Olga Boznańska. Krakau – München – Paris
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Olga Helena Karolina h. Nowina Boznańska wird am 15. April 1865 in Krakau geboren. Ihre Mutter ist die aus dem französischen Département Ardèche stammende Lehrerin Eugénie Mondant (1832-1892), ihr Vater der in Wien ausgebildete Eisenbahningenieur Adam Gustaw h. Nowina Boznański (1836-1906). Die Familie lebt in einem lang gestreckten zweigeschossigen, aber nicht sehr aufwendigen Wohnhaus, das der Vater 1870 an der ul. Wolska 21 errichten lässt und in dem die Malerin bis zu ihrem Lebensende ein Atelier unterhalten wird.[1] 1868 wird ihre Schwester Iza geboren. Den ersten Zeichenunterricht erhält sie mit sechs Jahren von ihrer Mutter. 1878 und 1881 besucht die Familie die Weltausstellungen in Paris und Wien. Ab 1883 wird Olga in ihrem Elternhaus von den Malern Józef Wojciech Siedlecki (1841-1915) und Kazimierz Pochwalski (1855-1940) im Zeichnen unterrichtet. Die Sommerferien verbringt sie in Zakopane. Im folgenden Jahr beginnt sie ihr Kunststudium an der von dem Sozialaktivisten Adrian Baraniecki (1828-1891) gegründeten und geleiteten Hochschule für Frauenkurse/Wyższe Kursy dla Kobiet; denn das Studium an der traditionellen Krakauer Schule für schöne Künste/Szkoła Sztuk Pięknych ist Frauen verwehrt. Großen Eindruck machen auf sie die Kurse in Kunstgeschichte bei dem Kunstwissenschaftler Marian Sokołowski (1839-1911) und dem Literaten, Kunstkritiker und Historiker Konstanty Maria Górski (1862-1909). Ihre Mal- und Zeichenlehrer sind der Figuren- und Genremaler Hipolit Lipiński (1846-1884) und der Genre- und Porträtmaler Antoni Piotrowski (1853-1924), beide auch Vertreter einer realistischen, farbigen und kleinteiligen Historienmalerei. In den Kursen wird in der Regel nach Gipsköpfen gezeichnet, gelegentlich auch nach einem lebenden Modell. Die gesamte Ausbildung, urteilt Boznańska vierzig Jahre später, sei jedoch reine Zeitverschwendung gewesen.[2]
Im Oktober 1885 oder 1886 wechselt Boznańska, die Krakau ihr ganzes Leben lang als traurig und Furcht einflößend empfindet,[3] nach München um dort ihr Kunststudium fortzusetzen. Die Hauptstadt des Königreichs Bayern ist zu diesem Zeitpunkt seit über zwei Jahrzehnten Flucht- und Sehnsuchtsort polnischer Kunststudenten. Vor allem nach dem Januaraufstand von 1863 sind zahlreiche Malschüler, die an der Erhebung teilgenommen haben, nach München ins Exil gegangen. Unter ihnen ist auch Józef Brandt (1841-1915), der 1863 sein Studium an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste aufnimmt, drei Jahre später in München sein eigenes Atelier eröffnet, zahlreiche weitere polnische Studenten anzieht und bald Mittelpunkt der Münchner „Polenkolonie“[4] wird. Die bayerische Hauptstadt ist für die ausländischen Studenten durch ihre lebendige Kunst- und Galerienszene, die beiden Pinakotheken, die hohe Qualität der an der Akademie lehrenden Professoren und die tolerante Einstellung der Bevölkerung attraktiv. 1858 hat sogar Jan Matejko (1838-1893), der als konservativ und trocken geschmähte Direktor der Krakauer Kunstschule, in München studiert. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren lassen sich in München an der Kunstakademie und an privaten Malschulen etliche polnische Maler ausbilden, die schnell bekannt und berühmt werden, unter ihnen Maksymilian und Aleksander Gierymski, Władysław Czachórski, Adam Chmielowski, Józef Chełmoński, Jan Chełmiński, Wojciech Kossak, Alfred Wierusz-Kowalski und Julian Fałat.
[1] Die heutige Adresse des unverändert bestehenden Hauses ist ul. Piłsudskiego 21, vgl. http://krakow-przewodnik.com.pl/uliczkami-i-placami/ulica-pilsudskiego/, Dom nr 21. Auch Boznańskas Atelier im Dachgeschoss ist noch zu erkennen.
[2] Urszula Kozakowska-Zaucha: Great, Truly Great Artist. The Krakow of Olga Boznańska, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 26
[3] Ebenda, Seite 28
[4] „Die Polenkolonie: Brandt, Gierymski, Chelminski, Kowalski, Kozakiewicz“, in: Adolf Rosenberg: Die Münchener Malerschule in ihrer Entwicklung seit 1871, Leipzig 1887, Seite 47
Als Boznańska in München eintrifft, betreibt dort neben Brandt inzwischen Wierusz-Kowalski (1849-1915) ein eigenes Atelier, der 1874 über Dresden und Prag nach München gekommen ist. An ihn hat Boznańska Empfehlungsschreiben dabei und offenbar ist er ihr in der Eingewöhnungsphase behilflich.[5] Auch zu Brandt hat Boznańskas Vater im Vorwege Kontakt aufgenommen.[6] Weiterhin sind zahlreiche polnische Studenten an der Münchner Kunstakademie immatrikuliert: Seit 1884/85 studiert Stanisław Dębicki dort und an der Privatschule von Paul Nauen. Ab 1885 lernen an der Akademie unter anderem Zdzisław Piotr Jasiński, Zygmunt Ajdukiewicz und Feliks Cichocki Nałęcz, ab 1886 Wincenty Trojanowski, ab 1887 Stanisław Batowski-Kaczor, ab 1888 Stanisław Fabijański und Władysław Karol Szerner.[7] Brandt und Wierusz-Kowalski nehmen an allen wichtigen Münchner Ausstellungen teil. Brandt ist seit 1878, Wierusz-Kowalski wird 1890 Honorarprofessor an der Akademie. Beide werden mit höchsten bayerischen Orden ausgezeichnet. Zahlreiche junge Polen haben wie Brandt bei dem Schlachten- und Pferdemaler Franz Adam und dem Historienmaler Carl Theodor von Piloty studiert, die beide 1886 sterben. Andere sind Schüler des aus Ungarn stammenden Historienmalers Sandór (Alexander) Wagner (1838-1919) wie beispielsweise Czachórski (1850-1911), der 1879 sein eigenes Atelier gegründet hat, ebenfalls Honorarprofessor wird und für immer in München bleiben wird. 1886 ruft der ungarische Genremaler Simon Hollósy eine private Malschule ins Leben, deren Sommerkurse für Freilichtmalerei, die in Ungarn abgehalten werden, das Interesse zahlreicher polnischer Malschüler wecken.
Boznańska ist jedoch bei ihren Bildthemen weder für Jäger, Kosaken und polnische Reiter,[8] noch für Kavallerieattacken, fliehende Pferdegespanne im Schneesturm, die „Heimkehr vom Markt“ oder die „Polnische Bauernfahrt“ zu begeistern, für die Brandt und Wierusz-Kowalski bekannt und bei Galeristen und Sammlern gefragt sind. Vermutlich sind es gerade die Historien- und die Genremalerei, also die Themen der polnischen Geschichte und Volkskultur, vor denen sie aus Krakau geflohen ist. Aber auch in München werden an der Königlichen Kunstakademie keine Frauen zugelassen. Boznańska studiert stattdessen zunächst im privaten Atelier von Carl Kricheldorf (1863-1934), der für Damenbildnisse in bäuerlichen und bürgerlichen Interieurs, als Porträt- und Kindermaler bekannt ist. Regelmäßig besucht sie die Alte Pinakothek um die Gemälde der alten Meister zu studieren, beispielsweise die „Beweinung Christi“ (1634) von Anthonis van Dyck und dessen Bildnis des Schlachtenmalers Pieter Snayers (um 1627/32), von denen sie Kopien anfertigt. Ihre eigenen Werke aus dieser Zeit, das „Mädchen mit Federhut“ (1887, Abb. 1) und der „Wein trinkende Mönch“ (1887, Abb. 2), belegen den Einfluss der flämischen Malerei. Beim Mädchenporträt deuten der starke Kontrast zwischen dem hellen Inkarnat und der schwarzen Kleidung, beim „Weintrinker“ das typische Bildmotiv und das Kolorit aus bräunlichen und gelblichen Farbtönen, der sogenannte „Galerieton“, darauf hin. Beide Werke zeigen aber auch, dass Boznańska Kricheldorf schon bei weitem überlegen ist. Im März 1887 sucht sie daher nach einem neuen Lehrer. Brandt rät anlässlich eines Besuchs bei ihr davon ab, sich auf einen neuen Professor einzulassen: Sie sei bereits eine selbstbewusste Künstlerin.[9] Ihre Kopie nach Van Dycks „Beweinung“, die sich heute in der Polnischen Bibliothek in Paris/Bibliothèque Polonaise de Paris befindet, und den „Mönch“ zeigt sie in der Lokalausstellung der Münchner Künstlergenossenschaft. Zwei weitere heute nicht mehr bekannte Bilder, „Camaldolit“ und „Alte Frau“, hat sie bereits im Jahr zuvor, 1886, in Krakau in der Jahresausstellung der Gesellschaft der Freunde der Schönen Künste/Towarzystwo Przyjaciół Sztuk Pięknych (TPSP) gezeigt. Auch ihre Sommerferien verbringt sie in Polen.
