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Ateliers polnischer Maler in München um 1890

Carl Teufel: Künstleratelier Alfred Wierusz-Kowalski, München 1889. Schwarzweiß-Fotografie vom Glasnegativ, 18 x 24 cm, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr.: 121.688, Digitalisierung 2013

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Carl Teufel: Künstleratelier Alfred Wierusz-Kowalski, München 1889. Schwarzweiß-Fotografie vom Glasnegativ, 18 x 24 cm, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr.: 121.688, Digitalisierung 2013
Carl Teufel: Künstleratelier Alfred Wierusz-Kowalski, München 1889. Schwarzweiß-Fotografie vom Glasnegativ, 18 x 24 cm, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr.: 121.688, Digitalisierung 2013

1873 kam der polnische Maler Alfred Kowalski (1849-1915)[59] nach München, der zuvor in Warschau und Dresden studiert hatte, und immatrikulierte sich im Oktober des Jahres an der Münchner Kunstakademie – im selben Semester wie Zdzisław Ajdukiewicz, Kazimierz Alchimowicz, Chełmiński, Wojciech Kossak, Wojciech Piechowski, Szwoynicki, Włodzimierz Łoś und Aleksander Mroczkowski,[60] die ihr Studium wahlweise in der Antikenklasse oder wie Kowalski bei dem Historienmaler Sándor (Alexander von) Wagner (1838-1919) begannen. Es ist anzunehmen, dass Kowalski, der in München unter seinem Familiennamen gemeldet und verzeichnet wurde, aber auf seinen Gemälden in Kombination mit dem polnischen Geschlechternamen als „Wierusz-Kowalski“ signierte, woraus sich mit der Zeit verschiedene Namensvarianten bildeten, bald Kontakt zu Brandt aufnahm. 1878 ist er erstmals im Münchner Adressbuch als Kunstmaler unter derselben Adresse wie Brandt in der Schwanthalerstraße 19 im zweiten Stock verzeichnet. Dieses Haus beherbergte neben anderen Mietern zahlreiche Wohnungen oder Ateliers weiterer Künstler wie zum Beispiel 1875 neben Brandt den Maler Rudolf Hirth (du Frênes, 1846-1916) und im Nebengebäude mit der Hausnummer 19 ½ die Maler Gabriel (von) Max (1840-1915), Franz Defregger (1835-1921) und Robert Beyschlag (1838-1903),[61] 1878 neben Kowalski, Max und Beyschlag den irischen Maler Georg(e) Folingsby (1828-1891), während Brandt vorübergehend und aus unbekannten Gründen nicht verzeichnet ist.[62]

Wierusz-Kowalski wechselte in den folgenden Jahren mehrfach die Adresse,[63] verfügte dann aber durchgehend von 1889 bis 1910 über jenes repräsentative Atelier in einem rückwärtigen Ateliergebäude in der Landwehrstraße 79 in der Ludwigsvorstadt, das Teufel fotografierte und auch in sein Buch aufnahm (Abb. 20-22). Ähnlich wie das von Brandt wurde es zum Treffpunkt von Künstlern, Galeristen und Sammlern, zu denen auch Prinzregent Luitpold gehörte. Auch Wierusz-Kowalski heiratete und lebte mit seiner Frau und vier Kindern in einer anspruchsvollen Wohnung in der Goethestraße 48,[64] in der Gäste, darunter Luitpold, stets willkommen waren.[65] Im Gegenzug war Wierusz-Kowalski ebenso wie Brandt, Rosen, Ejsmond, Czachórski und andere gelegentlich in der Residenz zu festlichen Essen und Empfängen geladen.[66] Die Ateliers und Wohnungen insbesondere von Brandt und Wierusz-Kowalski bildeten nicht nur den Rahmen für die gesellschaftlichen Zusammenkünfte der polnischen Künstlerkolonie, sondern vor allem ein Stück Heimat für die mehr oder minder freiwilligen Exilanten, die hier unter sich sein konnten, den polnischen Lebensrhythmus zelebrierten, gemeinsame Aktionen und Teilnahmen an Münchner, polnischen oder ausländischen Ausstellungen vorbereiteten, sich in endlose politische Diskussionen verstrickten und gemeinsam polnische Zeitschriften abonnierten.[67]

München zog ausländische Studenten wegen der hochkarätigen öffentlichen Kunstsammlungen, der hervorragenden Ausbildung an der Kunstakademie, der offensiven Förderung der Künste durch das Königshaus und der liberalen Einstellung der Bevölkerung an. Viele Polen waren aber vor allem nach dem Januaraufstand 1863/64 gegen die russische Teilungsmacht als Flüchtlinge oder wegen der nachfolgenden jahrelangen Repressionen wie beispielsweise der Schließung der Warschauer Akademie der bildenden Künste/Akademia Sztuk Pięknych nach München gekommen. Zwischen 1824 und 1914 gingen rund 700 polnische Maler, Bildhauer und Architekten durch den Münchner Künstlerkreis, 322 nahmen ein offizielles Kunststudium auf.[68] Brandt und Wierusz-Kowalski griffen zu ihrer Zeit den Neuankömmlingen nicht nur finanziell und durch Bereitstellung einer Unterkunft unter die Arme, sondern stellten ihnen auch Requisiten aus ihren reichhaltigen Atelierfundus zur Verfügung.[69] Auch von der Kunstkritik wurden die Polen als geschlossene Gruppe betrachtet, die sich „zuletzt zu einer förmlichen Schule gestalteten“; denn ihren Kompositionen seien „ein gewisser melancholischer Zug“ und die „Farbenstimmung“ gemeinsam, schrieb Friedrich Pecht 1888: „Am meisten ehrt sie die treue Liebe für die Heimat und deren uns … reizend erscheinende Mischung von düsteren Wäldern, kahlen Ebenen und Schnee.“[70]

 

[59] Ausführliche Biografie in der Encyclopaedia Polonica, https://www.porta-polonica.de/de/lexikon/wierusz-kowalski-alfred; Online-Ausstellung „Alfred Wierusz-Kowalski“ ebenfalls auf diesem Portal, https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/alfred-wierusz-kowalski

[60] Stępień/Liczbińska 1994, Seite 11

[61] Adressbuch von München 1875, II. Teil, Seite 244

[62] Adressbuch von München 1878, II. Teil, Seite 300

[63] Ptaszyńska 2008, Seite XI

[64] Adressbuch von München 1890, I. Teil, Seite 184

[65] Halina Stepień 2008 (siehe Literatur), Seite Seite VIII

[66] Ebenda, Seite IX

[67] Ebenda, Seite VI f.

[68] Ste̜pień 2003, Seite 187; vergleiche auch auf diesem Portal die Online-Ausstellung „Polnische Künstler in München 1828-1914“, https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/polnische-kuenstler-muenchen-1828-1914

[69] Ste̜pień 2003, Seite 194

[70] Pecht 1888, Seite 420