Jesekiel Kirszenbaum – Ausstellung in Solingen
Die Initiative zur Ausstellung, so war bei der Eröffnung zu hören, ging von Bankdirektor Jürgen Vits (Frankfurt am Main) aus, Mitglied der Fördergesellschaft des Solinger Zentrums für verfolgte Künste und der Vereinigung Gegen das Vergessen - Für Demokratie e.V., der vor einigen Jahren eine persönliche Verbindung zu Kirszenbaum entdeckt hatte. Die Familie seines Großonkels hatte von 1942 bis 1944 in Belgien ein jüdisches Kind, Amos Diament, vor den Nationalsozialisten versteckt und war dafür 2004 von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt worden. Amos und sein von einer anderen belgischen Familie geretteter Bruder, Nathan Diament, die 1949 zusammen mit ihren Eltern, die ebenfalls in Belgien überlebten, nach Israel auswanderten, sind Großneffen von Jesekiel Kirszenbaum. Sie setzen sich seit rund fünfzehn Jahren dafür ein, dessen künstlerisches Erbe zu sichern und wieder in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Bei einem Treffen mit Vits in Israel entstand die Idee zu einer Ausstellung in Deutschland, die jetzt mit dem Zentrum für verfolgte Künste in Solingen (Abb. 1) verwirklicht werden konnte und die Werke aus dem Besitz der Familie und aus Privatsammlungen zeigt. Kuratiert wurde die Ausstellung von Nathan Diament (Tel-Aviv, Abb. 2), der seit Jahren Werke von Kirszenbaum in Archiven zahlreicher Museen und Sammlungen zutage fördert, 2012 ein Buch über seinen Großonkel herausgab, eine Webseite betreibt und weitere Ausstellungen initiierte, sowie von Jürgen Kaumkötter M.A., dem wissenschaftlichen Kurator und Leiter der Sammlungen des Solinger Zentrums. Vorangegangen war eine Ausstellung im Mimara-Museum in Zagreb. Bei der Ausstellungs-Eröffnung in Solingen waren Nathan und Amos Diament sowie Nachkommen jener belgischen Familien anwesend, denen sie ihre Rettung verdanken.
Die Ausstellung wird eingeleitet von zwei Tuschezeichnungen, die 1925 in Berlin, also unmittelbar nach Kirszenbaums Studium am Bauhaus, entstanden sind: „Beim Studium des Maimonides“ (Titelbild) und „Musiker und ihre Anhänger“. Ausgeführt in einem flächigen Stil mit sich überschneidenden geometrischen Formen reflektieren sie Kunstrichtungen der Zeit zwischen Dada und Kubismus. Die kontrastreiche schwarzweiße Gliederung erinnert an Holz- und Linolschnitte, wie sie in jenen Jahren von zahlreichen Künstlern als Illustrationen und Grafikbeilagen für Zeitschriften wie Der Sturm geschaffen wurden. Vielleicht waren sie sogar als Vorlagen für solche Illustrationen gedacht, denn Kirszenbaum arbeitete im selben Jahr bereits für die Berliner Zeitschrift Gebrauchsgraphik und hatte vermutlich schon zu diesem Zeitpunkt durch seinen Studienfreund am Bauhaus, Paul Citroen (1896-1983), der enge Verbindungen zur Dada-Gruppe hatte, den Herausgeber der Zeitschrift Der Sturm und zugleich Leiter der Sturm-Galerie, Herwarth Walden, kennen gelernt. Die Bildmotive sind Alltagsszenen aus dem Stetl, den jüdischen Siedlungen im östlichen Europa, wie Kirszenbaum sie aus seiner Kindheit und Jugend in Staszów, einer Stadt mit rund neuntausend Einwohnern und über der Hälfte jüdischer Bevölkerung, her kannte und sein Leben lang aus der Erinnerung in Bildern festhielt: das Studium der alten jüdischen Schriften im Cheder, der religiösen Grundschule, und die traditionellen Geigenspieler, zu deren Musik nicht nur die Leute der Stadt, sondern auch – man denke an ähnliche Motive von Chagall –allerlei Tiere zusammengelaufen sind.
Als Karikaturist für die Zeitschrift Ulk, die als Illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire im Berliner Verlag von Rudolf Mosse erschien, präsentierte sich Kirszenbaum als weltläufiger Schilderer der großstädtischen Gesellschaft der „Goldenen Zwanzigerjahre“. Seine Karikaturen, die von 1926 bis 1929 im Ulk unter dem Pseudonym „Duwdiwani“, dem hebräischen Wort für „Kirschbaum“, erschienen – in der Ausstellung durch Reproduktionen und zwei originale Sammelbände der Zeitschrift repräsentiert (Abb. 3-5) – zeigen Typen der Weimarer Zeit daheim am Kaffeetisch mit der Sportbeilage des Berliner Tageblatts (Abb. 4), als Ausstellungsbesucher („Die Natur ist ganz einfach Kitsch, und ein Kerl, der sie abmalt, verursacht mir geradezu Brechreiz!“), als Zukunftsvisionäre „Im Jahre 2000“ oder als Alkoholiker während der amerikanischen „Prohibition“ („Ja, wir Alkoholiker haben’s schwer. Drei müssen immer Kulisse stehen, während der Vierte aus dem Fläschchen nuckelt!“, Abb. 5). Künstlerisch variieren sie von einem prägnanten Schwarzweißstil, wie er auch von anderen Zeichnern im Ulk oder in den Münchner Zeitschriften Jugend und Simplicissimus gepflegt wurde, bis hin zu bissig-dadaistischen Übertreibungen in einem linearen Duktus, wie man ihn von George Grosz kennt.