Monika Czosnowska
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Um diese Wirkung zu erzielen und die Persönlichkeit der Porträtierten zurücktreten zu lassen, wählt sie ihre Modelle aus Gruppen mit einheitlicher Kleidung wie Schuluniformen, Chorhemden (Abb. 18-27), Klosterhabit, Pfadfinderkluft (Abb. 28-39) oder Sportdress. Bei Personen, die sie auf der Straße findet, sucht sie zuhause aus deren Kleiderschrank zurückhaltende, eher unmodern gewordene Kleidungsstücke aus oder hat für den Notfall ein neutrales Hemd oder Blüschen dabei. Der Blick ihrer Modelle geht nicht nur, wie wir es aus der älteren Porträtmalerei kennen, am Betrachter vorbei, sondern ist verhalten, unbeteiligt und in sich gekehrt. Was Erwachsene von sich aus vermögen, den Blick nach innen zu wenden, wenn sie nachsinnen oder dem Gesprächspartner unaufdringlich gegenübertreten wollen, erreicht sie bei Kindern, indem sie sie in Gedanken das Einmaleins aufsagen lässt. Gerade bei der Serie „Novizen“ spielt der in sich gekehrte Blick eine besondere Rolle und erfährt durch die mal verwegene, mal demütige Kopfhaltung wie bei „Adrian“ (Abb. 11), „Agnes“ (Abb. 15) oder „Justus (Abb. 16) eine zusätzliche Prägnanz. In der Malerei ist diese Art des Blicks vor allem bei Heiligendarstellungen zu finden, dann aber in den populären Chromolithografien des späten 19. Jahrhunderts, die für Heiligenbilder oder Wandbilddrucke mit Familienidyllen vor allem in katholischen Gegenden Verwendung fanden.[9] Vielleicht sind auch von dort her Kindheitseindrücke für Czosnowska prägend geworden.
Die Fotografin arbeitet mit einer Pentax-Mittelformatkamera, analogem Filmmaterial von Kodak und fotografiert ausschließlich mit Tageslicht, das von vorn kommt und die Gesichter gleichmäßig ausleuchtet. Das mache ihre Arbeiten weicher, sagt sie, vielleicht sogar malerischer. Sie zieht ihre Bilder selbst in professionellen Labors ab, beeinflusst dabei die Farbigkeit und den Helldunkel-Kontrast möglicherweise hin „zu einem Hauch Verklärtheit“. Zuletzt ändert sie die Namen der Porträtierten und gibt ihnen Vornamen, die „keinem Modetrend unterworfen sind und die Fotografie zum endgültigen Bild verdichten.“ Alle Einzelmerkmale und Gestaltungsschritte zusammen, die Auswahl der Modelle, Physiognomie, Ausdruck, Haltung, Pose, Blickrichtung, Kleidung, Lichtführung und schließlich die Technik des Abzugs, führen zum Ausdruck und zur Wirkung jedes einzelnen Porträts: „Ich inszeniere meine Fotoarbeiten, um genau diesen Ausdruck zu erzielen.“[10]
Das wirft natürlich die Frage auf, ob es sich bei ihren Bildnissen im engeren Sinn um Porträts, also um Wiedergaben von bestimmten Personen, oder nicht vielmehr um allgemein gültige Bilder des Menschlichen, der Conditio humana, handelt. Ein Porträt oder ein Bildnis, wie man früher in der Kunstwissenschaft sagte, ist nach gängiger Definition „das Bild eines Menschen, das eine bestimmte Persönlichkeit wiedergeben soll“ (Percy Ernst Schramm). Entscheidend ist danach die Absicht, so das Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, „einen bestimmten Menschen darzustellen, nicht der Grad der erreichten Ähnlichkeit, die zu gewissen Zeiten nur mit Einschränkung erstrebt worden ist“.[11]
[9] Christa Pieske: Wandbilder für jedermann. Wandbilddrucke 1840-1940, Ausstellungs-Katalog Museum für Deutsche Volkskunde SMPK Berlin, 1988
[10] Regina Michel im Gespräch mit Monika Czosnowska (siehe Anmerkung 6), Seite 17-19
[11] Paul Ortwin Rave: Bildnis, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Band 2, 1939, Spalte 639-680; online: RDK Labor, http://www.rdklabor.de/w/?oldid=92360 (aufgerufen am 9.10.2017)