Die Kinder vom Bullenhuser Damm
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1979 veröffentlichte Schwarberg unter dem Titel „Der SS-Arzt und die Kinder“ bei Gruner & Jahr in Hamburg sein erstes umfangreiches Buch zu diesem Thema, das in den folgenden Jahrzehnten und mit variierenden Titeln zahlreiche Neuauflagen erfuhr. Übersetzungen folgten 1981 in französischer, 1982 in rumänischer, 1984 in englischer und 1991 in japanischer Sprache. 1987 erschien in Warschau eine polnische Version unter dem Titel „Dzieciobójca. Eksperymenty lekarza SS w Neuengamme“. 1996 folgte Schwarbergs Tagebuch über die Geschichte der Kinder und seine Spurensuche unter dem Titel „Meine zwanzig Kinder“ bei Steidl in Göttingen.
Aufgrund der Veröffentlichungen erfuhr 1979 die Tante von Alexander und Eduard Hornemann, einzige Überlebende der Familie, in Eindhoven vom Schicksal ihrer Neffen. Sie blieb bis zu ihrem Tod 2008 im Kontakt mit der Vereinigung, lehnte es jedoch ab, nach Deutschland zu kommen. 1982 traf Rucza Witońska, inzwischen verheiratete Rose Grumelin, Günther Schwarberg in Paris und erkannte auf den mitgebrachten Fotos ihre Kinder Roman und Eleonora. Sie kam noch im selben Jahr nach Hamburg. Seit ihrem Tod 2012 kam ihr Sohn Marc-Alain regelmäßig zu den Gedenkfeiern. Ebenfalls 1982 nahm der Onkel von Mania, Chaim Altman, aus den USA zu Schwarberg Kontakt auf und kam 1986 erstmals nach Hamburg. 1983 erfuhr Gisella De Simone von dem Verbrechen an ihrem Sohn Sergio, nahm im Folgejahr an der Gedenkfeier in Hamburg teil, schenkte dem Tod ihres Kindes jedoch keinen Glauben. Seit ihrem Ableben im Jahre 1988 kamen ihr später geborener Sohn und dessen Familie regelmäßig an jedem 20. April nach Hamburg. 1984 erfuhr der in Haifa lebende Ytzhak (Jerzy) Reichenbaum vom Schicksal seines Bruders Eduard. Seitdem besuchten er und seine Frau fast jedes Jahr die Gedenkfeiern am Bullenhuser Damm und sprachen mit Jugendlichen über das Schicksal ihrer Familie.
1983 legten Schülerinnen und Schüler in Zusammenarbeit mit dem Verein den bis heute bestehenden Rosengarten an, den die Hamburger Künstlerin Lili Fischer weiter ausgestaltete. An dessen Eingang ließ das sowjetische Kulturministerium 1985 eine Bronzeplastik des Künstlers Anatoli Mossitschuk zur Erinnerung an die ermordeten sowjetischen Häftlinge aufstellen (Abb. 9 . , 10 . ). Am Zaun des Rosengartens wurden für jedes Kind und für die Ärzte und Pfleger jeweils eine Granittafel mit einem auf Porzellan gebrannten Foto, den Lebensdaten, der Herkunft und einer persönlichen Widmung angebracht (Abb. 11–34 . ).
Um das Versagen der deutschen Justiz im Fall Arnold Strippel zu dokumentieren, veranstaltete der Verein 1986 in der Gedenkstätte Bullenhuser Damm ein mehrtägiges internationales Tribunal, das mit Juristen aus den Ländern der Opfer und unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Verfassungsrichters Martin Hirsch tagte. Ziel war es aufzuklären, warum Strippel als einer der Hauptverdächtigen für den Kindermord nicht vor Gericht gestellt worden war und warum die bundesdeutsche Justiz allgemein die Verfolgung von Naziverbrechen verhinderte oder verzögerte. Auszüge aus den Protokollen der Curiohaus-Prozesse wurden verlesen und Angehörige, Zeugen und Sachverständige gehört. „Als Niso Zylberberg, der Vater von Ruchla, nach vorn geht,“ so berichtete Schwarberg, „stehen die tausend Menschen schweigend auf. Er kann vor Tränen kaum sprechen. Jizhak Reichenbaum berichtet von seinem Bruder Eduard, Margarete Wilkens von Sergio De Simone, Chaim Altman von seiner kleinen Nichte Mania. Am 20. April 1986 urteilen die Richter: ‚Die Nichtverfolgung der Morde am Bullenhuser Damm ist kein Einzelfall, sondern beispielhaft für den Umgang der bundesdeutschen Justiz mit Naziverbrechen. Ein Staat, der die Verbrechen des Naziregimes unbestraft lässt, ist anfällig für neuen Faschismus.‘“[46]
1987 wurde im Treppenhaus der Gedenkstätte ein Wandgemälde des Hamburger Künstlers Jürgen Waller mit dem Titel „21. April 1945, 5 Uhr morgens“ installiert, das den Tatort so zeigen sollte, wie ihn sich der Künstler für den Morgen nach der Tat vorstellte (Abb. 35 . ). 1992 wurden in Hamburg-Schnelsen im Neubaugebiet Burgwedel Straßen, ein Park und ein Spielhaus nach den Kindern benannt. 1994 erhielt die Gedenkstätte in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eine neue Dauerausstellung, wurde 1999 als deren Außenstelle etabliert und kam damit als Teil der Hamburger Kulturbehörde in städtische Hände. Heute ist die Gedenkstätte der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen zugeordnet. Im Jahr 2000 wurde auf dem nach dem polnischen Jungen R. Zeller benannten Roman-Zeller-Platz in Burgwedel eine Gedenkstele des russischen Künstlers Leonid Mogilevski mit den in Bronze gegossenen Porträts und den Namen der 20 Kinder errichtet (Abb. 36 . ). 2011 wurde die Gedenkstätte Bullenhuser Damm räumlich erweitert und die Ausstellung neu konzipiert.
[46] Schwarberg: Kinder 1996 (siehe Literatur), Seite 155