Janina Musiałczyk. W drodze, unterwegs
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Neben dem Entwurf von Seidentüchern und dem Weben von Gobelins verdiente Musiałczyk ihr Geld auch mit dem Illustrieren und der Titelgestaltung von Büchern. Zwischen 1967 und 1980 arbeitete sie für den Almqvist Wiksell Förlag in Stockholm und den in Łódź ansässigen Verlag Wydawnictwo Łódzkie. Ihre Arbeit umfasste einzelne abstrakte oder gegenständliche Umschläge und Vignetten,[45] aber auch die Gestaltung eines ganzen Kinderbuchs wie der Gedichte und Fabeln von Jan Huszcza mit farbigen, expressiv abstrahierten Figuren, Landschaften und Stillleben.[46] Einen schwarzweißen Buchtitel mit phantasievollen, zwischen Blüten und Insekten changierenden Formen entwarf sie für einen Gedichtband von Andrzej Biskupski,[47] geometrisch abstrahierte maritime Szenen und Landschaften für ein zwischen Warschau und Masuren spielendes Jugendbuch von Adam Gruda.[48]
Auch in ihrer freien künstlerischen Arbeit trat sie früh an die Öffentlichkeit. 1969 gründete sie zusammen mit anderen in Bałuty, dem nördlichen der ehemals fünf Verwaltungsbezirke von Łódź, die Künstlergruppe und Produzentengalerie Grupa Plastyków Bałuckich, der sie bis 1973 angehörte und mit der sie Ölgemälde, großformatige Arbeiten und Installationen im öffentlichen Raum zeigte. 1971 wurde sie vom Polnischen Künstlerverband ZPAP ausgezeichnet.
Die stärkste Verbindung zu ihren späteren Arbeiten hat die zwischen 1974 und 1980 entstandene Bildreihe „Die Erde“. Die Zeichnungen mit Bleistift, Buntstiften und schwarzer Tusche auf Papier ausgeführt, zeigen mit dem Erdreich und der Landschaft eng verbundene Frauenkörper, die von Vögeln mit langen Schnäbeln und wild ausgebreiteten Flügeln attackiert werden (Abb. 25–26 . ). Als Vorbilder dienten offenbar die eng mit Mutter Erde und der Natur verbundenen Frauengestalten der symbolistischen Kunst,[49] welche von Nachtmahren und Katastrophen gequält werden wie bei Jacek Malczewski,[50] die Tieren schutzlos ausgeliefert sind wie bei Paul Gauguin[51] oder nach denen Hände greifen wie bei Munch.[52] Gleichzeitig haben Musiałczyks grafisch über die ganze Bildfläche ausgebreitete Vogelschwingen die Kraft der zeitgenössischen aus dem Unterbewusstsein gesteuerten Malerei des Tachismus. „In meinen Bildern schlägt sich viel von dem nieder, was ich empfinde und denke“, wird die Künstlerin ein Jahrzehnt später zitiert. Es seien, so die Rezension zu einer Ausstellung, vor allem resignative, depressive Stimmungen und Gedanken: „die Frau, die Erde, der Baum, der Wind, die Trauer, der Schmerz, die Einsamkeit, die Kraftlosigkeit“.[53]
Für ihre Arbeit im Palast der Jugend erhielt sie 1973 „für außerordentliche und innovative Leistungen im Bereich pädagogischer und sozialer Arbeit“ den Sonderpreis der Aufsichtsbehörde des Schulbezirks Łódź, 1978 „für herausragende Leistungen im Bereich didaktischer und erzieherischer Arbeit“ den Preis des polnischen Ministeriums für Bildung und Erziehung (Ministerstwo Oświaty i Wychowania). 1979, zwei Jahre vor ihrer Ausreise, zeichnete sie das Ministerium für ihre „künstlerische Qualität sowie herausragende Leistungen im Bereich der Kunsterziehung von Kindern und Jugendlichen“ mit einem Ehrendiplom aus.[54]
[45] Helena Duninówna: Ludzie i rzeczy (dt. Menschen und Dinge), Łódź 1968; Tadeusz Chróścielewski: Szkarłatna godzina (dt. Die scharlachrote Stunde), Łódź 1968.
[46] Jan Huszcza: Wierszyki i bajeczki (dt. Kurze Gedichte und Märchen), Łódź 1969.
[47] Andrzej Biskupski: Mój głos zewnętrzny (dt. Meine äußere Stimme), Łódź 1970.
[48] Adam Gruda: North znaczy północ (dt. North heißt Norden), Łódź 1972.
[49] Max Klinger: Frühlingsanfang. Opus I: Radierte Skizzen, 1879, Radierung, Aquatinta, 41,5 x 16,8 cm.
[50] Jacek Malczewski: W tumanie (dt. In der Staubwolke), 1893/94, Öl auf Leinwand, 78 x 150 cm, Nationalmuseum Posen/Muzeum Narodowe w Poznanie.
[51] Paul Gauguin: Der Verlust der Jungfräulichkeit, 1890–91, Öl auf Leinwand, 90 x 130 cm, Chrysler Museum, Norfolk.
[52] Edvard Munch: Die Hände, 1893, Öl auf Leinwand, 91 x 77 cm, Munch-museet, Oslo.
[53] Hamburger Abendblatt vom 13. März 1986, S. 11 (anlässlich der Ausstellung Janina Musiałczyk. Aquarelle und Zeichnungen, Hamburger Sparkasse, 1986).
[54] Polak w świecie. Leksykon Polonii i Polaków za granicą (dt. Der Pole in der Welt. Lexikon der Polonia und Polen im Ausland), herausgegeben von Polska Agencja Informacyjna, Warschau 2001, Seite 205 f., 403.