[5] Eliza Ptaszyńska: Alfred Wierusz-Kowalski, auf diesem Webportal, Seite 3
[6] Piotr Kopszak: In Munich, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 37
[7] Listen der polnischen Studenten an der Münchner Akademie bei Halina Stępień/Maria Liczbińska: Artyści polscy w środowisku monachijskim w latach 1828-1914. Materiały źródłowe, Warschau 1994, Seite 15 ff. Biographien der polnischen Künstler auch in der Encyclopedia Polonica auf diesem Webportal.
[8] Hans-Peter Bühler: Jäger, Kosaken und polnische Reiter. Josef von Brandt, Alfred von Wierusz-Kowalski und der Münchner Polenkreis, Hildesheim 1993
[9] Piotr Kopszak: In Munich, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 38
Bei ihrer Suche nach einem neuen Lehrer denkt Boznańska zunächst an den norwegischen Porträtmaler Carl Frithjof Smith (1859-1917) und an Paul Nauen (1859-1932), der ebenfalls als Porträtist arbeitet und Kinderbildnisse malt. Beide haben an der Münchner Kunstakademie studiert, nehmen aber zu dieser Zeit keine Schüler an. Schließlich entscheidet sie sich für den Figuren-, Bildnis- und Stilllebenmaler Wilhelm Dürr (d.J., 1857-1900), der seit der Münchner Kunstausstellung von 1883 von der französischen Freilichtmalerei und von den deutschen Naturalisten Fritz von Uhde und Max Liebermann beeinflusst ist. Bei ihm studiert sie aber nur einige Monate. Bei dieser Wahl wird endgültig deutlich, dass sie sich für Porträts, Kinderbilder, Stillleben und Interieurs interessiert, jene Themen, denen sie sich künftig fast ausschließlich widmen wird. Sie arbeitet emsig, wie sie später berichtet, vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang, und geht kaum aus.[10] Aber sie lebt nicht zurückgezogen. Ihre beste Freundin ist die aus Königsberg stammende Malerin Hedwig Weiß (1860-1923), die ebenfalls bei Dürr und bei Uhde studiert und mit der sie sich ein Atelier teilt. Zu ihrem Freundeskreis gehören der aus Łódź stammende Maler Samuel Hirszenberg (1865-1908), der 1880 in Krakau studiert hat und 1883-87 bei Wagner an der Münchner Akademie eingeschrieben ist, der Grafiker, Maler und Bildhauer Ignacy Łopieński (1865-1944), der 1888 sein Studium bei Wagner aufnimmt, und schließlich der aus Warschau stammende Maler und Bildhauer Wacław Szymanowski (1859-1930), der 1880 von Paris nach München gewechselt ist, dort bei Ludwig von Löfftz studiert hat und schließlich 1891 gemeinsam mit dem Wagner-Schüler Stanisław Grocholski (1858-1932) in München-Pasing eine Malschule gründet. 1889 eröffnet Boznańska in der Theresienstraße ihr eigenes Atelier. Mit dem Maler und Architekten Józef Czajkowski (1872-1947), der 1892-95 in München und anschließend in Paris, Wien und Krakau Akademien und Kunstschulen besucht, wird sie sich irgendwann verloben.
Unter dem Einfluss von Dürr und vermutlich auch durch Anregungen von Weiß, die diese wiederum von Uhde erhält, wird Boznańskas Palette plötzlich farbig und hell. Uhde zeigt in diesen Jahren Kinderszenen, bei denen Sonnenlicht, das durch Fenster in Innenräume fällt, die Gesichter und Figuren zum Leuchten bringt wie bei der religiösen Szene „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ (1884, Museum der bildenden Künste, Leipzig) und dem „Tischgebet“ (1885, Alte Nationalgalerie, Berlin) bis hin zu der ganz von Licht durchfluteten „Kinderstube“ (1889, Hamburger Kunsthalle). Boznańska malt 1888 das „Bildnis einer jungen Dame mit rotem Sonnenschirm“ (1888, Abb. 3) dessen Hauptmotiv neben dem Porträt mit dem rosigen Inkarnat und den blauen Augen, dem bayerischen Hut und dem duftigen weißen Kleid der japanische Papierschirm im Hintergrund ist. Mögliches Vorbild ist ein etwas größeres Pastell der in Paris lebenden polnischen Künstlerin Anna Bilińska (1857-1893), „Frau im Kimono mit japanischem Sonnenschirm“ aus demselben Jahr, deren Bildmotive häufig mit denen von Boznańska korrespondieren.[11] Werke von Bilińska sind 1883-95 in Krakau, 1890 und 1892 in München und 1891 auf der Internationalen Kunstausstellung in Berlin zu sehen, auf der auch Boznańska ausstellt. Ob sich die beiden Künstlerinnen gekannt haben, ist nicht belegt. Dessen ungeachtet hat Boznańska in diesen Jahren ein besonderes Faible für den Japonismus, also die Übernahme von Motiven und Kompositionsprinzipien aus dem japanischen Farbholzschnitt. 1889 malt sie das Porträt einer „Japanerin“ (Abb. 6) und 1892 ein weiteres Damenbildnis mit einem japanischen Sonnenschirm (Abb. 15).
[10] Ebenda
[11] Ewa Bobrowska: Olga Boznańska and Her Artistic Friendships, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 86-89, Abb. 39
Japanische Farbholzschnitte sind seit 1860 mit Porzellan- und Teefrachten aus Japan in französische Häfen und von dort in den Asiatika- und Antiquitätenhandel in Paris gelangt. Sie haben eine Jahrzehnte anhaltende Japanmode ausgelöst. Einer der ersten europäischen Maler, der diese Farbholzschnitte 1862 im Hafen von Le Havre für sich entdeckt hat, ist der in Paris und London ansässige Amerikaner James Abbott McNeill Whistler (1834–1903), der in den folgenden Jahren mehrere Damenporträts in japanischem Kostüm oder mit entsprechenden Utensilien malt.[12] Darunter ist eine am Kamin stehende junge Frau in einem duftigen weißen Kleid mit einem japanischen Fächer, „Symphony in White, No. 2: Little White Girl“ (1864, Tate Britain, London). Schon Zeitgenossen haben eine enge Verbindung von Boznańskas Malerei zu der von Whistler gesehen.[13] Eine große Auswahl von dessen Gemälden ist auf der III. Internationalen Kunstausstellung 1888 im Münchner Glaspalast zu sehen, auf der auch Boznańska mit einer „Studie“ vertreten ist.[14] Whistlers „Kleines weißes Mädchen“ ist dort allerdings erst 1892, wieder zusammen mit Gemälden von Boznańska, ausgestellt.[15] Für heutige Augen wirkt ihre „Junge Dame mit rotem Sonnenschirm“ modern und wäre ohne Kenntnis der Begleitumstände mühelos in die Zeit um 1900 zu datieren. Dazu trägt vor allem die summarische Behandlung des weißen Kleids bei, die weit von Whistlers Feinmalerei entfernt ist. Aber auch ein anderer Einfluss ist zu erkennen: Das etwas grobe, zur Seite geneigte Porträt von Boznańskas „Junger Dame“ mit dem charakteristischen schwarzen Hut erinnert an die ebenfalls weithin bekannten Damenbildnisse des Münchner Malers Wilhelm Leibl (1844-1900), des einzigen Künstlers, den Boznańska später als bedeutendes Vorbild erwähnen wird.[16] Man denke an Leibls „Kopf eines Bauernmädchens“ (1879, Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden), die berühmten „Drei Frauen in der Kirche“ (1882, Hamburger Kunsthalle) oder das „Mädchen mit der Nelke“ (1880/81, Belvedere, Wien).
Die folgenden Gemälde aus den Münchner Jahren belegen, dass sich die Malerin mit verschiedenen zeitgenössischen und historischen Kunstrichtungen auseinandergesetzt hat, ohne dass die Hinweise jedoch immer eindeutig wären. Das Porträt einer jungen Frau mit entblößter Schulter, auch „Zigeunerin“ genannt (1888, Abb. 4), vermutlich ein Ateliermodell, erinnert durch das zum Stirnband verknotete Kopftuch und den aufreizenden Blick an den „Bohémien“ (1861/62, Louvre Abu Dhabi) von Edouard Manet, der ursprünglich zum Gruppenbild eines Zigeunerpaars („Les Gitans“) gehört hat. Boznańska malt das Bild vermutlich während der Sommerferien in Krakau, wo es im Folgejahr in einer Ausstellung der TPSP gezeigt wird und später aus dem Besitz einer Tochter des Architekten und stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt, Józef Sare (1850-1929), in das dortige Nationalmuseum gelangt.
