Adam Szymczyk und die documenta 14
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Adam Szymczyk - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Aktuelle Kunst in Kassel – eine Auswahl
Die griechische Kunstszene ist also sehr wohl auf der documenta 14 vertreten und das auch an anderen Orten der Ausstellung. Andreas Angelidakis (*1968 Athen, Abb. 21), ehemals Architekt und jetzt bildender Künstler und Kurator, zeigt die aus der griechischen Mythologie bekannte und eher abstrakt zu verstehende Personifizierung des Krieges, „Polemos“ (2017), in Form eines Panzers aus schaumstoffgefüllten Sitzmodulen mit Flecktarnmuster. Zafos Xagoraris (*1963 Athen, Abb. 22) verabschiedet die Besucher an einem beeindruckenden Ort der documenta 14, der Ausfahrt des heute stillgelegten unterirdischen Kasseler Regionalbahnhofs, mit einem an Bahnstrecken üblichen Schild mit der griechischen Aufschrift für „Auf Wiedersehen!“, möglicherweise um an die während des Ersten Weltkriegs in Görlitz internierten 7.000 griechischen Kriegsgefangenen zu erinnern. Durch dokumentarische Bilder beeindruckt der Videofilm „The Secret School“ (2009) der Athener Filmemacherin Marina Gioti (*1972 Athen, Abb. 23), der an die illegalen, unter Verantwortung der Griechisch-orthodoxen Kirche agierenden geheimen Schulen in der Spätphase des Osmanischen Reichs erinnert.
Polen ist bei den neuesten Arbeiten auch in dieser von Szymczyk verantworteten Schau durch Uklański und Żmijewski vertreten. Von Uklański ist in Kassel ein wandfüllendes Tableau mit 203 fotografischen Porträts, „Real Nazis“ (2017, Abb. 24), aus verschiedenen Quellen zu sehen, darunter Propaganda-Aufnahmen von Unbekannten aus nationalsozialistischen Zeitschriften und Büchern sowie im Zentrum ein rot durchgestrichenes Hitlerporträt. Eine Texttafel listet die Porträtierten und die Herkunft der Fotos mit ihrer genauen Position im Tableau auf. Für die Ausstellung in Athen hat Uklański das amerikanische Künstlerduo McDermott & McGough eingeladen, sieben 2001 entstandene Gemälde aus deren Zyklus „Hitler and the Homosexuals“ zu zeigen, denen Uklański 32 Fotografien nach Leni Riefenstahls Propagandafilm „Olympia“ aus dem Jahr 1938 in einer Installation mit dem Titel „The Greek Way“ (2017, Abb. 25a, b) gegenüberstellt. Żmijewski zeigt in Kassel unter dem Titel „Realism“ (2017, Abb. 26) eine Video-Installation mit sechs Projektionen und kurzen Filmen aus dem Alltag körperbehinderter, amputierter Menschen, ein Thema, mit dem er sich schon lange beschäftigt. In Athen ist sein zwanzigminütiger stummer Film „Glimpse“ (2016/17, Abb. 27) zu sehen, in dem er Flüchtlinge aus der berüchtigten, als „Dschungel von Calais“ bekannten und inzwischen abgerissenen Zeltstadt, dann aber in Aufnahmelagern in Paris und Berlin dokumentiert. Die New York Times hat das Video als wichtigste Arbeit der documenta 14 bezeichnet.[35]
Im ehemaligen unterirdischen Bahnhof, in dem Plakatwände, Fahrgastinformationen, Graffiti und Rolltreppen aus der Zeit vor der Schließung 2005 erhalten sind, zeigt Michel Auder (*1945 Soissons, Abb. 28a-c) am Ende eines stillgelegten Gleisbetts die 14-kanalige Videoinstallation „The Course of Empire“ (2017). Sie konfrontiert Schriften und Kunstwerke des 18. und 19. Jahrhunderts von Alexander von Humboldt bis Arthur Rimbaud als Dokumente für Imperialismus und Kolonialismus mit filmischen Aufnahmen von heute. Für Informationen über die Arbeiten anderer Künstlerinnen und Künstler ist man auf Internet-Recherche und Presseberichte angewiesen, da den Kuratoren beim Erstellen des „Daybooks“ und der darauf basierenden Webseite offenbar entsprechende Hinweise fehlten. So erfährt man über den kurdisch-irakischen und in Berlin lebenden Künstler Hiwa K (*1975 Sulaimaniyya, Abb. 29), der an prominentem Ort vor der Documenta-Halle einen Kubus aus individuell und mit kleinen Wohnambientes eingerichteten Abwasserrohren zeigt, erst aus der Presse, dass der Künstler sich monatelang auf seiner Flucht in Griechenland in leeren Abwasserrohren versteckt hat, in denen sich die Flüchtlinge mit der Zeit häuslich einrichteten. Die „Wohnräume“ der aus Steinzeugrohren bestehenden Installation „When We Were Exhaling Images“ (2017) haben Studenten des Diplomstudiengangs Produktdesign der Kassler Kunsthochschule gestaltet.[36]
[35] Jason Farago: Documenta 14, a German Art Show’s Greek Revival, The New York Times, Art & Design, 9.4.2017, online: https://www.nytimes.com/2017/04/09/arts/design/documenta-14-a-german-art-shows-greek-revival.html
[36] RBB Inforadio, Beitrag von Cora Knoblauch, gesendet am 10.6.2017, 11 Uhr, Textfassung online: Start der Documenta in Kassel – Künstler rekonstruiert das Leben im Abwasserrohr, https://www.rbb-online.de/kultur/beitrag/2017/06/berliner-kuenstler-hiwa-k-bei-documenta.html