Momente dessen, was wir Geschichte und Momente dessen, was wir Gedächtnis nennen
Mediathek Sorted
Zurück zu den Fotografien von Marian Stefanowski. Zu der leeren, beängstigend sauberen, geordneten „weiten Fläche”, in der sporadisch kleine Gruppen von Menschen zu sehen sind, die in keine Verbrechen und kein Leid verstrickt sind und die keiner existenziellen Extremerfahrung der Geister der Vergangenheit unterworfen sind, sondern die in unsere Zeit gehören, während sie zwischen den grausamen Artefakten, den Splittern der Geschichte und der sich vor ihnen öffnenden freien Fläche wie verloren wirken. Die auf der Suche nach ihrem eigenen Weg und ihrer eigenen Antwort sind. Fragt sich nur, wie fällt sie aus?
Das kühle und distanzierte Auge des Fotografen raunt uns auch diesmal keine verbindlichen Lösungen zu.
Und so kommen wir zu dem Punkt, an dem die Erfahrung des Lagers Sachsenhausen dank Marian Stefanowskis Kamera auch zu meiner eigenen Erfahrung wurde, einer Erfahrung, die mir vor allem als eine offene, sich ständig wiederholende Frage begegnet: nach einer Idee, nach den Vorstellungen und nach den psychogesellschaftlichen Mechanismen, die sowohl die kollektive als auch die individuelle Gewalt in ihren unzähligen Formen und Varianten begründet. Eine Frage nach der immerwährenden Präsenz dieser Ideen in allen möglichen gesellschaftlichen Systemen, mitunter verdeckt, diskret und banal, aber auch vertraut und rationalisiert und nur selten beeinflusst von einer Tragödie, die durch bestimmte Umstände offen ausbricht und die Öffentlichkeit erschüttert. In diesem Sinne stellt sich keine Frage nach dem Nazismus als solchen mehr, obwohl das Ausmaß der Gräueltaten, deren Quelle und direkter Verursacher er war, weder überschätzt noch vergessen werden kann. Der Nationalsozialismus mit seinem System der Stigmatisierung, der Isolierung, der Entmenschlichung und der Vernichtung offenbart auf mustergültige Art und Weise − schließlich war Sachsenhausen das Paradeobjekt des Systems, als Muster eines Musters konzipiert und entworfen − als eine auf die Spitze getriebene Konsequenz einer in menschlichen Gesellschaften dauerpräsenten Denkweise sowie der entsprechenden Kategorien und Vorstellungen. Alles ist eine Frage der Umstände, der Möglichkeiten und der Dimension. Vielleicht werden wir auch nicht lange warten müssen, bis es erneut zu Stacheldraht und Wachtürmen kommt? Und, global gesehen: sind sie wirklich verschwunden? Das wäre wohl zu viel an moralischem Luxus.
Sollte es aber jemals eine Art private Erinnerungsform an diesen Ort, mein gewissermaßen privates Museum der Unschuld geben − denn wer bin ich schon, dass ich für andere entscheide? − würde sie genauso sein.
Betrachten wir also unsere gesellschaftlichen Gewissheiten und Strukturen skeptisch, fragen wir und hinterfragen wir. Fragen als solche münden selten in Mord. Anders als die unerschütterlich sicheren Antworten, die keinen Raum für Zweifel lassen.
Krzysztof Dudziak, Juni 2020
Bearbeitung: Magda Potorska