Olga Boznańska. Krakau – München – Paris
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Bei ihrer Suche nach einem neuen Lehrer denkt Boznańska zunächst an den norwegischen Porträtmaler Carl Frithjof Smith (1859-1917) und an Paul Nauen (1859-1932), der ebenfalls als Porträtist arbeitet und Kinderbildnisse malt. Beide haben an der Münchner Kunstakademie studiert, nehmen aber zu dieser Zeit keine Schüler an. Schließlich entscheidet sie sich für den Figuren-, Bildnis- und Stilllebenmaler Wilhelm Dürr (d.J., 1857-1900), der seit der Münchner Kunstausstellung von 1883 von der französischen Freilichtmalerei und von den deutschen Naturalisten Fritz von Uhde und Max Liebermann beeinflusst ist. Bei ihm studiert sie aber nur einige Monate. Bei dieser Wahl wird endgültig deutlich, dass sie sich für Porträts, Kinderbilder, Stillleben und Interieurs interessiert, jene Themen, denen sie sich künftig fast ausschließlich widmen wird. Sie arbeitet emsig, wie sie später berichtet, vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang, und geht kaum aus.[10] Aber sie lebt nicht zurückgezogen. Ihre beste Freundin ist die aus Königsberg stammende Malerin Hedwig Weiß (1860-1923), die ebenfalls bei Dürr und bei Uhde studiert und mit der sie sich ein Atelier teilt. Zu ihrem Freundeskreis gehören der aus Łódź stammende Maler Samuel Hirszenberg (1865-1908), der 1880 in Krakau studiert hat und 1883-87 bei Wagner an der Münchner Akademie eingeschrieben ist, der Grafiker, Maler und Bildhauer Ignacy Łopieński (1865-1944), der 1888 sein Studium bei Wagner aufnimmt, und schließlich der aus Warschau stammende Maler und Bildhauer Wacław Szymanowski (1859-1930), der 1880 von Paris nach München gewechselt ist, dort bei Ludwig von Löfftz studiert hat und schließlich 1891 gemeinsam mit dem Wagner-Schüler Stanisław Grocholski (1858-1932) in München-Pasing eine Malschule gründet. 1889 eröffnet Boznańska in der Theresienstraße ihr eigenes Atelier. Mit dem Maler und Architekten Józef Czajkowski (1872-1947), der 1892-95 in München und anschließend in Paris, Wien und Krakau Akademien und Kunstschulen besucht, wird sie sich irgendwann verloben.
Unter dem Einfluss von Dürr und vermutlich auch durch Anregungen von Weiß, die diese wiederum von Uhde erhält, wird Boznańskas Palette plötzlich farbig und hell. Uhde zeigt in diesen Jahren Kinderszenen, bei denen Sonnenlicht, das durch Fenster in Innenräume fällt, die Gesichter und Figuren zum Leuchten bringt wie bei der religiösen Szene „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ (1884, Museum der bildenden Künste, Leipzig) und dem „Tischgebet“ (1885, Alte Nationalgalerie, Berlin) bis hin zu der ganz von Licht durchfluteten „Kinderstube“ (1889, Hamburger Kunsthalle). Boznańska malt 1888 das „Bildnis einer jungen Dame mit rotem Sonnenschirm“ (1888, Abb. 3) dessen Hauptmotiv neben dem Porträt mit dem rosigen Inkarnat und den blauen Augen, dem bayerischen Hut und dem duftigen weißen Kleid der japanische Papierschirm im Hintergrund ist. Mögliches Vorbild ist ein etwas größeres Pastell der in Paris lebenden polnischen Künstlerin Anna Bilińska (1857-1893), „Frau im Kimono mit japanischem Sonnenschirm“ aus demselben Jahr, deren Bildmotive häufig mit denen von Boznańska korrespondieren.[11] Werke von Bilińska sind 1883-95 in Krakau, 1890 und 1892 in München und 1891 auf der Internationalen Kunstausstellung in Berlin zu sehen, auf der auch Boznańska ausstellt. Ob sich die beiden Künstlerinnen gekannt haben, ist nicht belegt. Dessen ungeachtet hat Boznańska in diesen Jahren ein besonderes Faible für den Japonismus, also die Übernahme von Motiven und Kompositionsprinzipien aus dem japanischen Farbholzschnitt. 1889 malt sie das Porträt einer „Japanerin“ (Abb. 6) und 1892 ein weiteres Damenbildnis mit einem japanischen Sonnenschirm (Abb. 15).