IM SCHATTEN (ERZÄHL)FÄDEN SPINNEN, oder der schmale Grat zwischen dem Privaten und dem … Privaten. Über das Werk von Ewa Finn
Mediathek Sorted
Ja, so war es, das Leben durfte nicht leicht sein, man musste es spüren, es war ein guter Ballast. (...) Nicht das mache uns aus, was stark in uns sei, sondern ebenjene Anomalie, das Schwache, das Verleugnete in uns.
Olga Tokarczuk, Empusion
Folge deinem Herzen. Wenn du nicht das eine Leben lebst, das du hast, wirst du nicht einfach ein anderes leben können, sondern letztendlich gar keins.
James Baldwin
Lange nahm die Malerei in der zeitgenössischen Kunst einen untergeordneten Rang ein. Jungen Künstler:innen erschien sie als ein allzu banales, der früheren Funktion der Kunst zu stark verbundenes Ausdrucksmittel. Nun kehrt sie jedoch in großem Stil zurück. Sie hat sich über die Jahrhunderte als die Grundform des künstlerischen Ausdrucks bewährt (und wird es wohl auch bleiben), sind doch die aktuell aufkommenden Tendenzen hin zum Realismus eine recht traditionsverbundene Hommage an die Kunstgeschichte. Das Trugbild der künstlerischen Freiheit bleibt oft eben nur ein Trugbild. Künstler:innen greifen nach allen möglichen Mitteln, um sich zu verwirklichen. So ist es immer schon gewesen und das wird sich auch künftig nicht ändern. Lautstarke Kollektive, Manifeste, Skandale sind auf der Suche nach Förder:innen oder gar Sponsor:innen zweifellos hilfreich, doch die unheilvolle Gegenwart mit ihrer eklatanten visuellen Reizüberflutung wendet sich langsam davon ab – hin zu mehr Ruhe, Gefasstheit und Maß. Betrachten wir nun in diesem Kontext das Werk von Ewa Finn, um auf die Frage einzugehen, wann die zeitgenössische Malerei als Medium einen wahren Sinn bekommt und inwiefern die Individualität von Künstler:innen mit der Außenwelt vereinbar ist.
Mieczysław Porębski sprach einst die berühmten Worte, dass man mit einem Bild zusammenwohnen, mit einem:einer Künstler:in aber zusammenleben muss. Nachdem ich mich also entschlossen hatte, ein Bild bei mir einziehen zu lassen, begann ich, meinen potenziellen Mitbewohner aufmerksam zu betrachten. Doch ich ließ mich nicht von der Sänfte des ersten Eindrucks täuschen. Mein Instinkt sagte mir, dass das nicht so einfach ist, dass es da viel mehr zu entdecken gibt, dass den Bildern von Ewa eine besondere, kaum greifbare und definitiv nicht flüchtige Qualität innewohnt. Die Welt, die sie kreiert, ist und bleibt in einem gewissen Maße geheimnisvoll, obwohl die Symbolik, der sie sich dabei bedient, nicht ganz so realitätsfern ist. Die Künstlerin drückt in ihren Werken das aus, was in der heutigen Welt, aber auch für sie selbst wichtig ist. Dabei spielt für sie das tatsächlich Erlebte eine wesentliche Rolle, auf dem ihr Hier und Jetzt basiert. Doch ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger, ist ihr höchst intimes Dort und Damals …
Der große Alfred Hitchcock pflegte seine Filmschüler:innen mit dem Rat zu verwirren, man müsse mit einem Erdbeben beginnen und dann die Spannung ganz langsam steigern. Die Bilder von Ewa Finn lassen zutiefst emotionale Assoziationen entstehen, und doch fühlt sich jede:r (aufmerksame!) Betrachter:in von der bedrohlichen Ruhe irritiert, die sie ausstrahlen. Bei einer genaueren Betrachtung des Bildinneren wird jedoch klar, dass auch diese Ruhe nur ein Trugbild ist. Vielleicht drückt sich das Bedürfnis der Künstlerin, sich selbst in Bezug zur Vergangenheit zu definieren, in dieser Vision aus – einer Vision, in der Probleme niemals als schwarz-weiße Kontraste betrachtet werden, obwohl wir sehr wohl wissen, dass sich gerade aus diesen Kontrasten gefährliche Spannungen ergeben?
Der Buddhismus lehrt uns, dass eine positive Bilanz unserer Gedanken und Taten uns (irgendwann) in einem der 26 Himmel wiedergeboren werden lässt. Der Große Äon geht zu Ende, um dann wieder beginnen zu können – es braucht nur die nötige Kraft dafür. Er lehrt uns auch, dass wir unsere Erinnerungen an ein vorangegangenes Leben bewahren können, und wenn diese Erinnerungen aufblitzen, entsteht – unter günstigen Umständen – Kunst. Dann allerdings kommt es zu der unvermeidbaren Dissonanz zwischen Zugehörigkeit und Freiheit… Nun, die Freiheit kann uns niemand geben. Wir müssen sie uns selbst nehmen. Die leidvolle Identitätssuche in der Freiheit hat die Künstlerin zum Glück schon hinter sich. Wir können die Vergangenheit nicht zurückholen, aber das ist auch nicht unbedingt nötig; ermöglicht uns doch die Kunst, zu beweisen, dass es sie gab.
Nach einer starken Ausdrucksphase mit kräftigen Farben und Texturen entwickelt sich das Narrativ in der zeitgenössischen Malerei von Ewa Finn hin zu einem stillen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet sie hauptsächlich in allerlei ungewöhnlichen, bizarren, absurden, ja geradezu ekelerregenden Situationen. Sie verneigt sich vor ihr – doch gleichzeitig lehnt sie die Idee ab, dass ausschließlich die dunkle Seite der Macht sich greifbar auf das menschliche Leben auswirken kann. Oder ist es doch genau umgekehrt? Immerhin entzieht sich unsere Sinneswelt stets einer einfachen Kategorisierung. Die Erinnerungen an Erlebtes und das Spiel mit dem Selbstbild werden von einem tiefen Schweigen begleitet. Das wirft die Frage auf, ob dieser schweigende Dialog eher Entdeckung oder Verbergung der eigenen Präsenz in einer missmutigen Welt ist, in der es leichter fällt, andere zu verletzten als zu unterstützen. Oder ist es doch eine versuchte Flucht vor der Bürde der eigenen Erfahrungen? Die Suche nach einem sicheren Hafen? Symmetrie oder doch Expansion? Ohne die Antworten auf prosaische Fragen zu scheuen, greift die Künstlerin nach der altbekannten realistischen Form und registriert akribisch, wie eine Chronistin, alles Erlebte, das sie bewegt und berührt hat. Oft sind es banale Alltagssituationen, denen jedoch ein gewisses Paradox innewohnt.