Menu toggle
Navigation

Die Kinder vom Bullenhuser Damm

Die ehemalige Schule Bullenhuser Damm in Hamburg, Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, nach der Räumung im Mai 1945. Zu sehen sind auch die Auswirkungen eines Bombenangriffs vom 27./28. Juli 1943 und des anschließenden Brandes.

Mediathek Sorted

Mediathek
  • Abb. 1: Sergio De Simone - Sergio De Simone aus Neapel, um 1943. Yad Vashem Photo Collections, Nr. 14142831
  • Abb. 2: Alexander Hornemann - Alexander Hornemann aus Eindhoven, um 1942. Yad Vashem Photo Collections, Nr. 14262100
  • Abb. 3: Eduard Hornemann - Eduard Hornemann aus Eindhoven, um 1942. Yad Vashem Photo Collections, Nr. 14262099
  • Abb. 4: Marek und Adam James - Marek James aus Radom mit seinem Vater Adam, um 1943. Yad Vashem Photo Collections, Nr. 14265681
  • Abb. 5: Walter Jungleib - Walter Jungleib aus Hlohovec, um 1942
  • Abb. 6: Georges André Kohn - Georges André Kohn aus Paris, um 1944
  • Abb. 7: Jacqueline Morgenstern - Jacqueline Morgenstern aus Paris bei ihrer Erstkommunion, 1944
  • Abb. 8: Die Angeklagten - Die Angeklagten im Neuengamme-Hauptprozess im Hamburger Curiohaus, 1946
  • Abb. 9: Eingang zum Rosengarten - Eingang zum Rosengarten, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 10: Denkmal für die ermordeten sowjetischen Häftlinge - Anatoli Mossitschuk: Denkmal für die ermordeten sowjetischen Häftlinge, 1985. Am Eingang zum Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 11: Rosengarten - Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg. Blick auf den Zaun mit den Gedenktafeln für die ermordeten Kinder, die Ärzte und die Pfleger.
  • Abb. 12: Gedenktafel - Gedenktafel und Zaun mit den Granittafeln für die ermordeten Kinder. Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 13: Gedenktafel für Surcis Goldinger - Gedenktafel für Surcis Goldinger aus Ostrowiec Świętokrzyski, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 14: Gedenktafel für Lea Klygerman - Gedenktafel für Lea Klygerman aus Ostrowiec Świętokrzyski, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 15: Gedenktafel für H. Wasserman - Gedenktafel für das Mädchen H. Wasserman aus Polen, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 16: Gedenktafel für Marek James - Gedenktafel für Marek James aus Radom, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 17: Gedenktafel für Roman und Eleonora Witoński - Gedenktafel für Eleonora und Roman Witoński aus Radom, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 18: Gedenktafel für R. Zeller - Gedenktafel für den Jungen R. Zeller aus Polen, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 19: Gedenktafel für Eduard und Alexander Hornemann - Gedenktafel für Eduard und Alexander Hornemann aus Eindhoven, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 20: Gedenktafel für Riwka Herszberg - Gedenktafel für Riwka Herszberg aus Zduńska Wola, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 21: Gedenktafel für Georges André Kohn - Gedenktafel für Georges André Kohn aus Paris, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 22: Gedenktafel für Jacqueline Morgenstern - Gedenktafel für Jacqueline Morgenstern aus Paris, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 23: Gedenktafel für Ruchla Zylberberg - Gedenktafel für Ruchla Zylberberg aus Zawichost, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 24: Gedenktafel für Eduard Reichenbaum - Gedenktafel für Eduard Reichenbaum aus Kattowitz, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 25: Gedenktafel für Mania Altman - Gedenktafel für Mania Altman aus Radom, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 26: Gedenktafel für Sergio De Simone - Gedenktafel für Sergio De Simone aus Neapel, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 27: Gedenktafel für Lelka Birnbaum - Gedenktafel für Lelka Birnbaum aus Polen, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 