Polnische Plakatkunst in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit
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Aus historiografischer und rezeptionsgeschichtlicher Sicht sind diese Lobeshymnen auf die polnische Plakatkunst auch deshalb bemerkenswert, weil sie besonders deutlich ein rezeptionsgeschichtliches Klischee zu revidieren auffordern. Die westliche Kunstrezeption vor 1990 steht gemeinhin in dem Ruf, Kunst aus Mittel- und Osteuropa stets nur mit Ignoranz, Arroganz, bestenfalls paternalistischer Gönnerhaftigkeit begegnet zu sein und ihre Avantgarden, wenn überhaupt, allenfalls als epigonalen Abklatsch westlicher Strömungen wahrgenommen zu haben. In der Rezeption der polnischen Plakatkunst, v. a. der 1960er Jahre, war entschieden das Gegenteil der Fall – sie war diejenige, die im Westen anerkanntermaßen Maßstäbe setzte und dort den eigenen Grafikern als leuchtendes Vorbild wärmstens empfohlen wurde. „[S]chamrot [könnte man] werden“, schrieb z. B. der bereits zitierte Erich Pfeiffer-Belli, wenn man die „graphischen Dürftigkeiten“ mancher westdeutscher Plakate mit den polnischen Arbeiten vergliche. Und er empfahl nachdrücklich: „Die deutschen Gebrauchsgraphiker sollten sich diese Arbeiten genau betrachten, nicht um zu kopieren, sondern um sich zum Experiment ermutigen zu lassen.“[4]
Auch der volkspädagogische Wert der polnischen Plakatkunst wurde nicht nur auf polnischer Seite, sondern auch in der westdeutschen Rezeption immer wieder hervorgehoben. Als Kunst des öffentlichen Raums betrachtete man sie gewissermaßen als die Kunsterzieherin des Volkes, und mancher westdeutscher Kunstkritiker oder Kunstpädagoge schielte etwas neidisch nach Polen, wo man guten Geschmack buchstäblich auf der Straße, an Litfaßsäulen und Hauswänden erlernen könne – vermutlich eine grobe Überschätzung dieses Mediums, aber das sei hier dahingestellt. (Abb. 4)
[4] Pfeiffer-Belli, SZ, 27.03.1962, S. 12. Fairerweise sei hinzugefügt, dass es dank Vertretern wie z. B. Hans Hillmann auch um die westdeutsche Plakatkunst nicht derart schlecht bestellt war, wie Pfeiffer-Belli suggeriert.