Olga Boznańska. Krakau – München – Paris
Mediathek Sorted
Japanische Farbholzschnitte sind seit 1860 mit Porzellan- und Teefrachten aus Japan in französische Häfen und von dort in den Asiatika- und Antiquitätenhandel in Paris gelangt. Sie haben eine Jahrzehnte anhaltende Japanmode ausgelöst. Einer der ersten europäischen Maler, der diese Farbholzschnitte 1862 im Hafen von Le Havre für sich entdeckt hat, ist der in Paris und London ansässige Amerikaner James Abbott McNeill Whistler (1834–1903), der in den folgenden Jahren mehrere Damenporträts in japanischem Kostüm oder mit entsprechenden Utensilien malt.[12] Darunter ist eine am Kamin stehende junge Frau in einem duftigen weißen Kleid mit einem japanischen Fächer, „Symphony in White, No. 2: Little White Girl“ (1864, Tate Britain, London). Schon Zeitgenossen haben eine enge Verbindung von Boznańskas Malerei zu der von Whistler gesehen.[13] Eine große Auswahl von dessen Gemälden ist auf der III. Internationalen Kunstausstellung 1888 im Münchner Glaspalast zu sehen, auf der auch Boznańska mit einer „Studie“ vertreten ist.[14] Whistlers „Kleines weißes Mädchen“ ist dort allerdings erst 1892, wieder zusammen mit Gemälden von Boznańska, ausgestellt.[15] Für heutige Augen wirkt ihre „Junge Dame mit rotem Sonnenschirm“ modern und wäre ohne Kenntnis der Begleitumstände mühelos in die Zeit um 1900 zu datieren. Dazu trägt vor allem die summarische Behandlung des weißen Kleids bei, die weit von Whistlers Feinmalerei entfernt ist. Aber auch ein anderer Einfluss ist zu erkennen: Das etwas grobe, zur Seite geneigte Porträt von Boznańskas „Junger Dame“ mit dem charakteristischen schwarzen Hut erinnert an die ebenfalls weithin bekannten Damenbildnisse des Münchner Malers Wilhelm Leibl (1844-1900), des einzigen Künstlers, den Boznańska später als bedeutendes Vorbild erwähnen wird.[16] Man denke an Leibls „Kopf eines Bauernmädchens“ (1879, Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden), die berühmten „Drei Frauen in der Kirche“ (1882, Hamburger Kunsthalle) oder das „Mädchen mit der Nelke“ (1880/81, Belvedere, Wien).
Die folgenden Gemälde aus den Münchner Jahren belegen, dass sich die Malerin mit verschiedenen zeitgenössischen und historischen Kunstrichtungen auseinandergesetzt hat, ohne dass die Hinweise jedoch immer eindeutig wären. Das Porträt einer jungen Frau mit entblößter Schulter, auch „Zigeunerin“ genannt (1888, Abb. 4), vermutlich ein Ateliermodell, erinnert durch das zum Stirnband verknotete Kopftuch und den aufreizenden Blick an den „Bohémien“ (1861/62, Louvre Abu Dhabi) von Edouard Manet, der ursprünglich zum Gruppenbild eines Zigeunerpaars („Les Gitans“) gehört hat. Boznańska malt das Bild vermutlich während der Sommerferien in Krakau, wo es im Folgejahr in einer Ausstellung der TPSP gezeigt wird und später aus dem Besitz einer Tochter des Architekten und stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt, Józef Sare (1850-1929), in das dortige Nationalmuseum gelangt.
[12] Klaus Berger: Japonismus in der westlichen Malerei 1860-1920, München 1980, Seite 19, 36-53 usw.
[13] Ewa Bobrowska: Olga Boznańska and Her Artistic Friendships, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 74
[14] Illustrierter Katalog der III. Internationalen Kunstausstellung (Münchener Jubiläumsausstellung) im Königl. Glaspalaste zu München 1888, München 1888, Whistler Nr. 2452-2465, Boznańska Nr. 704; online: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00002401/images/index.h…;
[15] Illustrierter Katalog der VI. Internationalen Kunst-Ausstellung 1892 im Kgl. Glaspalaste, 1. Juni - Ende Oktober, München 1892, Whistler Nr. 1950-1950b, Boznańska Nr. 244-245; online: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00002406/images/index.h…;
[16] Piotr Kopszak: In Munich, in: Ausst.-Kat. Olga Boznańska, Krakau 2014, Seite 44