Polnische Plakatkunst in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit
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„Frisch, aggressiv, witzig und intellektuell anspruchsvoll“. Polnische Plakatkunst in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit
1. Hymnisches
„Zeitgemäß, frisch, modern und aggressiv, witzig und intellektuell anspruchsvoll“, „kühn experimentierend“, „avantgardistisch“, „geistig anregend und aufregend“ und völlig frei von „Banalität und Kitsch“ – mit diesen Worten feierte der Kunstkritiker der Süddeutschen Zeitung Erich Pfeiffer-Belli im März 1962 eine Ausstellung polnischer Plakatkunst, die damals in der Neuen Sammlung in München zu sehen war.[1] (Abb. 1-3)
Pfeiffer-Bellis enthusiastische Besprechung ist kein Einzelfall. Sie steht vielmehr stellvertretend für praktisch alle öffentlichen Reaktionen, die Ausstellungen polnischer Plakatkunst in der damaligen Bundesrepublik hervorriefen. Ausstellungen polnische Plakate waren ein Erfolgsrezept: Wer sie organisierte, konnte sich eines positiven, wenn nicht hymnischen Presseechos sicher sein. Der Erfolg kam nicht von Ungefähr. Das hohe künstlerische Niveau der polnischen Gebrauchsgrafik war international anerkannt; insbesondere die polnische Plakatkunst galt als führend auf diesem Gebiet, sie war ein Aushängeschild polnischen Kunstschaffens und genoss auch in der Bundesrepublik einen legendär guten Ruf. Bezeichnenderweise gestand man ihr hier auch ohne Wenn und Aber den Status einer Kunstform zu, der nicht-angewandten, freien Kunst ebenbürtig und ebenso museumswürdig wie diese, was zugleich für eine Aufwertung der Gebrauchsgrafik in der Bundesrepublik sorgte.
Westdeutsche Kritiker rühmten an den polnischen Plakaten wahlweise ihren „hintergründigen Witz“, die „sprühende Lust“ an der Ironie, das „intellektuell Herausfordernde“ oder auch den „herrlich respektlosen“ Umgang mit historischen Stilformen und Sinnbildern; man pries ihre Wandlungsfähigkeit, gestalterische Kühnheit und Experimentierfreude, manchmal das „Drastisch-Gewagte“ und manchmal auch ihren „polnischen Charme“.[2] Manche Rezensenten waren nahe daran, ein Loblied auf die sozialistische Planwirtschaft anzustimmen, denn, wie der Direktor der Neuen Sammlung München Hans Eckstein lakonisch feststellte: „Dort plakatiert nicht der Geschäftsmann“,[3] und so sei es selbst den Gebrauchsgrafikern möglich, frei von den Zwängen des Marktes und Kommerzes ihre Plakate zu gestalten. Dass sich die polnische Plakatkunst selbst in der stalinistischen Zeit der frühen 1950er Jahren gestalterische Freiheiten hatte herausnehmen können, die der nicht-angewandten Kunst unter der Doktrin des sozialistischen Realismus damals verwehrt blieben, machte sie zusätzlich interessant.
[1] Erich Pfeiffer-Belli, „Plakate aus Polen. Eine Übersicht in der Münchner Neuen Sammlung“, Süddeutsche Zeitung, 27.03.1962, S. 12. Es handelte sich um die Ausstellung „Plakate aus Polen“, München, Die Neue Sammlung, 22.3.-29.4.1962.
[2] Zitate aus: SZ, 27.03.1962, S. 12; FAZ, 10.11.1965, S. 9; FAZ, 28.2.1966, S. 11.
[3] Hans Eckstein, „Vorwort“, in: Plakate aus Polen (Ausst.kat.), München, Die Neue Sammlung, 1962, o. P.