Jesekiel Kirszenbaum – Ausstellung in Solingen

Beim Studium des Maimonides, Berlin 1925. Tusche auf Papier, 50 x 32 cm, Privatbesitz
Beim Studium des Maimonides, Berlin 1925. Tusche auf Papier, 50 x 32 cm, Privatbesitz

Die Initiative zur Ausstellung, so war bei der Eröffnung zu hören, ging von Bankdirektor Jürgen Vits (Frankfurt am Main) aus, Mitglied der Fördergesellschaft des Solinger Zentrums für verfolgte Künste und der Vereinigung Gegen das Vergessen - Für Demokratie e.V., der vor einigen Jahren eine persönliche Verbindung zu Kirszenbaum entdeckt hatte. Die Familie seines Großonkels hatte von 1942 bis 1944 in Belgien ein jüdisches Kind, Amos Diament, vor den Nationalsozialisten versteckt und war dafür 2004 von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt worden. Amos und sein von einer anderen belgischen Familie geretteter Bruder, Nathan Diament, die 1949 zusammen mit ihren Eltern, die ebenfalls in Belgien überlebten, nach Israel auswanderten, sind Großneffen von Jesekiel Kirszenbaum. Sie setzen sich seit rund fünfzehn Jahren dafür ein, dessen künstlerisches Erbe zu sichern und wieder in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Bei einem Treffen mit Vits in Israel entstand die Idee zu einer Ausstellung in Deutschland, die jetzt mit dem Zentrum für verfolgte Künste in Solingen (Abb. 1) verwirklicht werden konnte und die Werke aus dem Besitz der Familie und aus Privatsammlungen zeigt. Kuratiert wurde die Ausstellung von Nathan Diament (Tel-Aviv, Abb. 2), der seit Jahren Werke von Kirszenbaum in Archiven zahlreicher Museen und Sammlungen zutage fördert, 2012 ein Buch über seinen Großonkel herausgab, eine Webseite betreibt und weitere Ausstellungen initiierte, sowie von Jürgen Kaumkötter M.A., dem wissenschaftlichen Kurator und Leiter der Sammlungen des Solinger Zentrums. Vorangegangen war eine Ausstellung im Mimara-Museum in Zagreb. Bei der Ausstellungs-Eröffnung in Solingen waren Nathan und Amos Diament sowie Nachkommen jener belgischen Familien anwesend, denen sie ihre Rettung verdanken.

Die Ausstellung wird eingeleitet von zwei Tuschezeichnungen, die 1925 in Berlin, also unmittelbar nach Kirszenbaums Studium am Bauhaus, entstanden sind: „Beim Studium des Maimonides“ (Titelbild) und „Musiker und ihre Anhänger“. Ausgeführt in einem flächigen Stil mit sich überschneidenden geometrischen Formen reflektieren sie Kunstrichtungen der Zeit zwischen Dada und Kubismus. Die kontrastreiche schwarzweiße Gliederung erinnert an Holz- und Linolschnitte, wie sie in jenen Jahren von zahlreichen Künstlern als Illustrationen und Grafikbeilagen für Zeitschriften wie Der Sturm geschaffen wurden. Vielleicht waren sie sogar als Vorlagen für solche Illustrationen gedacht, denn Kirszenbaum arbeitete im selben Jahr bereits für die Berliner Zeitschrift Gebrauchsgraphik und hatte vermutlich schon zu diesem Zeitpunkt durch seinen Studienfreund am Bauhaus, Paul Citroen (1896-1983), der enge Verbindungen zur Dada-Gruppe hatte, den Herausgeber der Zeitschrift Der Sturm und zugleich Leiter der Sturm-Galerie, Herwarth Walden, kennen gelernt. Die Bildmotive sind Alltagsszenen aus dem Stetl, den jüdischen Siedlungen im östlichen Europa, wie Kirszenbaum sie aus seiner Kindheit und Jugend in Staszów, einer Stadt mit rund neuntausend Einwohnern und über der Hälfte jüdischer Bevölkerung, her kannte und sein Leben lang aus der Erinnerung in Bildern festhielt: das Studium der alten jüdischen Schriften im Cheder, der religiösen Grundschule, und die traditionellen Geigenspieler, zu deren Musik nicht nur die Leute der Stadt, sondern auch – man denke an ähnliche Motive von Chagall –allerlei Tiere zusammengelaufen sind.

