Adam Szymczyk und die documenta 14
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Adam Szymczyk - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Die Documenta zu Gast in Athen
Die documenta 14 richtet sich nicht nur an ein kunstinteressiertes Publikum, sondern vor allem an Intellektuelle, die schon im Vorfeld bereit sind, Textmaterial zu verarbeiten, das häufig nur peripher in Bezug zur bildenden Kunst steht. Auch von dem anfänglich geplanten engen Kontakt zu den „Graswurzelbewegungen“ und den künstlerischen Netzwerken in Athen, von denen Szymczyk und sein Team lernen wollten, ist offenbar viel nicht geblieben. „In Sachen Dialog mit der einheimischen Szene hat die Zusammenarbeit nicht geklappt“, sagt die Gründerin des Athener Non-Profit-Kunstraums state of concept, Iliana Fokianaki, in einem Interview mit dem arte-tv-Magazin metropolis, „obwohl wir alle sehr gespannt darauf waren. Ich glaube, das war bislang eines der Hauptprobleme, dass es keinen wirklichen Dialog zwischen der Documenta und den einheimischen Künstlern gab.“ Und der aktuell dort vertretene Maler und Installationskünstler Alexandros Tzannis, dessen Werke zuvor unter anderem im Benaki-Museum in Athen und im Berliner Künstlerhaus Bethanien zu sehen waren, beklagt, dass die Documenta-Macher seine Ausstellung nicht angesehen haben. Der Kurator der documenta 14, Pierre Bal-Blanc, der drei Jahre vor der Eröffnung nach Athen gezogen war und dort den Ausstellungsaufbau unter anderem im EMST, dem National Museum of Contemporary Art, begleitet hat, stellt fest, dass die normale Bevölkerung die Vorbereitungen der Ausstellung gar nicht zur Kenntnis genommen habe. „Viele Leute hier wissen nichts über die Documenta und was hier geschieht“, ergänzt die Athener Kulturjournalistin Selana Vronti, „aber umso näher die Eröffnung rückt, umso mehr werden sie darüber erfahren. Momentan sehen sie die Documenta als Fremdkörper in der Stadt. Andere empfinden sie als kolonialistisch und imperialistisch.“[22]
In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur erläutert Szymczyk, dass mit dem Arbeitstitel „Von Athen lernen“ gar nicht die dortige Kunstszene, sondern die Situation der einfachen Menschen gemeint gewesen sei: „Natürlich könnte man uns vorwerfen, uns zu wenig mit der hiesigen Kunstszene beschäftigt zu haben. Wir waren aber gar nicht so sehr an der Kunstszene von Athen interessiert, sondern mehr an der Stadt als lebendiger Organismus. Und das geht über zeitgenössische Kunst hinaus. Athen steht nicht allein, es steht auch für andere Orte dieser Welt. Lagos. Guatemala City. Die beschäftigen uns hier genauso. Der Anspruch, uns mit der Athener Kunstszene zu verbinden, wäre zu klein für diese documenta. Und falls sich jemand betrogen fühlen sollte, der sollte wissen: Unsere Ausstellung wollte nie die Athener Kunstszene repräsentieren. Das sollen andere machen. Wenn sich hier Leute nicht genug repräsentiert fühlen, dann sollten sie selbst darüber nachdenken, wie sich mehr Gehör verschaffen.“[23]
Kein Zweifel besteht jedoch darüber, dass die documenta 14 die Athener Kulturszene bereichert hat. Sie findet dort nicht an einem zentralen Ort, sondern verteilt über die ganze Stadt an 47 Schauplätzen statt, darunter in Museen, dem Konservatorium, der Gennadius-Bibliothek, dem Griechischen Film-Archiv, in Theatern, Konzerthallen, Parks und an historischen Orten wie dem Tempel des Olympischen Zeus. Zahlreiche öffentliche Programme unter dem Titel „Das Parlament der Körper/The Parliament of Bodies“ sind Teile der Ausstellung. Ihre „performative Struktur“, will heißen Performances, Theater, Musik, Ballett, Klangkunst, Lesungen, Einzel‑, Gruppen‑ und Mitmachaktionen, sollen nicht nur die traditionelle Unterteilung zwischen Ausstellung und öffentlichem Begleitprogramm infrage stellen, sondern auch die Trennung zwischen Erkenntnistheorien „des Nordens und des Südens, zwischen normativem Denken und unterworfenen Wissensformen wie Hierarchisierungen durch Gender, Geschlecht, Herkunft, Be‑ und Enthinderung und gesellschaftliche Klassen“ unterlaufen, heißt es dazu im Flyer der Ausstellung: „Wie erzeugt man während einer Großausstellung innerhalb einer neoliberalen Ökonomie kritische Handlungsmacht? Kann sich das Museum den eigenen kolonialen und patriarchalen Regimen widersetzen? Kann der Spannungsbogen zwischen Athen und Kassel als kritischer Raum genutzt werden, um ein kooperatives künstlerisches und aktivistisches Projekt jenseits des Rahmens von Nationalstaaten und Unternehmen zu entwerfen? Wir werden scheitern. Aber wir versuchen es.“
[22] Metropolenreport Athen und die documenta 14, arte tv, Bericht: Frauke Schlieckau, 30. März 2017, online bis 1.10.2020, http://www.arte.tv/de/videos/075016-000-A/metropolenreport-athen-und-die-documenta-14
[23] Reaktion auf Kritik aus Athener Kunstszene. Adam Szymczyk im Gespräch mit Vladimir Balzer, Deutschlandfunk Kultur, Rundfunkbeitrag vom 7.4.2017, schriftliche Zusammenfassung online auf: http://www.deutschlandfunkkultur.de/documenta-chef-adam-szymczyk-reaktion-auf-kritik-aus.1895.de.html?dram%3Aarticle_id=383349