[12] Klaus Berger: Japonismus in der westlichen Malerei 1860-1920, München 1980, Seite 19, 36-53 usw.
[13] Ewa Bobrowska: Olga Boznańska and Her Artistic Friendships, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 74
[14] Illustrierter Katalog der III. Internationalen Kunstausstellung (Münchener Jubiläumsausstellung) im Königl. Glaspalaste zu München 1888, München 1888, Whistler Nr. 2452-2465, Boznańska Nr. 704; online: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00002401/images/index.html?seite=00001&l=de
[15] Illustrierter Katalog der VI. Internationalen Kunst-Ausstellung 1892 im Kgl. Glaspalaste, 1. Juni - Ende Oktober, München 1892, Whistler Nr. 1950-1950b, Boznańska Nr. 244-245; online: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00002406/images/index.html?seite=00001&l=de
[16] Piotr Kopszak: In Munich, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 44
Boznańskas „Blumenmädchen“ (1889, Abb. 5), eines der frühesten Kinderbilder und ein seltenes Genremotiv der Künstlerin, ausgestellt auf derselben Schau der TPSP, rekapituliert das Bildkonzept von Manets „Intérieur à Arcachon“ (1871, Clark Art Institute, Williamstown, MA) mit dem am Fenster stehenden Tisch, der dahinterliegenden Stadtlandlandschaft, identischem Wandaufbau und oben angeschnittenem Fenster. Aber auch die zahlreichen zeitgenössischen Bilder von „Näherinnen“, die am Fenster sitzen, unter anderem von Uhde (1883, Kunsthalle Karlsruhe) oder dem Finnen Albert Edelfelt (1854-1905), von dem ein gleichnamiges Motiv 1888 auf der Internationalen Kunstausstellung in München zu sehen ist,[17] können mögliche Vorbilder gewesen sein. Boznańskas „Japanerin“ aus demselben Jahr (1889, Abb. 6) orientiert sich mit dem weißen Kleid und dem charakteristischen Fächer an Whistlers „Little White Girl“. Noch umfassender wendet sie sich mit dem Gemälde „Nach dem Spaziergang“ (1889, Abb. 7) Whistlers in sogenannten „Farbsinfonien“ gestaltetem Kolorit zu, einer eng begrenzten, aber reich variierten Farbskala aus Schwarz, Weiß und Grautönen, wie sie bei dessen „Arrangement in Grau und Schwarz, Nr. 1“ (1872, Musée d'Orsay, Paris), dem Porträt der Mutter, zu sehen ist. Aus Whistlers „Harmonie in Grau und Grün“, dem Bildnis der „Miss Cicely Alexander“ (1872/74, Tate London), scheint Boznańska die Margeritenblüten übernommen zu haben, aus Manets „Im Wintergarten“ („Dans la Serre“, 1879, Alte Nationalgalerie, Berlin) den auf dem Schoß liegenden Schirm. Boznańskas Gemälde wird noch im selben Jahr im Kunstsalon von Aleksander Krywult in Warschau präsentiert. Von der Kritik wird es kühl aufgenommen.
Zwischen 1890 und 1892 malt Boznańska in München und Krakau vorwiegend Damen- und Kinderporträts. Das repräsentative und großformatige Bildnis von Zofia Federowicz (1890, Abb. 8), Tochter eines Krakauer Stadtrats und Ehefrau des Kaufmanns und Politikers Jan Kanty Ferderowicz (1858-1924), weist die Künstlerin als begabte Porträtistin aus, die sich nicht vor ungewöhnlichen Posen und Bildhintergründen scheut und ein Kleid geschickt in die Komposition zu drapieren weiß. Die Atelierwand, an der Gemälde, Reproduktionen und möglicherweise japanische Farbholzschnitte hängen beziehungsweise angeheftet sind, ist ebenso wie die Sitzhaltung mit Manets Porträt von Emile Zola (1868, Musée d'Orsay, Paris) verglichen worden.[18] Die Wände in Boznańskas Ateliers, hier vermutlich in Krakau, aber auch in der Münchner Theresienstraße und ab 1894 in der Georgenstraße in München-Schwabing, sind jedoch tatsächlich mit lose aufgehängten Zeichnungen, Reproduktionen, Fotos und Landkarten übersät gewesen, wie eine Fotografie von 1892/94 belegt.[19] Auf dem Gemälde ebenso wie auf dem späteren Atelierfoto ist die Reproduktion einer der Infantinnen-Porträts von Diego Velázquez zu erkennen, vermutlich die „Infantin Margarita Teresa in rosafarbenem Kleid“ (1653/54, Kunsthistorisches Museum Wien). Boznańska könnte die Infantinnen-Serie im Kunsthistorischen Museum in Wien schon als Sechzehnjährige anlässlich der Familienreise zur Weltausstellung 1881 gesehen haben. Zwei ihrer Jugendfreundinnen aus der Zeit an der Krakauer Baraniecki-Schule, Irena Serda (‑Zbigniewiczowa, 1863-1954) und Joanna Seiffman (‑Getterowa), welche 1895-98 in München studiert, berichten ebenso wie Czajkowski von Boznańskas außerordentlichem Interesse an Velázquez, das später auch polnischen Kritikern anhand der Porträtgemälde auffallen wird.[20]
[17] Illustrierter Katalog der III. Internationalen Kunstausstellung (Münchener Jubiläumsausstellung) im Königl. Glaspalaste zu München 1888, München 1888, Nr. 920; online: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00002401/images/index.html?seite=00001&l=de
[18] Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 170; Ausst.-Kat. Olga Boznańska (1865-1940), Warschau 2015, Seite 111
[19] Olga Boznańska in ihrem Atelier in München, 1892/94, Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie, Inv. Nr. MNK VIII-a-rkps-1064/6, abgebildet im Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 312
[20] Ewa Bobrowska: Olga Boznańska and Her Artistic Friendships, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 63-74
Bei Bildern, die Genremotiven ähneln, sehen wir die Malerin jedoch auf der Suche nach der endgültigen Form. Für die „Bretonin“ (1890, Abb. 9), bei der erneut eine Stadtlandschaft durch das geöffnete Fenster sichtbar wird, kommen thematisch entsprechende Gemälde aus der Schule von Pont-Aven, also von Émile Bernard, Paul Gauguin und Vincent van Gogh, kaum als Vorbilder infrage. Stattdessen sehen wir ein Werk der Freilichtmalerei, das Uhde oder Bilińska nahesteht. Das überformatige Gemälde „In der Orangerie“ (1890, Abb. 10) und das immer noch große Bild „Mädchen mit einem Gemüsekorb“ (1891, Abb. 12) zeigen junge Frauen in sinnender Pose, gemalt in farbigem Pleinair, bei denen Gegenstände des Gebrauchs, ein Blumen- und ein Gemüsekorb, als bloße Requisiten fungieren. Ebenfalls wandfüllendes Format hat das „Karfreitags“-Bild (1890, Abb. 11), das eine kniende Ordensfrau bei der Anbetung des Kreuzes vor der Kapelle der Seligen Salome in der Krakauer Franziskanerkirche/Kościół Franciszkanów zeigt.[21] Die beiden in Krakau entstandenen Bilder im Salonformat, „In der Orangerie“ und „Karfreitag“, sind noch im Entstehungsjahr in der TPSP zu sehen. Fast scheint es, als habe Boznańska ihr ganzes Können: Genre‑, Blumen‑, und Freilichtmalerei, Interieur, ausgefeilte Perspektive, die verschiedenen Effekte und Wirkungen des Lichts und nicht zuletzt das große Format, der Öffentlichkeit präsentieren wollen.