Als Karikaturist für die Zeitschrift Ulk, die als Illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire im Berliner Verlag von Rudolf Mosse erschien, präsentierte sich Kirszenbaum als weltläufiger Schilderer der großstädtischen Gesellschaft der „Goldenen Zwanzigerjahre“. Seine Karikaturen, die von 1926 bis 1929 im Ulk unter dem Pseudonym „Duwdiwani“, dem hebräischen Wort für „Kirschbaum“, erschienen  – in der Ausstellung durch Reproduktionen und zwei originale Sammelbände der Zeitschrift repräsentiert (Abb. 3-5)  – zeigen Typen der Weimarer Zeit daheim am Kaffeetisch mit der Sportbeilage des Berliner Tageblatts (Abb. 4), als Ausstellungsbesucher („Die Natur ist ganz einfach Kitsch, und ein Kerl, der sie abmalt, verursacht mir geradezu Brechreiz!“), als Zukunftsvisionäre „Im Jahre 2000“ oder als Alkoholiker während der amerikanischen „Prohibition“ („Ja, wir Alkoholiker haben’s schwer. Drei müssen immer Kulisse stehen, während der Vierte aus dem Fläschchen nuckelt!“, Abb. 5). Künstlerisch variieren sie von einem prägnanten Schwarzweißstil, wie er auch von anderen Zeichnern im Ulk oder in den Münchner Zeitschriften Jugend und Simplicissimus gepflegt wurde, bis hin zu bissig-dadaistischen Übertreibungen in einem linearen Duktus, wie man ihn von George Grosz kennt.

Mediathek
  • Abb. 1: Kunsthalle Solingen

    Kunsthalle Solingen mit dem Zentrum für verfolgte Künste
  • Abb. 2: Nathan Diament

    Der Nachlass-Verwalter, Nathan Diament, während der Eröffnung
  • Abb. 3: Karikaturen und Dokumente

    Reproduktionen von Karikaturen und originale Dokumente aus Kirszenbaums Lebenszeit
  • Abb. 4: Der sportliche Hausfreund, 1927

    Sammelband der Zeitschrift Ulk mit der Karikatur von Kirszenbaum
  • Abb. 5: Drei Karikaturen, 1926

    Sammelband der Zeitschrift Ulk mit drei Karikaturen von Kirszenbaum
  • Abb. 6: Autobiografie

    Autobiografie von J.D. Kirszenbaum in der Solinger Ausstellung
  • Abb. 7: Fotografien

    Historische Fotografien von J.D. Kirszenbaum und seiner Familie
  • Abb. 8: Briefe, 1940

    Briefe von J.D. Kirszenbaum und seiner Frau Helma, 1940
  • Abb. 9: Dokumente, 1945/46

    Briefe und Ausstellungs-Einladungen, Paris und Brüssel, 1945/46
  • Abb. 10: Gemälde, 1930-40

    „Porträt Dr. Freud“, „Mann mit Zigarette“, „Kirche“
  • Abb. 11: Die Ankunft des Messias, 1939

    Die Ankunft des Messias im Dorf, 1939, Öl auf Leinwand
  • Abb. 12: Kunst im Untergrund

    Während der Lagerhaft und im Untergrund entstandene Gemälde, 1941/42
  • Abb. 13: Der Messias und die Engel, 1942

    Der Messias und die Engel erreichen das Dorf, 1942, Öl auf Leinwand
  • Abb. 14: Wasserträger, 1942

    Wasserträger, Staszów, 1942, Öl auf Leinwand
  • Abb. 15: Drei Porträts, 1945-50

    Porträt von Kirszenbaums Frau Helma, 1945; Selbstporträt, 1947; Porträt Kirszenbaum von Alix de Rothschild, 1950
  • Abb. 16: Kunst nach der Shoa

    Flucht einer Mutter, 1945; Die Liebenden, um 1949; In unserer Welt gibt es keinen Platz für Juden, 1947; Engel, eine verlorene Seele des Stetls tragend, 1946
  • Abb. 17: Kein Platz für die Juden, 1947

    In unserer Welt gibt es keinen Platz für die Juden, 1947, Öl auf Leinwand
  • Abb. 18: Der blinde Geiger, 1945

    Der blinde Geiger, 1945, Öl auf Leinwand
  • Abb. 19: Volkstypen aus Staszów, um 1945

    Sitzender Hausierer; Jüdischer Mann mit Tallit, beide um 1945, Öl auf Leinwand
  • Abb. 20: Trompeter, 1946

    Der Trompeter, 1946, Öl auf Leinwand
  • Abb. 21: Porträt Robert Giraud, 1946

    Porträt Robert Giraud, 1946, Öl auf Leinwand
  • Abb. 22: Denker, Heiliger 1945/47

    Der Denker, 1945; Heiliger, 1947, Öl
  • Abb. 23: Jüdische Denker, 1945/46

    Apostel, 1946; Der Denker, um 1945; Mann mit Stock, 1946; Vater des Künstlers, 1945
  • Abb. 24: Staszów in religiöser Thematik

    Gemälde mit religiösen Themen, die in Staszów spielen
  • Abb. 25: Landschaften

    Landschaften und Blumenstillleben, 1940-47
  • Abb. 26: Wege zur Abstraktion

    Abstrakte und abstrakt-gegenständliche Bilder, 1949-54
  • Abb. 27: Fisch, um 1948

    Fisch mit abstraktem Hintergrund, um 1948, Aquarell
  • Abb. 28: Exotische Motive

    Stillleben mit Banane, 1952; Brasilianerin mit Kind, undatiert
  • Abb. 29: Brasilianische Masken, um 1949

    Brasilianische Masken, um 1949, Gouache