28: Gedenktafel für Walter Jungleib - Gedenktafel für Walter Jungleib aus Hlohovec, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 29: Gedenktafel für Bluma Mekler - Gedenktafel für Bluma Mekler aus Sandomierz, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 30: Gedenktafel für Marek Steinbaum - Gedenktafel für Marek Steinbaum aus Radom, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 31: Gedenktafel für den Arzt Gabriel Florence - Gedenktafel für den Arzt Professor Gabriel Florence aus Lyon, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 32: Gedenktafel für den Arzt René Quenouille - Gedenktafel für den Arzt René Quenouille aus Villeneuve-Saint-Georges, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 33: Gedenktafel für den Pfleger Dirk Deutekom - Gedenktafel für den Pfleger Dirk Deutekom aus Amsterdam, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 34: Gedenktafel für den Pfleger Anton Hölzel - Gedenktafel für den Pfleger Anton Hölzel aus Deventer, Rosengarten bei der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 35: Gemälde von Jürgen Waller, 1987 - Jürgen Waller: 21. April 1945, 5 Uhr morgens, 1987. Öl auf Leinwand, Montagen, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 36: Gedenkstele von Leon Mogilevski, 2000 - Gedenkstele für die Kinder vom Bullenhuser Damm. Roman-Zeller-Platz, Hamburg
  • Abb. 37: Ehemalige Janusz-Korczak-Schule, Hamburg - Ehemalige Janusz-Korczak-Schule am Bullenhuser Damm 92, Hamburg-Rothenburgsort
  • Abb. 38: Gedenktafeln für die ehem. Janusz-Korczak-Schule - Gedenktafeln für die Janusz-Korczak-Schule am Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 39: Denkmaltafel der ehem. Janusz-Korczak-Schule - Denkmaltafel der Freien und Hansestadt Hamburg für die ehemalige Janusz-Korczak-Schule am Bullenhuser Damm 92, Hamburg-Rothenburgsort
  • Abb. 40: Ausstellungsraum 1 - Ausstellungsraum 1 mit symbolischen Koffern für die Biografien der Kinder, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 41: Ausstellungsraum 1 - Ausstellungsraum 1 mit symbolischen Koffern für die Biografien der Kinder, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 42: Koffer für Riwka Herszberg - Symbolischer Koffer für die Biografie von Riwka Herszberg aus Zduńska Wola, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 43: Koffer für Ruchla Zylberberg - Symbolischer Koffer für die Biografie von Ruchla Zylberberg aus Zawichost, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 44: Koffer für Mania Altman - Symbolischer Koffer für die Biografie von Mania Altman aus Radom, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 45: Koffer für Eleonora Witońska - Symbolischer Koffer für die Biografie von Eleonora Witońska aus Radom, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 46: Koffer für Roman Witoński - Symbolischer Koffer für die Biografie von Roman Witoński aus Radom, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 47: Koffer für Professor Gabriel Florence - Koffer für den Arzt Professor Gabriel Florence aus Lyon, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 48: Ausstellungsraum 2 - Ausstellungsraum 2 mit vertiefenden Materialien zu den Biografien der Kinder und allen Aspekten des Tatgeschehens, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 49: Tatraum - Tatraum mit einem Verschlag, in dem Leichen der Kinder lagen, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
  • Abb. 50: Gedenkraum für die ermordeten Opfer - Inschrift von 1979, Gedenkstätte Bullenhuser Damm, Hamburg
Die ehemalige Schule Bullenhuser Damm in Hamburg, Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, nach der Räumung im Mai 1945.
Die ehemalige Schule Bullenhuser Damm in Hamburg, Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, nach der Räumung im Mai 1945. Zu sehen sind auch die Auswirkungen eines Bombenangriffs vom 27./28. Juli 1943 und des anschließenden Brandes.