Noch im selben Jahr kehrt sie zum reinen Porträt zurück. Ihr „Bildnis eines Jungen in Schuluniform“ (um 1890, Abb. 13) zeigt sie wieder auf der Höhe ihres Könnens als Porträtmalerin. Die Konzentration auf eine reiche Palette von Grautönen, zu denen das rosige Inkarnat in lebendigem Kontrast steht, dokumentiert erneut ihre Nähe zu Whistler. Die klar umrissene Figur vor einem Hintergrund, der eigentlich nur Farbe ist, erinnert jedoch an Manet: an dessen „Flötenspieler“ („Le fifre“, 1866, Musée d'Orsay), dann an den sechzehnjährigen und in ähnlichen Farben gehaltenen Léon im „Frühstück im Atelier“ („Le déjeuner dans l'atelier“, 1868, Neue Pinakothek, München) oder auch an die in Grau- und Blautönen wiedergegebenen Soldaten vor grauer Wand in der „Erschießung des Kaisers Maximilian von Mexiko“ (1868/69, Kunsthalle Mannheim). Ihre Damenporträts, bei denen allein das Gesicht und die Hände gegen das Schwarz der Kleider, der Hüte und Frisuren hervorstechen, orientieren sich wieder an einem Bildnis von Whistler, dem „Arrangement in Black: The Lady in the Yellow Buskin“ (um 1883, Philadelphia Museum of Art). Es sind das Porträt von Boznańskas Mutter (um 1890, Nationalmuseum Stettin/Muzeum Narodowe w Szczecinie), das Bildnis einer Reiterin (1891, Nationalmuseum Kielce/Muzeum Narodowe w Kielcach) sowie das nicht identifizierte „Porträt einer Dame“ (1891, Abb. 14). Dieses ist nicht nur durch die belebte Tapete im Hintergrund ungewöhnlich. Die exzellente Darstellung der Hände, die wie beiläufig einen Rosenzweig halten, wird zwei Jahre später, 1893, Aufsehen auf der Großen Berliner Kunststellung erregen, auf der das Gemälde zusammen mit dem Bild „In der Orangerie“ (Abb. 10) ausgestellt wird.[22]
[21] Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 169
[22] Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 174; Katalog Große Berliner Kunstausstellung 1893, S. 19, Nr. 167: Bildnis, Nr. 169 Im Treibhause, online: http://www.digishelf.de
Weitaus privateren Charakter hat das Damenbildnis mit einem japanischen Sonnenschirm (1892, Abb. 15), das eine Unbekannte in rotem Kleid sitzend auf einem niedrigen Fensterbrett zeigt. Wieder wird durch das Fenster eine Stadtlandschaft sichtbar. Auf Atelierbildern der Malerin (1890, Privatsammlung; Museum Lublin/Muzeum Lubelskie) sind weitere japanische Schirme als Wanddekoration zu erkennen.[23] Einen trägt sie selbst auf einer Fotografie, die sie im Malkittel vor einem Tisch mit Pinseln und Farbtuben zeigt und die 1893 in Krakau aufgenommen worden ist (Abb. 16). Die rote Dame könnte also ebenfalls im Fenster eines der Ateliers gemalt worden sein, sei es in Krakau oder in der Münchner Theresienstraße, bei einer von Boznańskas Freundinnen oder bei ihrem Verlobten Józef Czajkowski, der ab 1892 bei dem Historien‑ und Genremaler Johann Caspar Herterich (1843-1905) an der Münchner Akademie studiert. Ihn malt Boznańska zu dieser Zeit im schwarzen Anzug, aber vor farbigem Hintergrund und im Stil der Freilichtmalerei (Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie).[24] Vermutlich ist es Czajkowski, der auf dem etwas später entstandenen Atelierbild auf dem grünen Sofa am rechten Bildrand zu sehen ist (Abb. 17).
Im November 1892 stirbt Boznańskas Mutter in Krakau. Gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Schwester reist sie nach Paris um die Verwandten mütterlicherseits zu besuchen und trifft dort auch ihren Vetter, den angesehenen Grafiker Daniel Mordant (1853-1914), zu dem sie fortan einen engen Kontakt pflegt. Czajkowski wird 1896 nach Paris gehen, um an der Académie Julian bei Jean-Paul Laurens (1838-1921), Jean-Joseph Benjamin-Constant (1845-1902) und bei Whistler zu studieren. Ab 1900 lebt er wieder in Krakau. Bei einem kurzen Besuch in Paris löst er die Verlobung mit Boznańska auf, weil beide immer weit entfernt voneinander leben. Er arbeitet später als Architekt, Innenraum-Designer und Professor an den Kunstakademien in Krakau, Wilna und Warschau.[25]
1893 kommt doch noch eine Verbindung zu Paul Nauen zustande, in dessen Privatschule Boznańska eigentlich hatte studieren wollen. Hedwig Weiß und eine weitere Freundin, Helena Kossobudzka, die von 1893 bis 1900 in München lebt, zeigen Nauen ein Selbstporträt von Boznańska, das diese nach dem Tod der Mutter von sich in Trauerkleidung gemalt hat. Nauen bittet die Malerin, sie porträtieren zu dürfen und diese willigt ein. Er zerstört das frisch gemalte Bildnis zwar noch vor der Fertigstellung, weil es den Charakter der Abgebildeten nicht angemessen wiedergegeben habe. Sie revanchiert sich dennoch mit einem Porträt, das Nauen (1893, Abb. 18) in einer dreiviertellangen Jacke auf dem geblümten Sofa in ihrem Atelier in der Theresienstraße neben einem Tischchen mit einer japanischen Teetasse zeigt. Es habe an diesem Morgen geregnet, wird sie später berichten, und Nauen sei mit hochgeschlagenem Kragen zur Tür hereingekommen: „Genau das wollte ich malen.“[26] Im selben Jahr erhält sie auf einer Ausstellung der Münchner Künstlergenossenschaft für ein Bildnis des Bruders von Samuel Hirszenberg eine Goldmedaille. Sie nimmt an Ausstellungen in Prag und in der Berliner Kunsthandlung Amsler & Ruthardt teil und reist erneut zu den Verwandten nach Paris. Durch das Porträt von Paul Nauen wird die Malerin europaweit berühmt. 1894 erhält sie dafür auf der Universal-Ausstellung polnischer Kunst in Lemberg/Lwów/Lviv eine Silbermedaille, auf der III. Internationalen Kunstausstellung in Wien eine Goldmedaille, die ihr vom Bruder des österreichischen Kaisers, Erzherzog Karl Ludwig, überreicht wird.[27] Auf der Zachęta-Ausstellung in Warschau 1895 wird das Gemälde mit dem zweiten Preis ausgezeichnet und im Folgejahr vom Nationalmuseum in Krakau als erstes Bild der Künstlerin für eine nationale Sammlung angekauft. Der Erfolg ebnet ihr in München und in Polen den Weg als Porträtmalerin.
[23] Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 113, 115; Ausst.-Kat. Olga Boznańska (1865-1940), Warschau 2015, Seite 176 f.
[24] Abbildung im Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 175
[25] Zu Józef Czajkowski vergleiche die Biografie in der Encyclopedia Polonica auf diesem Webportal sowie den Artikel von Janusz Antos auf culture.pl, http://culture.pl/en/artist/jozef-czajkowski
[26] Marcin Samlicki: Olga Boznańska, in: Sztuki Piękne, 1925/26, Nr. 3, Seite 106-107, zitiert nach: Piotr Kopszak: In Munich, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 42 f.
[27] Ebenda, Seite 43. Vergleiche: Sammlungen und Ausstellungen, in: Kunstchronik. Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe, Neue Folge 5, 1894, Heft 28, 14.6.1894, Spalte 449; online: http://digi.ub.uni-heidelberg.de
Eine größere Anzahl von Porträts dürfte bis heute unbekannt geblieben sein, weil sie sich noch in Familienbesitz befinden oder weil sie während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen sind. Andere befinden sich in Privatsammlungen oder sind aus Privatbesitz und durch Vermächtnisse in die Museen gekommen. Darunter sind das Porträt des Zahnarztes Doktor Woszycki (um 1896/1899, Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie), das Bildnis des Malers und Bühnenbildners Franciszek Siedlecki (1867-1934), der ab 1889 in München bei Franz von Stuck studiert und zu Boznańskas Freunden gehört hat (1896, Sammlung Krzysztof Musiał), die Porträts des Philosophen und Schriftstellers Michał Henryk Dziewicki (1851-1928) und der Englischlehrerin Gertruda Dziewicka, seiner Schwester (beide 1897, Princes Czartoryski Foundation/Fundacja Książąt Czartoryskich), ebenfalls Bekannte der Malerin, ein weiteres Porträt von Czajkowski (1894) und eines von Boznańskas Freundin Irena Serda (1896, beide Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie). Alle Porträtierten sind nach dem Vorbild von Paul Nauen sitzend, aber mit verschiedenen Posen und in unterschiedlicher Farbigkeit dargestellt.[28]
Daneben malt die Künstlerin immer wieder Selbstporträts, die sie mal gelöst und in Alltagskleidung (1893, Abb. 19), mal kritisch und in schwarzem Gewand (1896, Abb. 20) oder selbstbewusst im Malkittel (um 1897, Abb. 21) zeigen. Diese Selbstbildnisse stellen, in regelmäßigen Abständen und in nicht unbedeutender Zahl entstanden, in Öl oder Pastell, auf Pappe, Leinwand oder Papier, in unterschiedlichen Formaten, mal skizzenhaft, mal repräsentativ ausgeführt, ein Mittel zur Selbstbefragung dar. Vielleicht sind sie aber auch eine Möglichkeit, immer wieder andere Formen des Porträts an sich selbst auszuprobieren. Die Künstlerin zeigt sie öffentlich und verkauft sie auch. Das etwa 1897 entstandene großformatige Pastell beispielsweise (Abb. 21) stellt sie 1906 zusammen mit anderen Werken im Verband polnischer Künstler „Sztuka“/Towarzystwo Artystów Polskich „Sztuka“ in Krakau aus. Es wird vom damaligen Direktor, Feliks Kopera (1871-1952), für das Krakauer Nationalmuseum erworben, gelangt dann durch Tausch in den Besitz des Sammlers und Kunstkritikers Feliks Jasieński (1861-1929), der Boznańska gelegentlich bei Verkäufen ihrer Werke hilft und der durch seine umfangreiche Sammlung japanischer Kunst bekannt geworden ist, und kommt schließlich als Schenkung von ihm zurück in das Nationalmuseum.[29]
Auch die Reihe der Kinderbilder setzt Boznańska fort. Nach den Gemälden „Mädchen mit Sonnenblumen“ (1891, Muzeum Ziemi Lubuskiej, Zielona Góra) und „Mädchen mit dem weißen Taschentuch“ (1890/93, Privatbesitz) folgt 1893 die Studie einer sitzenden Frau, die ihre Tochter in den Armen hält (Abb. 22).[30] Der Typ des Mädchens mit den goldblonden Haaren und den auffallend dunklen Augen, der auch im Jahr darauf bei dem „Mädchen mit Chrysanthemen“ (Abb. 23) wiederkehrt, wird allgemein mit den Infantinnen-Porträts von Velázquez in Verbindung gebracht, wenn auch nicht mit der exakten Physiognomie, so doch mit dem selbstsicheren Blick und der autonomen Persönlichkeit der gemalten Vorbilder. Ebenfalls 1894 entsteht das „Porträt einer Frau mit weißer Bluse“ (Abb. 24), das möglicherweise eine Studie zu Bildern über die Mutterschaft ist. Boznańskas „Mädchen“-Bilder beeinflussen den zu dieser Zeit in Warschau arbeitenden Maler Józef Pankiewicz (1866-1940), dessen „Bildnis eines Mädchens im roten Kleid (Józefa Oderfeld)“ (1897, Nationalmuseum Kielce/Muzeum Narodowe w Kielcach) einen ähnlichen Typus zeigt und der sich ebenfalls sowohl an Velázquez als auch an Whistler orientiert hat.[31]
[28] Abbildungen im Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Nr. III.14-21
[29] Ebenda, Seite 121
[30] Das Bild „Studie zu einer Frau mit Mädchen“ (Abb. 22) befand sich ursprünglich auf der Rückseite des Selbstbildnisses im schwarzen Gewand (Abb. 20) und wurde 1933 von diesem aus konservatorischen Gründen getrennt.
