Polnische Plakatkunst in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit
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5. „Polnische Plakatschule“?
Der Erfolg schlug sich nicht zuletzt darin nieder, dass auch in der Bundesrepublik bald nur noch von „der polnischen Plakatschule“ gesprochen wurde, und diese Bezeichnung hält sich bis heute. Wann, wie und durch wen der Begriff in Umlauf kam, ist ebenso umstritten wie die Frage, was die polnische Plakatschule als solche auszeichnen soll, und bereits zur zeitlichen Eingrenzung gibt es unterschiedlichste Vorschläge. Problematisch oder zumindest irreführend ist der Begriff allerdings auch insofern, als er eine Einheitlichkeit und Geschlossenheit suggeriert, die kaum gegeben war. Nicht nur zwischen den folkloristisch-humoristischen Operettenplakaten eines Józef Mroszczak aus den frühen 1960er Jahren und den Plakaten eines Starowieyski aus den 1980er Jahren scheinen Welten zu liegen (vgl. Abb. 2 und Abb. 20) Vielmehr war die polnische Plakatkunst der Nachkriegszeit stets von einem Nebeneinander unterschiedlichster Positionen und großer formaler und technischer Vielfalt gekennzeichnet, sowohl im Vergleich der Künstler untereinander, die oft sehr ausgeprägte individuelle Handschriften entwickelten, als auch innerhalb des Oeuvres einzelner Künstler. Dekorative Ornamentik wechselte mit surrealistischer Symbolik, Elemente der Collage standen neben malerischen Lösungen, Fotografisches neben Typografischem, Gefälliges und Verspieltes neben Verstörendem und Abgründigem. Ebenso auffällig ist die Wandlungsfähigkeit und Vielseitigkeit einzelner Künstler. Man vergleiche etwa Jan Lenicas Wozzeck-Plakat (s. Abb. 14 oben) mit seinem Max-Ernst-affinen Entwurf zu Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ von 1958 (Abb. 24) oder Leszek Hołdanowiczs Plakate Pasażerka, 1963 und Bariera, 1966. (Abb. 25-26)
Dieser Erfindungsreichtum ist auch ein wesentlicher Grund dafür, weshalb sich die polnischen Plakate aus Sicht der Zeitgenossen so positiv abhoben, sowohl von den einförmigen Propagandaplakaten sowjetischer Provenienz als auch vom Einheitslook aus Hollywood. Und vielleicht ließ gerade dies die Rede von einer „polnischen Plakatschule“ so plausibel erscheinen.
Ebenfalls nicht übersehen sollte man dabei jedoch, dass die polnischen Plakatkünstler nicht in Isolation arbeiteten, sondern auch international vernetzt waren. Auch deshalb ist die Bezeichnung „polnische Plakatschule“ mit Vorsicht zu genießen, auch wenn heute wohl niemand mehr auf die Idee käme, nach einer originär polnischen Essenz in diesen Plakaten zu suchen. Cieślewicz beispielsweise ging bereits 1963 nach Paris; Jan Lenica war ebenfalls seit den 1960er Jahren in Frankreich, später in Kassel und West-Berlin tätig; Józef Mroszczak reiste seit den 1950er Jahren wiederholt u. a. in die Bundesrepublik, ob als Gastdozent oder zu Ausstellungseröffnungen; umgekehrt fanden auch in Polen selbst Ausstellungen auswärtiger Plakatkunst statt – darunter 1957 auch eine Ausstellung westdeutscher Plakatkünstler[31] –, und nicht zuletzt die Internationalen Plakatbiennalen in Warschau seit 1966 trugen weiter zur Internationalisierung bei. (Abb. 27)
Falls die Frage, was die polnische Plakatkunst als solche ausmacht, überhaupt sinnvoll ist, so wäre sie daher in jedem Fall zu ergänzen um Fragen nach internationalen Verflechtungen, Transferbeziehungen und Netzwerken.
Regina Wenninger, Dezember 2017
[31] „Plakat NRF“, 18.11.-5.12.1957, Zachęta, Warschau 1957. Die Ausstellung präsentierte 116 Plakate von 66 Künstlern; das Vorwort zum Katalog verfasste Eberhard Hölscher, Präsident des Bunds deutscher Gebrauchsgraphiker und Herausgeber der Zeitschrift „Gebrauchsgraphik“.