R. Zeller, ein Junge aus Polen, zwölf Jahre alt, wurde vermutlich 1933 geboren. Nachname, Alter, Geschlecht und Herkunft stehen auf der Liste, die Henry Meyer 1945 in seinem Buch „Rapport fra Neuengamme“ in Kopenhagen veröffentlichte. Außerdem notierte der Lagerarzt Kurt Heißmeyer die Anfangsbuchstaben R.Z. auf einem seiner Notizbögen und beschriftete damit eines der Fotos, die seine Experimente an den Kindern dokumentieren sollten.

Ruchla Zylberberg wurde am 6. Mai 1936 als Tochter von Fajga, geborene Rosenblum, und Nison Zylberberg, einem Schuhmacher, in der polnischen Kleinstadt Zawichost nördlich von Sandomierz geboren. Zwei Jahre später kam ihre Schwester Ester zur Welt. Als die deutsche Wehrmacht 1939 Polen besetzte, floh der Vater mit Bruder und Schwägerin nach Russland. Er wollte seine Familie später nachholen, was durch den deutschen Überfall auf die Sowjetunion jedoch unmöglich wurde. 1942 wurde die Mutter mit ihren Töchtern ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo Fajga und Ester ermordet wurden. Als Ruchla am 28. November 1944 in das KZ Neuengamme gebracht wurde, war sie acht Jahre alt. Der Vater kehrte 1946 nach Polen zurück und wanderte 1951 in die USA aus. Sein Bruder Henryk, der in Hamburg lebte, erkannte 1979 als erster Ruchlas Bild in einem Pressebericht über die Kinder vom Bullenhuser Damm. Nison Zylberberg bestätigte die Identität seiner Tochter. Er starb 2002.

 

Menschenversuche an Häftlingen und Kindern im KZ Neuengamme
 

Im Frühjahr 1944 trafen sich führende Mediziner der deutschen Reichsregierung und der SS zu einem informellen Treffen im Casino der Heilanstalten Hohenlychen, die von 1902 bis 1945 in der Stadt Lychen im Landkreis Uckermark im Norden von Brandenburg angesiedelt waren. Neben dem Klinikbetrieb, der traditionell der Heilung von Lungenkrankheiten und zuletzt der Behandlung von Sportverletzungen und Arbeitsschäden diente, galt Hohenlychen als in Mode gekommener Erholungsort für Nazigrößen wie Hitler und dessen Minister, für SS-Führer, Generäle und Offiziere der Waffen-SS, Reichsleiter, Reichssportführer, Staatssekretäre und Heeresoffiziere. Aber auch internationale Delegationen verkehrten dort. Bei dem fraglichen Treffen kamen unter anderem der Reichsärzteführer Dr. Leonardo Conti, der Reichsarzt SS und Polizei Dr. Ernst-Robert Grawitz und der Chefarzt von Hohenlychen, Prof. Dr. Karl Gebhardt, zusammen, welcher seinem Oberarzt, Dr. Kurt Heißmeyer, Gelegenheit zu einem kurzen Vortrag gab.

Heißmeyer, geboren 1905 in Lamspringe, hatte in Freiburg promoviert und arbeitete seit 1938 in Hohenlychen. Sein Onkel August Heißmeyer war General der Waffen-SS. Mit dem General der Waffen-SS Oswald Pohl, im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt für die Konzentrationslager zuständig, war er befreundet. Um Professor zu werden, musste er eine Habilitationsschrift erarbeiten, in der er sich mit der Bekämpfung der Tuberkulose beschäftigen wollte. In seinem Vortrag schlug er eine Versuchsreihe an Menschen vor, bei der an Tuberkulose erkrankte Personen künstlich mit einem weiteren Tuberkuloseherd infiziert werden sollten, indem man ihnen im Sinne einer Impfung abgetötete Tuberkelbazillen in die angeritzte Haut einreiben würde. Dieser längst widerlegte Forschungsansatz des österreichischen Mediziners Hans Kutschera-Aichbergen sollte die Immunität und den Heilungsprozess in der Lunge verbessern. Conti, Grawitz und Gebhardt kamen überein, dass Heißmeyer die geplanten Versuche an Inhaftierten des Konzentrationslagers Ravensbrück durchführen sollte, wo Gebhardt bereits seit dem Juli 1942 verschiedene Experimente vornehmlich an weiblichen Gefangenen erprobte. Voraussetzung war, dass Reichinnenminister Heinrich Himmler, der sich alle Genehmigungen für Menschenversuche vorbehalten hatte, damit einverstanden wäre. Pohl überbrachte schließlich Himmlers Erlaubnis, verlangte jedoch, dass die Experimente nicht in Ravensbrück stattfinden sollten, da das Ausland bereits von Gebhardts dortigen Versuchen erfahren hatte. Er einigte sich schließlich mit Heißmeyer auf das Konzentrationslager Neuengamme in Hamburg als einem etwas „diskreteren“ Ort für die Experimente.[7] 

 

[7] Schwarberg: SS-Arzt 1997 (siehe Literatur), Seite 9–14. Vergleiche auch Sterkowicz 1977/2021, siehe Literatur und Online)