[31] Ewa Bobrowska: Olga Boznańska and Her Artistic Friendships, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 73
Das „Mädchen mit Chrysanthemen“ ist 1896 auf der Internationalen Kunstausstellung in Berlin und im Wiener Sommersalon zu sehen. Ein Bild „Mädchen im Garten“ aus diesem Jahr (Abb. 25) ist vor allem als Farbstudie interessant. 1898 entsteht das Gemälde „Zwei Kinder auf der Treppe“ (Abb. 26), das noch im selben Jahr, in dem Boznańska nach Paris übersiedelt, in ihrer Ausstellung in der Pariser Galerie Georges Thomas unter dem Titel „Zwei rote Mädchen“ ausgestellt wird. 1904 wird es in der Ausstellung der TPSP in Krakau von dem Großgrundbesitzer Edward Aleksander Raczyński (1847-1926) für dessen Gemäldegalerie auf dem Familiensitz in Rogalin angekauft. Boznańskas „Mädchen“-Bilder zeigen eine Affinität zur Malerei des Symbolismus, auch wenn diese nicht eindeutig zu klären ist. Die statuarische Haltung und der starre Blick, ein weißes Taschentuch und die weißen Chrysanthemen könnten auf Franz von Stucks Bild der jugendlichen „Innocentia“ (1889, Sammlung Manoukian, Paris) verweisen, die eine weiße Lilie als Zeichen der Unschuld vor sich her trägt. Stucks Gemälde ist 1889 auf der Jahresausstellung der Münchner Künstlergenossenschaft zu sehen und wird umgehend verkauft. In der Malerei des Symbolismus sind der starre Blick aus dem Bild, goldblondes Haar, weiße Schleier, rote Kleider und Blusen, Hüte, die wie Heiligenscheine wirken, sämtlich Sinnbilder für das Stadium der Frau zwischen Kindheit und aufblühender Erotik. Sie sind ebenso wie die Ergriffenheit vor der Mutterschaft auch von anderen Malern dieses Stils, etwa von Pierre Puvis de Chavannes, Dante Gabriel Rossetti, Giovanni Segantini oder Edvard Munch, in großer Zahl gemalt worden.
Der außerordentliche Erfolg, den Boznańska mit dem Porträt von Paul Nauen gehabt hat, wird in den folgenden Jahren auch an einer stetig wachsenden Zahl von Ausstellungsbeteiligungen und Reisen deutlich. 1894 ist sie auf der Internationalen Kunst-Ausstellung der Münchner Secession mit einem nicht näher bezeichneten Porträt-Gemälde sowie Pastell-Bildnissen zweier Russen, eines „Frl. Komonovska“ und eines „Herrn Sviatlovsky“, beteiligt.[32] Auf der Großen Berliner Kunstausstellung ist sie mit einem Gemälde „Mutter und Kind“ und einer Studie vertreten.[33] In der vierten Ausstellung der Londoner Society of Portrait Painters in der New Gallery in der Regent Street wird sie für ein Porträt der deutsch-englischen Opernsängerin Marie Brema (1856-1925) mit einer ehrenvollen Erwähnung ausgezeichnet.[34] Neben ihrem Umzug in das neue Atelier in der Münchner Georgenstraße (Abb. 27) besucht sie erneut ihre Verwandten in Paris und begibt sich schließlich auf eine Europareise, während der sie Wien, Berlin, Weimar, Valencia, Avignon, Genf, Rapperswil und Mailand besucht.
[32] 1894. Verein Bildender Künstler Münchens e.V. Secession: Offizieller Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung des Vereins bildender Künstler Münchens (A.V.) "Secession", Seite 13, Nr. 41; Seite 33, 323, 324; online: http://digital.bib-bvb.de
[33] Grosse Berliner Kunstausstellung 1894. Katalog, Seite 11, Nr. 197, 198; online: http://digi.ub.uni-heidelberg.de
[34] Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 312
1895 übernimmt sie für eine gewisse Zeit die Leitung der Malschule des Landschafts‑ und Genremalers Theodor Hummel (1864-1939). Gemeinsam mit ihrer Schwester Iza reist sie in diesem Jahr in die Schweiz. 1895, 1896 und 1898 ist sie mit Porträtgemälden auf der Internationalen Kunstausstellung der Münchner Secession vertreten, ebenso auf der Großen Berliner Kunstausstellung der Jahre 1895, 1897 und 1898. 1896 erhält sie von Julian Fałat (1853-1929), der im Vorjahr zum Direktor der Schule für schöne Künste/Szkoła Sztuk Pięknych in Krakau berufen worden ist, das Angebot, die dort geplante Abteilung für Damen zu leiten, was sie jedoch ablehnt. 1896 und 1897 sind in den Kunstschauen der Société nationale des beaux-arts in den Ausstellungsgebäuden auf dem Pariser Marsfeld Kinderbilder von ihr zu sehen.[35] 1897 reist sie mit Irena Serda nach Paris. In München ist sie in diesem Jahr an einer Zeitschrift der polnischen Künstlergemeinde beteiligt, die unter dem Titel „Jednodniówka“ von der jüngeren Generation, unter anderem von Czajkowski, Władysław Wankie, Stanisław Radziejowski und Feliks Wygrzywalski, herausgegeben wird und die nur ein einziges Mal erscheint. Das Blatt folgt in seiner modernen buchkünstlerischen Gestaltung dem Stil der im Vorjahr gegründeten Münchner Zeitschrift „Jugend“ und enthält auf vierzig Seiten in lockerer Folge Gemäldereproduktionen, Grafiken und Vignetten der älteren und jüngeren polnischen Maler, darunter von Boznańska ein Damenporträt, sowie Prosa, Lyrik, dramatische Skizzen und Musikstücke polnischer Literaten und Komponisten.[36] 1898 zeigt Boznańska in der Ausstellung des Berliner Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen im Gebäude der Königlichen Akademie Unter den Linden zwei Kinderbilder, „Buben“ und „Mädchen mit Kind“.[37] In Krakau wird sie Mitglied des im Vorjahr gegründeten Verbands polnischer Künstler „Sztuka“/Towarzystwo Artystów Polskich „Sztuka“. In Paris zeigt sie 24 Werke in einer Zweierausstellung, die der Kunsthändler Georges Thomas (1842-1915) in seiner Galerie an der Avenue Trudaine mit ihr und ihrem Vetter, Daniel Mordant, veranstaltet.[38] Im Oktober 1898 verlässt sie München, geht nach Paris und bezieht dort eine Wohnung in der Rue Campagne Première Nr. 17 im Künstlerviertel Montparnasse unweit des Jardin du Luxembourg.
