Polens Weg in die Freiheit auf den SPIEGEL-Covern 1980 bis 1990
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Interesse an polnischen Themen zeigte der SPIEGEL sehr früh, indem sie bereits in seinen ersten Ausgaben eine Rolle spielten, die noch mit relativ wenigen Seiten auskommen mussten. Schon in der ersten Nummer vom 4. Januar 1947 waren zwei Artikel polnischen Themen gewidmet, die hier wegen ihrer parolenhaften Überschriften erwähnt werden, die immer noch der Kriegsrhetorik verhaften sind. Der eine Text erschien unter dem Titel „Lebensraum – rot lackiert“, der andere hieß „Noch nicht verloren – polnische Wirtschaft hinter der Oder“. Der erste Betrag bezieht sich auf ein Wort von General Władysław Anders gegenüber der Züricher Zeitung „Die Tat“ und stellt fest: „Polen sei [heute] nicht in der Lage, die deutschen Gebiete bis zur Oder [wirtschaftlich] zu verdauen.“[9] Der zweite Artikel, der dieselbe Tendenz vertritt, und zwar sowohl phraseologisch als auch inhaltlich, hebt hervor, dass Polen aufgrund der Abwanderung der Deutschen aus den ehemaligen Reichsgebieten und wegen seines Arbeitskräftemangels nicht in der Lage sein werde, diese Verwerfungen zu bewältigen. Kaum zwölf Monate später begann der SPIEGEL, als erstes Presseorgan in der britischen Besatzungszone mit dem Abdruck der Tagebücher des damals bereits abgetretenen Ministerpräsidenten der polnischen Exilregierung Stanisław Mikołajczyk.[10]
Auch in den von enormen politischen Krisen geplagten 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kommen polnische Themen in größerem Umfang im SPIEGEL vor und werden ähnlich wie in den turbulenten 40er Jahren von Persönlichkeiten vertreten, die dem politischen System der Nachkriegszeit im Land jenseits der Oder kritisch gegenüberstehen. Gleich nach dem Krieg war es Stanisław Mikołajczyk und nun, fast ein halbes Jahrhundert später, sind es Oppositionelle, die sich offen gegen die kommunistische Regierung wenden, unter anderem Lech Wałęsa, Jacek Kuroń oder Adam Michnik. An dieser Stelle ist anzumerken, dass ein konstitutives Merkmal des Magazins, aber auch der übrigen meinungsbildenden Presse, in einem mehrstimmigen Diskurs besteht, der Themen aus mindestens zwei Perspektiven betrachtet. Dem entsprechend wurde im SPIEGEL über die Ereignisse in Polen aus Sicht der breit verstandenen Opposition und aus der Sicht der Machthaber berichtet, wie die Präsenz der genannten Personen, aber auch von Mieczysław F. Rakowski und anderer wichtiger Vertreter der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza) in der Zeitschrift zeigt.
Die Texte über Polen aus den 1980er Jahren enthalten ein typisches geschichtsphilosophisches Narrativ, das für die komplizierte Geschichte des Landes die Formulierung „polnisches Drama“ wählt. „Polen, das zuerst von Adolf Hitler erobert und später von seinen Verbündeten im Stich gelassen wurde, mag dem Leser wie ein fernes Land erscheinen. (…) und seine Tragödie mag vielleicht von einigen als Normalzustand der Europäer und besonders der Polen hingestellt werden. Was aber in Polen heute geschieht, das geht auch Sie [die deutschen Leser – Anm. d. Autors] an“[11], schreibt Stanisław Mikołajczyk in seinen Tagebüchern. Diese Aussage wird von der Redaktion des Magazins in der zweiten Ausgabe im Januar 1982 erneut zitiert, und zwar im Zusammenhang mit dem Zitat des amerikanischen Schriftstellers Wiliam Faulkner: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“[12] Anfang der 80er Jahre kehrt, wie der SPIEGEL schreibt, das „polnische Drama“ zurück und überschattet die Vergangenheit, die durch die Ordnungskonferenz von Jalta entstand.[13]