Adam Szymczyk und die documenta 14
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Adam Szymczyk - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Annie Sprinkle (*1954 Philadelphia) und Beth Stephens (*1960 Montgomery, West Virginia), beide bekannt für eine radikal feministische Kunst und seit 2005 für Hochzeitsrituale, bei denen sie sich mit Weltgegenden vermählen, schlagen in einer „ökosexuellen“ Installation die Verheiratung mit der Erde vor (Abb. 43). Der seit 1989 im deutschen Exil lebende Peruaner Sergio Zevallos (*1962 Lima, Abb. 44a, b), der sich seit Beginn der 1980er-Jahre mit den Konflikten in seiner Heimat beschäftigt, befasst sich in seiner multimedialen Installation „A War Machine“ (2017) mit vermeintlichen gesellschaftlichen Normen, was als normal, krank, zivilisiert oder primitiv zu gelten hat. Elisabeth Wild (*1922 Wien, Abb. 45) schafft mit ihren Collagen aus Lifestyle-Magazinen eine „Ikonographie des Cool Chic“: „Dabei geht sie wie eine Sammlerin vor und trägt Elemente irdischen Glamours und Glitters zusammen, um sie aus der Welt des Konsums zu befreien und allzu Vertrautes in neue Bilder zu transformieren.“[42] (Adam Szymczyk) Die Künstlerin blickt auf eine bewegte Biographie zurück, die fast das gesamte 20. Jahrhundert umfasst: 1938 mit ihren Eltern, einer jüdischen Weinhändlerfamilie, vor den Nationalsozialisten nach Argentinien geflohen, emigrierte sie erneut 1962 zusammen mit ihrem Mann, dem Textilunternehmer August Wild, diesmal vor dem rechtsgerichteten Regime von Juan Perón nach Basel, um 1996 zusammen mit ihrer Tochter nach Südamerika an den Atitlán-See in Guatemala zurückzukehren.
Wer dem von Szymczyk empfohlenen Parcours zu den 35 Schauplätzen der documenta 14 in Kassel folgt,[43] wird bekannte Orte der vorangegangenen Documenta-Ausstellungen finden wie das Naturkundemuseum im Ottoneum, die Orangerie, die Karlsaue oder die Kunsthochschule Kassel. Aber auch neue Orte laden zum Besuch der Ausstellung ein: für Film-Enthusiasten das Cinestar, das Gloria-Kino und die BALi-Kinos im Kulturbahnhof, dann der abgelegene Nordstadtpark oder die zentrale, vor allem von Touristen aufgesuchte historische Torwache. Im Mittelpunkt des täglichen Filmprogramms im Großen und Kleinen BALi stehen Filmemacher, deren Leben von Kunst und Migration gleichermaßen geprägt ist. Manthia Diawara (*1953 Bamako, Abb. 46) folgt in seinem Film „An Opera of the World“ (2017) den Migrationsrouten nach Europa, dokumentiert aber auch eine Rückkehr nach Mali zu Opernproben eines afrikanischen Ensembles am Ufer des Niger, das gesellschaftliche Problematiken und Fluchtursachen in Westafrika deutlich werden lässt. Im Nordstadtpark, der vor allem von Studierenden der Universität und den multinationalen Bewohnern der Nordstadt frequentiert wird, zeigt die in den USA lebende Multimedia‑ und Land-Art-Künstlerin Agnes Denes (*1938 Budapest, Abb. 47) die neueste ihrer seit Mitte der 1960er-Jahre entstandenen Pyramiden, „The Living Pyramid“ (2015-17). Die neun Meter hohe Freiplastik sei, so das „documenta 14 Map Booklet“, eine monumentale ökologische Struktur, die im Hinblick auf ihre Pflegebedürftigkeit und die im Gegenzug von der Künstlerin geleistete Fürsorge organisch und sozial zugleich ist.
Der aus Ghana stammende Künstler Ibrahim Mahama (*1987 Tamale, Abb. 48) verhüllte die beiden Gebäude der 1805 unvollendet gebliebenen Torwache mit zusammengenähten Jutesäcken zu einem „Check Point Sekondi Loco“ (2016/17). Die zerschlissenen Säcke, mit denen Mahama seit 2011 bereits öffentliche Gebäude in Accra verhüllte, erhält er von Händlern im Tausch gegen neue. Sie werden in Asien hergestellt und dienen in Ghana zum weltweiten Vertrieb von Kakao, Kaffee, Reis, Bohnen und Holzkohle. „In diesen Säcken materialisiert sich die Geschichte des Welthandels. Für Mahama sind sie einerseits forensische Beweismittel bei seiner Suche nach Manifestationen kapitalistischen Wirtschaftens in der Welt, andererseits offenbaren sie lokale Bezüge innerhalb der internationalen Arbeiterklasse. Wer webt, verpackt, belädt und transportiert, hinterlässt auch seinen Schweiß, seinen Namen, Daten und andere Koordinaten auf den Säcken. Aus den Säcken werden Häute mit Narben, die eine soziopolitische und wirtschaftliche Vorgeschichte erzählen.“[44] (Bonaventure Soh Bejeng Ndikung)
[42] Adam Szymczyk: Elisabeth Wild, auf der Webseite der documenta 14: http://www.documenta14.de/de/artists/13597/elisabeth-wild, sowie im documenta 14: Daybook, München 2017, Seiten zum 7. August
[43] Karte mit Auflistung aller Veranstaltungsorte in Kassel auf der Webseite der documenta 14, http://www.documenta14.de/de/public-exhibition/
[44] Bonaventure Soh Bejeng Ndikung: Ibrahim Mahama, auf der Webseite der documenta 14: http://www.documenta14.de/de/artists/13704/ibrahim-mahama, sowie im documenta 14: Daybook, München 2017, Seiten zum 28. August