Der genaue Anlass ihrer Übersiedlung nach Paris ist nicht bekannt. Später wird sie sagen, sie sei ihrer Schwester Iza gefolgt, die ihr Studium nach einem Aufenthalt in der Schweiz in der französischen Hauptstadt habe fortsetzen wollen.[39] Tatsächlich dürften die familiären Bindungen und die Anziehungskraft von Paris als eigentliche Hauptstadt der europäischen Kunst in dieser Zeit der Grund gewesen sein. Während in München die Malerei des Realismus und des Naturalismus in den Neunzigerjahren vom Symbolismus und vom Jugendstil abgelöst wird, ist Paris immer noch die Stadt der Impressionisten. Auch Whistler hat dort seit 1892 sein Atelier, ebenfalls im Stadtviertel Montparnasse, wenige Straßen von Boznańskas künftiger Adresse entfernt. Schon seit 1895 hat sie sich nach Paris orientiert; denn Mordant übermittelt ihr im Februar des Jahres die Einlieferungsfristen der wichtigsten Ausstellungssalons,[40] darunter der Société nationale des beaux-arts auf dem Champ-de-Mars, wo sie aber erst im Folgejahr zugelassen wird. Die Ausstellung 1898 bei Georges Thomas, welcher vorwiegend junge und unbekannte Künstler zeigt, ihre erste Einzelausstellung, ist zugleich ihr erster Erfolg in Paris. Sie zeigt Porträts, Kinderbilder, Stillleben, Blumen, „Italiener“ und eine „Bretonin“, während Mordant Reproduktionsgrafik ausstellt, Kaltnadelradierungen nach Rembrandt, Rubens, Tiepolo, Delacroix und nach modernen Meistern wie Meissonier, Besnard und Carrière.[41]
[35] Exposition nationale des beaux-arts. Exposés au Champs-de-Mars. Catalogue illustré des ouvrages de peinture, sculpture et gravure, Paris 1896, Seite VIII, Nr. 192; Paris, 1897, Seite VIII, Nr. 169; online: https://archive.org
[36] Reprint in der Publikation: Jednodniówka - Eintagszeitung. Neuausgabe, herausgegeben von Zbigniew Fałtynowicz / Eliza Ptaszyńska, Muzeum Okręgowe w Suwałkach, Suwałki 2008, zugleich Katalog der Ausstellung „Signatur - anders geschrieben. Anwesenheit polnischer Künstler im Lichte von Archivalien“, Polnisches Kulturzentrum, München 2008; Digitalisat der historischen Zeitschrift „Jednodniówka“: https://polona.pl/item/373549/8/
[37] XVI. Kunst-Ausstellung des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen, Berlin 1898, Nr. 31, 32; online: http://www.digishelf.de
[38] Artikel zu Boznańskas Porträt des Kunsthändlers Georges Thomas, 1899, Privatbesitz, online: http://catalogue.gazette-drouot.com/ref/lot-ventes-aux-encheres.jsp?id=4002557
[39] Marcin Samlicki: Olga Boznańska, Sztuki Piękne 1925/26, Jg. 2, Nr. 3, Seite 106
[40] Ewa Bobrowska: Paris of Her Dreams, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 55
[41] Catalogue. Expositions des œuvres de Mlle Olga Boznanska (peinture) et de M. Daniel Mordant (gravure), Galerie G. Thomas, 17, avenue Trudaine, Paris [1898]
Durch Thomas lernt sie den einflussreichen Politiker und Kunstsammler Olivier Sainsère (1852-1923) kennen, zu dieser Zeit schon Präfekt und Staatskanzler, seit 1901 der erste Mäzen und Sammler von Pablo Picasso. Bei ihm sind sie und Iza häufig zu Gast. 1899 malt sie die Porträts des Ehepaars Sainsère, elf Jahre später das Familienbildnis der Tochter und des Schwiegersohns, des Arztes und späteren Nobelpreisträgers Charles Richet (1850-1935), die teils in französischem Privatbesitz, teils von Fotografien bekannt sind. Zu dieser Zeit verfestigt sich Boznańskas Malweise, das Inkarnat der Porträtierten in impressionistischer Weise aus kleinen Farbflecken zu gestalten, den Umriss der Figur aufzulösen und den Malgrund, meist eine bräunliche Malpappe, durchscheinen und in die Farbgestaltung mit einfließen zu lassen. Tendenziell ist der impressionistische Duktus auch schon früher zu beobachten, etwa bei der „Studie zu einer Frau mit Mädchen“ (1893, Abb. 22), wird jetzt aber zu einem durchgehenden Stilmerkmal der Künstlerin. 1899 entstehen in dieser Art das Bildnis der Malerin Anna Saryusz-Zaleska (Abb. 28), wohl einer Schulfreundin aus Krakau, des Malers Antoni Kamieński (1860/61-1933, Abb. 29), der in Warschau lebt, sich aber in diesen Jahren häufig in Paris aufhält, ein repräsentatives Porträt des Galeristen Georges Thomas (Privatbesitz)[42] und das Bildnis einer unbekannten Dame in einer blauen Bluse (Abb. 30). Mal mehr, mal weniger entsteht der Eindruck, dass die Porträtierten durch diese Malweise in einem Farbnebel und damit in einer entrückten Stimmung aufgehen. Französische Kunstkritiker haben dieses Phänomen mit Eugène Carriere (1849-1906) in Verbindung gebracht, zu dem Mordant eine enge Verbindung gepflegt hat. Boznańska selbst hat dies jedoch entschieden zurückgewiesen. Sie hat sich eher Édouard Vuillard (1868-1940) verbunden gefühlt, den sie nie persönlich kennen gelernt, der aber mit dem von ihr wenig geschätzten Pankiewicz verkehrt hat.[43]
Auch Kinderbilder entstehen weiterhin: das impressionistisch und farbenfroh gehaltene Bild „Großmutters Namenstag“ (um 1900, Abb. 31), dann das im dunstigen Porträtstil gemalte Gemälde einer „Nanny“ mit einem Kleinkind auf dem Arm (1899, Nationalmuseum Breslau/Muzeum Narodowe we Wrocławiu), unter dem Titel „Mutterschaft“ das Bild einer jungen Frau mit ihrem Säugling (1902, Privatbesitz), das Doppelporträt eines älteren Mädchens und eines Jungen (1907, Staatliche Kunstgalerie, Lviv) und schließlich das ganz in rosa Farbschleier aufgelöste Doppelporträt zweier Mädchen (1906, Abb. 32), dessen heutige Farbigkeit jedoch einer Übermalung durch den Maler Alfons Karpiński (1875-1961) zu verdanken ist, dessen spätere Ehefrau Władysława rechts auf dem Bild dargestellt ist.
Ihr hauptsächliches Arbeitsgebiet bleibt jedoch das Porträt. In großer Zahl hält sie nun Mitglieder der polnischen Gemeinde in Paris im Bild fest, die in diesen Jahren rund sechstausend Personen umfasst,[44] oder Polen, häufig von Rang und Namen, die vorübergehend in Paris ihren Aufgaben nachgehen. Darunter sind der Lehrer und Literaturhistoriker Dr. Antoni Marian Kurpiel-Łękawski, der 1899 bis 1900 ein Paris-Stipendium der Polnischen Akademie der Künste und Wissenschaften wahrnimmt (Regionalmuseum Rzeszów/Muzeum Okręgowe w Rzeszowie), der Biologe und Professor Jan Danysz (1860-1928; 1901, Privatbesitz), der Krakauer Architekt Franciszek Mączyński (1874-1947; 1902, Abb. 33), der an der Pariser Kunstakademie studiert, oder die Lehrerin, Übersetzerin und Sozialaktivistin Janina Dygat (1873-1941), Tochter eines polnischen Emigranten, deren Bildnis der französische Staat 1903 von der Malerin für das Musée du Luxembourg erwirbt und das später über den Louvre in das Musée d'Orsay gelangt.[45] 1903 malt sie das Bildnis der Malerin Maria Koźniewska-Kalinowska (1875-1968, Abb. 34), die ab diesem Jahr in Paris an der Académie Colarossi studiert und auch bei Boznańska Malstudien nimmt, zwischen 1904 und 1905 die Porträts von Samuel Hirszenberg (Staatliche Kunstgalerie, Lviv), des Pianisten und Chopin-Schülers August Radwan (1867-1958, Abb. 35) und der Lehrerin und Sozialaktivistin Zofia Kirkor-Kiedroń (1872-1952, Abb. 36), 1907 des Kunstsammlers Jasieński (Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie), des Krakauer Bildhauers Ludwig Puget (1877-1942, Abb. 37), der zu dieser Zeit in Paris an der Académie de la Grande Chaumière studiert, und das Bildnis der aus Lemberg/Lwów/Lviv stammenden Malerin Maria Bauer-Papara (1883-1933, Abb. 38), einer Freundin von Boznańska.
