchtering eifrig unterstützt, der sich ansonsten auch um die örtliche Seelsorge für Migrant:innen kümmerte und 1906 – allerdings erfolglos – für die Aufnahme von polnischen Bergleuten in den „deutschen“ Knappenverein votierte. Aufgrund einer solchen Haltung darf man vermuten, dass Stanislaus Kostka auf Anregung Öchterings hin in den Suderwicher Fenster-Zyklus aufgenommen wurde.
Die neun Chorfenster sind ein farbenprächtiges Zeugnis vom religiösen Selbstverständnis einer katholischen Ruhrgebietsgemeinde in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts. Das stimmige Bildprogramm wirft nicht nur im Fall von Stanislaus Kostka ein Schlaglicht auf die Ruhrpolen-Thematik. Auch die symbolträchtige Darstellung der Verklärung des heiligen Josef geschah im Einklang mit der Polen-Seelsorge, denn der Pflegevater Jesu wurde in Suderwich gleich von zwei polnischen Vereinen als Schutzpatron verehrt.
Jedes der neun Chorfenster zeigt im oberen Bereich eine Szene aus dem Leben Jesu, der Gottesmutter oder des heiligen Josef. Im unteren Bereich der meisten Fenster werden Heiligengestalten präsentiert. In der Apsis des Mittelschiffs steht die Kreuzigung Christi im Zentrum, flankiert von Darstellungen der Taufe Jesu durch Johannes Baptista sowie der Enthauptung des Täufers [ ., ., . ]. Die Chorkapelle hinter dem linken Seitenschiff ist der Gottesmutter geweiht. Das mittlere Fenster feiert ihre Himmelfahrt. Links ist Maria als junges Mädchen bei ihrem Tempelgang zu sehen, rechts als Pietà, mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß. Außerdem wird auf dem Mittelfenster noch die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies gezeigt [ ., ., ., . ].
Die drei Farbfenster am Ende des rechten Seitenschiffs sind dem heiligen Josef gewidmet. Rechts blicken wir in seine Zimmermannswerkstatt. Links sehen wir, wie Josef seiner Familie – der Gottesmutter und dem Jesusknaben – die Heilige Schrift erläutert [ ., . ].
Das Mittelfenster stellt ihn als Kirchenpatron dar, umgeben von vier Engeln, die Insignien des päpstlichen Primats präsentieren: zwei gekreuzte Schlüssel, einen dreifach gekreuzten Hirtenstab, den römischen Petersdom, die Tiara. Im unteren Bereich des Fensters sieht man links einen Bauern und rechts einen Bergmann, die beide mit gefalteten Händen zur Josefs-Gestalt aufblicken. Links wird diese Darstellung durch den Glockenturm der Suderwicher Dorfkirche ergänzt, rechts durch ein Fördergerüst der Zeche König Ludwig IV/V [ ., . ].
Auf diese Weise wird nicht nur die Josefs-Verehrung, sondern zugleich auch der päpstliche Primatsanspruch in Recklinghausen-Suderwich präsent. In der Mitte der unteren Zone des Fensters wird dieser Anspruch weiter untermauert. Hier thront Pius IX. (1792–1878), der 1870 durch das Erste Vatikanische Konzil die päpstliche „Unfehlbarkeit“ festschreiben ließ. In der linken Hand hält er ein Dokument mit dem Schriftzug „Decretum 7. Juli 1871“. In diesem Text berichtet der Papst, die allgemeine Angst vor dem (1870 erfolgten) Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs habe die Josefs-Verehrung unter den Gläubigen immens anwachsen lassen. Infolgedessen hätten auch die Konzilsväter leidenschaftlich von ihm verlangt, dass er – „in diesen trauervollen Zeiten, um alle Übel zu vertreiben“ – Gottes Gnade wirkungsvoller durch die Fürsprache des heiligen Josef erbitten solle, indem er ihn zum Patronus Ecclesiae erkläre. Er sei diesem Wunsch gefolgt und habe den Pflegvater Jesu am 8. Dezember 1870 feierlich zum Schutzpatron der gesamten katholischen Kirche proklamiert.
Bei der Personalauswahl der Heiligengestalten in der unteren Zone der Suderwicher Chorfenster wird mehrfach ein Ruhrgebiets-Bezug deutlich. Berücksichtigt werden zum Beispiel Barbara als Bergbau-Patronin oder Elisabeth als Patronin der Caritas [ . ]. Stanislaus Kostka ist im rechten Seitenfenster des Hauptchors abgebildet. Er wird rechts von dem berühmten Kirchenlehrer Thomas von Aquin flankiert, links vom jugendlichen Märtyrer Tarcisius, der – so eine populäre Heiligenlegende – während einer antiken Christenverfolgung geweihte Hostien zu seinen inhaftierten Glaubensgenoss:innen in den Kerker geschmuggelt habe [ . ].
In der Suderwicher Fensterdarstellung hält Stanislaus einen Pilgerstab mit einer Jakobsmuschel in der linken Hand, was auf seine Fußwanderung von Wien nach Rom anspielt. Auf dem rechten Arm trägt er den Jesusknaben, dessen universale Herrschaft durch eine kleine Weltkugel angedeutet wird. Auf diese Weise wird an die Marienerscheinung erinnert, die der polnische Schüler in Wien im Fieberwahn erlebte: Er verinnerlichte als mystische Vision, dass ihm die Gottesmutter ihren Sohn gereicht habe.