Sławomir Elsner – Präzision und Unschärfe
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Sławomir Elsner besitzt die Fähigkeit, hinter bekannte Bildwelten, Bildmuster und Bildgewohnheiten zu blicken. Im Museum Wiesbaden, wo seine neueste Ausstellung stattfindet, trifft man ihn auch als Besucher in den historischen Schausammlungen des traditionsreichen Museums, dessen Gründung bis in die Goethezeit zurückreicht und das Kunst von der Gotik über den Jugendstil und den Expressionismus bis in die Gegenwart zeigt. Für Elsner sind die Bild- und Gestaltungsmuster der älteren Kunstgeschichte und der Moderne ein offenes Buch, ebenso populäre Bildwelten wie Fotografie und Pressebilder, deren Motive er seit zwei Jahrzehnten in unterschiedlicher Weise in seinen Kunstwerken hinterfragt und verarbeitet. Oberflächlich betrachtet wird man in seinen Arbeiten auch Anleihen bei der Kunst des Zwanzigsten Jahrhunderts entdecken, etwa bei der Farbfeldmalerei, beim Fotorealismus, bei der Pop Art oder bei Gerhard Richter, deren Tendenzen Elsner jedoch durch seine ausgefeilten Mal- und Zeichentechniken nicht nur modifiziert, sondern ebenfalls hinterfragt. Ohne genaue Kenntnis seiner zeitaufwändigen Arbeitsvorgänge sind die Ästhetik und die inhaltliche Deutung seiner verschiedenen Werkgruppen kaum zu entschlüsseln. Auch der Künstler selbst neigt dazu, sich aus der vordersten Reihe des Kunstbetriebs in die meditative Stille seines Berliner Ateliers zurückzuziehen und eher leise über sich und seine Arbeit zu sprechen. Dabei hat er umfangreiche Werkgruppen, lange Listen an Einzel- und Gruppenausstellungen und Kataloge vorzuweisen, die die einzelnen Phasen seines bisher entstandenen Werks detailliert dokumentieren.
Zurück in seine Studienzeit datiert eine Serie von zwanzig kleinformatigen, inszenierten Farbfotografien, die den Künstler in verschiedenen Berufen zeigen, als Dönerverkäufer, Lehrer, Landwirt, Mediziner, Orchestermusiker oder Polizist (Abb. 1-8 . ), und die auf verschiedenen Ebenen die Frage nach der eigenen Identität stellen: Sind es Berufe, in denen er sich selbst vorstellen kann, die er tatsächlich einmal ausgeübt hat oder in deren Szenerie er uns in immer neuen Kostümen wirklichkeitsgetreue Einblicke gibt? Als Set reproduziert (Abb. 9 . ) wird das konzeptuelle Prinzip der Kunstaktion deutlich. In Einzelaufnahmen in den sozialen Medien gepostet oder in Wiesbaden an verschiedenen Stellen in der historischen Schausammlung gezeigt, bleibt die Verunsicherung, ob uns der Künstler tatsächlich sich selbst, „Slawomir“ (1999), oder die Funktion privater Schnappschüsse zwischen Momentaufnahme, Dokumentation und Selbstinszenierung mit all ihren technischen und bildimmanenten Defiziten vor Augen führt.
Die Fotografie blieb für ihn, wenn auch auf anderer Ebene, das grundlegende bildvorbereitende Medium, indem er begann, eigene Schnappschüsse in Aquarelle und später in Farbstiftzeichnungen zu übertragen. In der Serie „1. November“ (Abb. 10 . ), zu der zwischen 1999 und 2002 fünf Aquarelle entstanden, konzentrierte sich der Künstler auf die Licht- und Farbphänomene, die aus der Unterbelichtung der vorangegangenen Nachtaufnahmen resultieren. Er setzt die emotionale Stimmung ins Bild, die entsteht, wenn in Polen am katholischen Feiertag Allerheiligen Angehörige die Friedhöfe besuchen, um die Gräber ihrer Verwandten mit Blumen zu schmücken und Kerzen anzuzünden. Das in der Dunkelheit entstandene Lichtermeer beleuchtet die menschliche Existenz zwischen Vergänglichkeit, Gedenken und lebendiger Gegenwart.