[42] Abbildung in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 67
[43] Ewa Bobrowska: Olga Boznańska and Her Artistic Friendships, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 82-85
[44] Ewa Bobrowska: Paris of Her Dreams, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 53
[45] Bildnis einer jungen Dame, 1903. Öl auf Pappe, 82,5 x 60,2 cm, signiert: Olga Boznańska 1903, Musée d'Orsay, Paris, Inv. Nr. RF 1980 72; online: http://www.musee-orsay.fr/en/collections/index-of-works/notice.html?no_cache=1&nnumid=016577&cHash=cf8a5f44b4 ; als „Bildnis von Fräulein Dygat“ im Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Nr. III, 37
Ebenso häufig porträtiert sie Persönlichkeiten der französischen Kunstwelt und der internationalen intellektuellen Kreise wie den Schriftsteller, Kritiker und Kunsthändler Henri Pierre Roché (1879-1959; um 1903, Privatbesitz), dann Hélène Istrati, die Ehefrau des Rumänischen Mikrobiologen am Pasteur-Institut, Constantin Levaditi (1874-1953; 1905, Privatbesitz), die US-amerikanische Autorin Natalie Clifford Barney (1876-1972; um 1907, Smithsonian American Art Museum, Washington), den Kunstkritiker Achille Segard (1872-1936; um 1910), den Kritiker der Kunstzeitschrift „Pan“, Pierre Tournier (um 1912), den Poeten, Stückeschreiber und Theaterkritiker Baron Édouard Franchetti (um 1912, Privatsammlung) und viele mehr. Boznańska gilt als jene Malerin, die bis zu ihrem Lebensende die meisten polnischen Künstler und Intellektuellen gemalt hat, ohne dass diese hier aufgezählt werden könnten. Die umfangreiche Reihe ihrer Porträts dokumentiert nicht nur ihre sozialen Kontakte, sondern stellt auch eine beeindruckende Chronik der polnischen und internationalen künstlerischen Kreise ihrer Zeit in Paris dar.[46] Für Polen, die nach Paris kommen, gehört das Malstudio von Boznańska zu den besonderen Anziehungspunkten neben den Ateliers des Bildhauers Cyprian Godebski (1835-1909) und des Malers Jan Chełmiński (1851-1925), dem Hôtel Lambert, der Residenz der Familie Czartoryski, und der Wohnung des Emigrantensohns, Buchhändlers, Literaten, Übersetzers und Mitbegründers der Polnischen Bibliothek, Władysław Mickiewicz (1838-1926), dessen Tochter Maria vor allem Künstler mit besonderer Herzlichkeit empfängt.[47]
Porträts, die Boznańska auf Pariser und internationalen Ausstellungen zeigt, sind jedoch bis etwa 1913 anonymisiert, das heißt sie nennen die Namen der Porträtierten gar nicht (Abb. 39, 40) oder nur mit deren Initialen. So zeigt sie 1910 im Tschechisch-Polnischen Pavillon der Biennale von Venedig neben einem Bild mit „Zwei Kindern“ das „Bildnis eines Herrn X.“ („Ritratto del Sig. X“) sowie das „Porträt einer Dame in Braun“ (um 1906, Abb. 41), die bis heute nicht identifiziert worden sind.[48] Die drei Porträtgemälde, die der französische Staat zu verschiedenen Zeiten von der Malerin angekauft hat, sind ebenfalls anonymisiert gewesen wie das „Porträt einer jungen Dame“, erworben 1904 aus dem Ausstellungssalon der Société nationale des beaux-arts, das erst jüngst als Bildnis der Janina Dygat identifiziert worden ist,[49] das Bildnis einer „Jungen Frau in Weiß“ von 1912, erworben aus dem Salon des betreffenden Jahres und mittlerweile entschlüsselt als Porträt von Elza Krause, der Tochter des Krakauer Architekten Józef Sare, sowie das Bildnis einer unbekannt gebliebenen „Madame D …“ aus dem Salon von 1913 (alle Musée d'Orsay, Paris).[50]
[46] Umfangreiche Listen der von Boznańska porträtierten Persönlichkeiten bei Ewa Bobrowska: Olga Boznańska and Her Artistic Friendships, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 95-97
[47] Ewa Bobrowska: Paris of Her Dreams, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 54
[48] IX esposizione internazionale d'arte della citta di Venezia, 1910. Catalogo, Venedig 1910, Seite 85, Nr. 4-6; online: https://archive.org/details/ixesposizioneint00bien
[49] Siehe Anm. 45
[50] Junge Frau in Weiß, 1912. Öl auf Pappe, 113 x 88 cm, signiert: Olga Boznańska 1912, Musée d'Orsay, Paris, Inv. Nr. RF 1980 71, LUX 1038, JdeP 316; online: http://www.musee-orsay.fr/en/collections/index-of-works/notice.html?no_cache=1&nnumid=016576&cHash=d289ec9e51 , als „Porträt von Elza Krause née Sare“ im Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Nr. III.60; Portrait de Madame D …, 1913. Öl auf Pappe, 117 x 71,5 cm, signiert: Olga Boznańska, Musée d'Orsay, Paris, Inv. Nr. RF 1980 73, LUX 999, JdeP 315; online: http://www.musee-orsay.fr/en/collections/index-of-works/notice.html?no_cache=1&nnumid=016578&cHash=9d0af99753
Geschickt platziert die Malerin ihre Werke auf den wichtigsten europäischen Ausstellungen. Im Jahr 1900 ist sie mit Kinderbildern auf der Großen Berliner Kunstausstellung,[51] mit dem Doppelporträt zweier „Italienerinnen“ auf der Internationalen Kunstausstellung der Münchner Secession vertreten.[52] Auf der Pariser Weltausstellung erhält sie für ihre Werke in der Österreichischen Abteilung eine „ehrenvolle Erwähnung“. Sie nimmt an einer Ausstellung polnischer Künstler in der Galerie Georges Petit in Paris teil und erhält für ihre in der Woman’s Exhibition im Londoner Earl’s Court ausgestellten Arbeiten eine Goldmedaille. 1902 nimmt sie zusammen mit der polnischen Künstlervereinigung Sztuka in Wien an der 15. Ausstellung der Wiener Secession teil und zeigt Werke in der Galerie Schulte in Berlin. Im selben Jahr kommt der junge polnische Bildhauer Bolesław Biegas (1877–1954) nach Paris, mit dem Boznańska und ihre Schwester sich anfreunden und der eine Bronzebüste der Malerin anfertigt (Abb. 42). 1903 ist sie mit zwei Porträts auf der Ausstellung der Berliner Secession vertreten,[53] 1904 mit einem „Mädchen“-Bild auf der Internationalen Kunstausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast.[54] Im selben Jahr wird sie Mitglied der Société nationale des beaux-arts, an deren Ausstellungen sie wie schon seit 1896 von nun an jährlich teilnimmt. 1906 reist sie zur Beerdigung ihres Vaters nach Krakau. Neben einem Blick aus ihrem dortigen Atelier (Abb. 43) entsteht auch ein Selbstporträt (Abb. 44).
Zurück in Paris malt sie den Blick aus ihrem neu bezogenen Malstudio am Boulevard du Montparnasse (Abb. 45). 1907 nimmt sie an Ausstellungen über die Kunst von Frauen in der Warschauer Zachęta und im Stedelijk Museum in Amsterdam teil. Für das Gemälde einer „Dame im schwarzen Kleid“ (1906, Privatbesitz) erhält sie in der Jahresausstellung des Carnegie Institute in Pittsburgh, an der sie 1905 erstmals teilgenommen hat, eine Medaille. 1908 und erneut 1912 lässt sie in ihrem Krakauer Elternhaus das Dachgeschoss zu einem lichtdurchfluteten Atelier umbauen (Abb. 46, 47). 1909 zeigt sie auf einer Frauen-Ausstellung in der Galerie le petit musée Beaudouin in der Rue du Faubourg Saint-Honoré 29 Werke. Ausstellungen in Budapest, Berlin, Wien und auf der Biennale von Venedig (1910), in Rom (1911), im Lyceum Club in Paris und in Amsterdam (1912) folgen. Von Oktober 1912 bis März 1913 lebt sie in Krakau, verbringt ihre Sommerferien auf dem Landsitz der Familie Pusłowski in Czarkowy und überwintert erneut in Krakau. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs ist sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angelangt (Abb. 48, 49). In einem Brief an Emanuel Pusłowski vom August 1913 berichtet sie, dass sie in Frankreich für den Orden der Ehrenlegion vorgeschlagen worden sei, ihn jedoch nicht erhalten habe. Sie wird Präsidentin der Künstlervereinigung Sztuka und erhält im Jahr darauf das Angebot einer Professur an der Warschauer Schule der schönen Künste/Szkoła Sztuk Pięknych, das sie jedoch ablehnt.
