Helena Bohle-Szacki. Mode – Kunst – Erinnerung
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Interview mit Helena Bohle-Szacki, 2005





























Da die angehende Modedesignerin bei dem berühmten Verfechter des Konstruktivismus Władysław Strzemiński studiert hatte, den sie besonders hoch schätzte, ließ sie sich von ihm inspirieren. „Wie auch Strzemiński sah sie die Kunst eng mit der industriellen Produktion verbunden und übertrug die Ideen der Malerei auf die Textilien. Sie glaubte, Mode sei eine Art Kunst, die sich im Alltag dienstbar macht und in einem Geflecht aus allen Kunstbereichen entsteht“[5], schreibt der Modejournalist Marcin Różyc und führt Bohle-Szackis Überlegungen an: „Eine der wesentlichsten Fragen beim Entwerfen von Kleidern ist, auf die rein künstlerischen Probleme zurückzugreifen und aus ihnen zu schöpfen, wie Kontrastierung der Formen, Differenzierung der Oberflächenstruktur, farbliche Zusammensetzung“. Daher verwundert es nicht, dass manches Stoffmuster in ihren Entwürfen wie einem unistischen Bild Strzemińskis entnommen erscheint. (Abb. 4) Später ließ sie den unverkennbaren Neoplastizismus (den Strzemiński ebenfalls schätzte) in die Mode einfließen, wovon eine Sommerkollektion des Modehauses Leda aus dem Jahr 1966 zeugt. (Abb. 5, 6) Und dennoch: Zeit ihres Lebens wurde Helena Bohle-Szacki die ihr gebührende Anerkennung nicht zuteil. Erst 2017 entdeckte der zitierte Journalist und Kunsthistoriker Marcin Różyc[6] ihre Leistung wieder, und nun analysiert und propagiert er die besondere Stellung der mittlerweile vergessenen Modeschöpferin.
Dass der große Erfolg ihrer Modeschau in Westberlin vorrangig politische Bedeutung hatte, sollte sie sich nach ihrer Ausreise aus Polen 1968 überzeugen. Mit dem deutschen Pass (das Erbe des Vaters) ausgestattet begab sich Helena Bohle-Szacki auf Arbeitssuche. Dabei konnte sie nicht umhin zu erfahren, dass sie nicht mehr als eine Diva der Mode aus dem kommunistischen Polen angesehen wurde, sondern nur als eine bedauernswerte Emigrantin aus dem Ostblock, die die westliche Freiheit gewählt hatte – wie sie nach vielen Jahren der befreundeten Journalistin Anna Hadrysiewicz erzählte[7]. Nun war sie um die Integration bemüht und bereit, ihre Fähigkeiten und ihr Können einzusetzen. So schreib sie einige hundert Bewerbungen, was ihr schließlich eine Anstellung als Direktrice bei der Firma Kittke und Sohn, einem „Rockspezialisten“, brachte – und kurz darauf eine Enttäuschung.
Über ihre beruflichen Anfänge in Westberlin meinte sie: „Die Arbeit war todlangweilig. Wir produzierten Röcke. Ich bekam beispielsweise ein Schnittmuster und musste etwa fünfzig Varianten anfertigen: mal mit einer anderen Tasche, mal mit einem anderem Knopf oder Verschluss etc.“[8] Unwillkürlich stellte sie auch Vergleiche an: „Zum ersten Mal konnte ich am Beispiel dieser Firma den ökonomischen Unterschied beider Systeme beobachten. Hier ging es um Gewinn bei einem minimalen finanziellen Einsatz. Im kommunistischen Polen war die Mode eine Art Witz, eine Betätigung jenseits der Vernunft. Hier musste man mindestens zwanzig Entwürfe täglich anfertigen, dort – ein Dutzend im Monat“[9]. Dabei wurde die Kreativität nicht gefragt, viel mehr lediglich „Geschick und Geschmack“, wie das Arbeitszeugnis des „Rockspezialisten“ belegt.
Ob es auch an dieser Enttäuschung lag, dass sie sich als Künstlerin profilieren wollte? Die Fließbandarbeit mit Röcken hielt sie knapp ein halbes Jahr aus. Danach kamen mehrere Volkshochschulen, wo sie Vorträge über Mode und Inneneinrichtung hielt, bis sie schließlich eine Stelle als Dozentin für Graphik und visuelle Kommunikation an der Berufsschule des Berliner Lette-Vereins[10] fand. Nun war sie materiell abgesichert, hatte mehr Zeit und umso dringender wurde in ihr das Verlangen, sich als freie Künstlerin auszudrücken.
[5] Marcin Różyc, Teoria mody, in: Helena Bohle-Szacka. Lilka. Mosty / Die Brücken. Hrsg. M. Różyc, Białystok 2017, S. 65–73.
[6] Ebenda.
[7] Anna Hadrysiewicz, Rozdział berliński, in: Helena Bohle-Szacka. Lilka. Mosty / Die Brücken, Hrsg. M. Różyc, Białystok 2017, S. 219-236.
[8] Anna Hadrysiewicz, a.a.O.
[9] Ebenda.
[10] Für die Veranstaltung anlässlich ihres 90. Geburtstags am 28.2.2018 in der Topographie des Terrors bereitete eine Gruppe von Studierenden des Lette-Vereins einige Entwürfe für das Ankündigungsplakat vor; siehe Abb. 7.