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Jesekiel David Kirszenbaum (1900–1954). Ein Bauhaus-Schüler

Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

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Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm
Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

Im Oktober/November 1931 nahm Kirszenbaum in Berlin an der internationalen Ausstellung Frauen in Not teil, die im Haus der Juryfreien am Platz der Republik stattfand und in der der Künstler ein in Öl gemaltes Damenporträt zeigte.[40] Anlass war eine Kampagne gegen den Abtreibungsparagraphen 218 in der Frauenzeitschrift Der Weg der Frau, die im Verlagskonzern des kommunistischen Verlegers Willi Münzenberg (1889-1940) erschien. 1932 und 1933 veröffentlichte die Zeitschrift Magazin für Alle, die zur KPD-nahen Buchgemeinschaft Universum Bücherei für Alle der von Münzenberg organisierten Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) gehörte, grafische Szenen von Kirszenbaum, darunter eine Gemeindeversammlung in der Synagoge zu einem Artikel von Nándor Pór, „Gottes Gesetz?“.[41] Weitere Zeichnungen von ihm erschienen in der Satirezeitschrift Roter Pfeffer, Nachfolger des Eulenspiegels im Neuen Deutschen Verlag von Münzenberg, und in der Roten Fahne, dem Zentralorgan der KPD.[42]

In der Roten Fahne würdigte der Kulturredakteur der Zeitung, Alfred Durus (Alfréd Kemény,1895-1945), Mitglied des Sturm-Kreises und Mitbegründer der Asso, Kirszenbaum im November 1931 anlässlich von dessen Ausstellung in der Galerie Fritz Weber als „Künstler des ostjüdischen Proletariats“ (siehe PDF 2). Weltanschaulich befinde sich der Künstler „in einem Übergangsstadium zwischen Mystik und Marxismus.“ Das Milieu des ostjüdischen Proletariats werde „von ihm in malerisch meisterhaften Aquarellen und Ölbildern suggestiv und faszinierend vor Augen geführt“. Man hoffe jedoch, die ideologisch aufsteigende Linie werde nicht wie bei den großen proletarischen Malern des Ostjudentums, Chagall und Jankel Adler, „umschlagen. Jedenfalls muss da noch ein harter Kampf um die vollständige Erfassung der zeitgemäßen revolutionären Weltanschauung, des dialektischen Materialismus, ausgefochten werden“.[43]

1932 war Kirszenbaum auf der Ausstellung Revolutionäre Malerei, einer Sonderschau der inzwischen in Bund revolutionärer bildender Künstler (BRBKD) umbenannten Asso, vertreten.[44] Die Ausstellung zeigte Werke von Künstlerinnen und Künstlern, und zwar Mitgliedern des BRBKD, deren Arbeiten aufgrund ihres kritischen Inhalts zuvor von der Polizei aus der Großen Berliner Kunstausstellung entfernt worden waren. Durus berichtete im Magazin für Alle über die Teilnahme von Kirszenbaum und den Asso-Mitgliedern Alois Erbach (1888-1972) und Horst Strempel (1904-1975) und bildete Kirszenbaums Radierung „Pogrom“ (Abb. 11 . ) ab: In Kirszenbaums Szenen aus dem Ostjudentum werde „nicht das Leben einer Religionsgemeinschaft gezeigt, sondern das schwere Schicksal eines östlichen Proletariats, welches mit dem Schicksal der Proletarier der ganzen Welt vieles gemeinsam hat.“[45]

Künstlerisch orientierte sich Kirszenbaum seit seiner Zeit am Bauhaus an unterschiedlichen Stilen. Die beiden frühesten bekannten Werke, Radierungen mit Szenen aus der Synagoge, „Ba'ei Shalom“ (Die, die in Frieden kommen) und ein Junge vor dem Rabbi mit der Tora,[46] sind 1923 vermutlich schon am Bauhaus in Weimar entstanden und zeigen noch jenen naturalistischen Stil, den der Künstler sich autodidaktisch vermittelt hatte. Das um 1925 entstandene Selbstbildnis (siehe Titelbild) verrät kubistischen Einfluss. Die voluminösen und gerundeten Formen des Oberkörpers und der Arme wirken puppenhaft und verweisen auf eines der wenigen Selbstbildnisse von Oskar Schlemmer, den „Männlichen Kopf I“ von 1912.[47] Selbst die scharfkantige Nase, die mandelförmigen Augen, die glatte Frisur und die wie angesetzt wirkenden Ohren scheinen von dort zu kommen. Kongruenzen sind aber auch zur Partie von Nase und Augen im 1914 entstandenen Selbstbildnis von Chagall zu erkennen.[48] Schlemmer war Kirszenbaum als Leiter der Werkstatt für Wandbildmalerei am Bauhaus natürlich gut bekannt. Im August 1923 wurde während der Bauhauswoche im Weimarer Nationaltheater das aus kubistischen Figurinen bestehende „Triadische Ballett“ aufgeführt, auf das sich Ausstellungen und Publikationen noch Jahre später bezogen. Kirszenbaum jedenfalls porträtierte sich, möglicherweise bereits in Berlin, mit Weste, Stehkragen und Krawatte als attraktiven jungen Mann der großstädtischen Gesellschaft und mit seinen beruflichen Attributen, Palette und Pinsel.

 

[40] Revolution und Realismus 1978 (siehe Literatur), Seite 50

[41] Magazin für Alle, Band 7, Nr. 4, Berlin 1932, abgebildet im Ausstellungs-Katalog Revolution und Realismus 1978 (siehe Literatur), Seite 130, Abbildung 438, Bildlegende Seite 269

[42] Linsler 2013 (siehe Literatur), Seite 293 f.

[44] Revolution und Realismus 1978 (siehe Literatur), Seite 50

[45] Alfred Durus: Revolutionäre Malerei. Bilder von Erbach, Kirschenbaum, Strempel und Wegener, in: Magazin für Alle, Band 7, Nr. 8, Berlin, August 1932, Seite 42. Die Berliner Ausstellung Revolution und Realismus 1978 (siehe Literatur) zeigte Kirszenbaums zu jener Zeit verschollene Radierung „Pogrom“ nach der Abbildung im Aufsatz von Alfred Durus (Katalog Seite 269).

[46] Beide Werke im Besitz des Leo Baeck Institute in New York, https://www.lbi.org/artcatalog/search?q=Kirszenbaum. Die dort angegebenen Titel, „Paul von Jecheskiel“, bezeichnen wohl in Wirklichkeit den ursprünglichen Besitzerwechsel (also: von Jecheskiel an Paul geschenkt). Das angebliche „W“ in der Signatur ist in Wirklichkeit ein „D“, dessen oberer rechter Schwung nach rechts anstatt nach links geführt wurde. Später korrigiert Kirszenbaum diese Merkwürdigkeit. Eine Entstehung der beiden Radierungen in Kirszenbaums erster Zeit am Bauhaus darf angenommen werden, da zu ihrem Druck professionelle Maschinen notwendig waren.