[51] Katalog Große Berliner Kunstausstellung 1900, Seite 9, Nr. 148: Frau mit zwei Kindern, Nr. 149: Die Kinderwärterin; online: http://www.digishelf.de/objekt/71859374X-1900/21/#topDocAnchor
[52] Offizieller Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung des Vereins bildender Künstler Münchens (e.V.) "Secession", München 1900, Nr. 22: Angelina, Kniestück, Nr. 23: Italiener, Köpfe; online: http://digital.bib-bvb.de . Abbildung des Gemäldes „Italiener“ in der Zeitschrift Die Kunst für alle, Bd. 15, 1899/1900, Heft 22, 15. August 1900, S. 483; online: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kfa1899_1900/0501?sid=661dd481a5c41152a8f9639a2f525b05&ft_query=Boznanska&navmode=fulltextsearch
[53] Katalog der siebten Kunstausstellung der Berliner Secession, Berlin 1903, Nr. 24, 25; online: https://archive.org/stream/katalogderausste07berl#page/18/mode/2up
[54] Katalog der internationalen Kunstausstellung Düsseldorf 1904 im Städtischen Kunstpalast, Düsseldorf 1904, Nr. 328; online: http://www.agraart.pl/pictures/boz/cat3.jpg
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verändert ihr Leben radikal. Der französische Kunstmarkt bricht zusammen, die Mieteinnahmen von ihrem Elternhaus in Krakau treffen in Paris nicht mehr ein. Während der Kriegsjahre finden kaum noch Ausstellungen statt. 1915 nimmt die Malerin an Schauen polnischer Kunst in Wien und Paris teil, 1918 an einer Ausstellung polnischer Maler und Bildhauer, die im Pariser Palais des Grafen Felix-Nicolas Potocki (1845-1921) zugunsten kriegsversehrter Polen abgehalten wird. Den Winter 1920/21 verbringt sie wieder in Krakau. Freunde wie Ludwik Puget versuchen sie zu überreden, in Polen zu bleiben. Sie übergibt jedoch die Verwaltung des Elternhauses an den Buchhalter und Kunstsammler Edward Chmielarczyk, kehrt nach Paris zurück und nimmt ihre Arbeit wieder auf. In zurückgezogenen Stunden entstehen Stillleben mit Dosen, Schalen, Vasen und japanischen Figuren und auch Blumenbilder (Abb. 50-53). Weiterhin porträtiert sie in großer Zahl Persönlichkeiten der Pariser Kunstwelt und der internationalen intellektuellen Kreise wie die amerikanische Malerin Jane Freeman (1871-1963), die Boznańska für das „Bildnis einer Dame mit einer dreifachen Perlenkette“ Modell sitzt (um 1922, Abb. 54). Wie zuvor entstehen bis zum Ende der Zwanzigerjahre in großer Zahl Porträts von Freunden und Freundinnen aus Krakau und Paris, deren Namen gelegentlich auf den Rückseiten der Gemälde vermerkt sind (Abb. 55, 56, 58, 60, 61), oder von polnischen Künstlern und Intellektuellen wie der in Paris ansässigen Ärztin und Psychologin Melania Lipińska (Mélanie Lipinska, 1865-1933; um 1926, Abb. 57) und der Schriftstellerin und Übersetzerin Julia Euzebia ze Skrochowskich Rylska (1884-1969; um 1930, Abb. 59), die in Paris studiert und ab 1926 in Krakau gelebt hat. Alle diese Porträts malt Boznańska wie gewohnt in impressionistischem, mehr oder minder pointilistischem Stil.
Während Paris die „wilden“ Zwanzigerjahre feiert, gilt Boznańska trotz ihrer zahlreichen gesellschaftlichen und künstlerischen Kontakte inzwischen als vereinsamt und verschroben. Die kubistische Malerin Alicja Halicka (1889-1974), in Krakau geboren, in München und Paris ausgebildet und von Boznańska um 1910 auf dem „Porträt dreier Schwestern“ (Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie) im Bild festgehalten, wird sie später als „einst berühmt“ schildern, inzwischen sei sie aber „unberechtigterweise“ völlig vergessen: „Sie malte vorwiegend Porträts, die sich zwischen Carrière und Pointilismus bewegten und lebte am Boulevard de Montparnasse in einem großen Atelier voller Mäuse, die nie bekämpft wurden. ‚Sie sind meine Freunde‘, hätte sie gesagt. Steif wie ein Schürhaken, hieratisch, das Gesicht mit einem merkwürdigen grünlichen Make-up geschminkt und den Kopf mit einer altertümlichen Mantilla bedeckt, benutzte sie deren Enden, um den Staub von einem ihrer Gemälde zu wischen, das sie zeigen wollte.“[55] Andere wie der Maler Józef Czapski (1896-1993) berichten, dass sie Boznańska Ende der Zwanzigerjahre getroffen hätten: „Und ich erinnere mich – ich mache die Kapisten dafür verantwortlich, das ist meine Gruppe – für die Tatsache, dass wir sie kaum zur Kenntnis genommen haben. Als wir nach Paris kamen, hatte der Konflikt zwischen den Abstrakten und den Kubisten schon begonnen – der gesamte Post-Impressionismus – und sie malte immer noch, als wäre nichts geschehen. Plötzlich war sie verschwunden. Wir haben darin versagt, ihr die nötige Ehre zu erweisen.“[56]
[55] Alice Halicka: Hier. Souvenirs, Paris 1946, Seite 34
[56] Józef Czapski in einem Gespräch über Olga Boznańska in der Polnischen Bibliothek in Paris am 3. Mai 1978, zitiert nach: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 97
Gleichwohl nimmt sie noch an Ausstellungen teil und erhält bedeutende Auszeichnungen. 1925 wird sie auf der Ausstellung Polnisches Porträt/Portret Polski der Gesellschaft zur Förderung der Schönen Künste/Towarzystwo Zachęty Sztuk Pięknych in Warschau, deren Mitglied sie drei Jahre später wird, mit höchsten Ehren bedacht. 1928 nimmt sie zum letzten Mal am Salon der Société nationale des beaux-arts teil. Außerdem werden Werke von ihr im Brooklyn Institute of Arts and Science in New York ausgestellt. 1929 nimmt sie letztmalig an den Ausstellungen des Carnegie Institute in Pittsburgh und am Salon des Tuileries in Paris teil. Im August 1930 reist sie nach Krakau und bleibt für ein Jahr. Die TPSP organisiert dort im Folgejahr eine Einzelausstellung für sie. 1932 stellt sie zum letzten Mal in der Künstlervereinigung Sztuka in Warschau aus. In den folgenden Jahren sind Werke von ihr in Gruppenausstellungen polnischer Kunst in Moskau (1933), Berlin und Warschau (1935), Paris und Warschau (1937) sowie in Posen/Poznań (1938) zu sehen. Eine Einzelausstellung mit 27 Werken findet 1938 auf der 21. Biennale von Venedig statt.
Schon Ende der Zwanzigerjahre hat sich ihre finanzielle Situation dramatisch verschlechtert. Ab 1932 reichen ihre Einnahmen, die vornehmlich aus der Vermietung des Krakauer Hauses bestehen, nicht mehr aus um in ihre Heimatstadt zu reisen. Die polnische Hauptstadt und der nationale polnische Kulturfonds unterstützen sie 1934 mit einigen tausend Złoty. Der Freitod ihrer Schwester Iza führt im selben Jahr zu ihrem psychischen und physischen Zusammenbruch. 1936 erwirbt der polnische Literaturhistoriker und Publizist Zygmunt Lubicz-Zaleski (1882-1967) einige ihrer Gemälde für den polnischen Staat. Im Mai 1937 wird durch das Engagement der Malerin Maja Berezowska (1893-1978) ein Komitee der Freunde von Olga Boznańska/Komitet Przyjaciół Olgi Boznańskiej gegründet, das Geld für Ankäufe ihrer Werke durch die Warschauer Nationalgalerie sammelt. Im Juli 1939 wird sie in ihrem Pariser Atelier durch den Kulturattaché der polnischen Botschaft mit dem Kommandeurskreuz des Ordens Polonia Restituta ausgezeichnet. Am 26. Oktober 1940 stirbt Olga Boznańska im Hôpital de la Pitié und wird auf dem Cimetière des Champeaux in der Stadt Montmorency nördlich von Paris, dem Friedhof der polnischen Gemeinde, beigesetzt.
Axel Feuß, September 2017
Literatur:
Helena Blumówna: Olga Boznańska, 1865-1940. Materiały do monografii, Warschau 1949
Olga Boznańska (1865-1940). Wystawa zbiorowa, Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie, Krakau 1960
Helena Blum: Olga Boznańska, Warschau 1974
Münchner Maler im 19. Jahrhundert, Band 1, München 1982, S. 121 f.
Saur Allgemeines Künstlerlexikon, Band 13, München/Leipzig 1996, S. 485 f.
Jednodniówka – Eintagszeitung. Neuausgabe, herausgegeben von Zbigniew Fałtynowicz / Eliza Ptaszyńska, Muzeum Okręgowe w Suwałkach, Suwałki 2008, zugleich Katalog der Ausstellung „Signatur - anders geschrieben. Anwesenheit polnischer Künstler im Lichte von Archivalien“, Polnisches Kulturzentrum, München 2008
Ewa Bobrowska/Urszula Kozakowska-Zaucha (Hrsg.): Olga Boznańska (1865-1940), Ausst.-Kat. Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie, Krakau 2014 (getrennte polnische und englische Ausgaben; dort weitere Literatur)
Renata Higersberger (Hrsg.): Olga Boznańska (1865-1940), Ausst.-Kat. Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, Warschau 2015 (zweisprachig polnisch/englisch)