Daniel Chodowiecki – Die Polonica
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Daniel Chodowiecki - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Vermutlich aus dem Gedächtnis zeichnete er noch einmal den Fürstprimas in Hauskleidung, nachdem er ihm am 9. Juli die fertiggestellte Miniatur und ein Gedicht von Pastor Bocquet überbracht hatte (Abb. 25). Auf besonderen Wunsch des Fürstprimas wurde auch Madame Öhmchen porträtiert, die bis heute als Mätresse des Fürstprimas gilt (Abb. 26, 36). Das Bild einer Mittagstafel beim Fürstprimas, zu der Chodowiecki am 12. Juli nach der Porträtsitzung von Madame Öhmchen im Beisein aller bislang Beteiligten eingeladen worden war (Abb. 28), bildet den Abschluss dieser Bildserie über die von polnischen Adligen erteilten Porträtaufträge. Zu sehen sind Gräfin Podoska, Starost Ledóchowski, Madame Öhmchen, Graf Podoski, zwei Herrn in polnischer Tracht, der Hauskaplan, Kaufmann Grischow und der Chevalier Du Bouloir. Der Hausherr ist links der Bildmitte in der Lücke zwischen den Stühlen zu sehen, ihm gegenüber sitzt in Rückansicht, einen halben Kopf größer, der Künstler selbst.
Die Reihe der Radierungen mit polnischen Themen beginnt 1775 mit „drei polnischen Figuren“ auf einem Blatt (Abb. 39), deren Anlass zwar unbekannt ist, die jedoch Motive von der Reise nach Danzig wieder aufgreifen: eine Dame, die aus der katholischen Messe kommt, ein Priester im Messgewand und dazwischen ein polnischer Adliger, der dem Danziger Strażnik Czapski (Abb. 37) nachempfunden ist. Erst sieben Jahre später, in einem Almanach auf das Jahr 1782, erscheint erneut ein Danziger Motiv, der „Polnische Fliß“ (Abb. 40), der außerhalb von Danzig nicht nur durch die ungewöhnliche Schreibweise des Bildtitels sicher von kaum jemand zu deuten gewesen ist. Das Bild ist Teil einer Serie von zwölf Darstellungen mit „Heiratsanträgen“, die das Verhalten von Berufsgruppen wie Kutschern, Schustern oder Fleischern, von Menschtypen wie dem „Einfallspinsel“ oder von konfessionellen Gruppen wie den Mennoniten oder den Herrnhutern bei der Brautwerbung in typischer oder amüsanter Weise darstellen sollten. Drei Jahre später, 1785, radierte Chodowiecki das Titelbild zu einer Parabel „Der schon öfters verjüngte Greis“ (Abb. 41) von Ignacy Krasicki (1735-1801). Dieser war 1766 vom polnischen König Stanisław II. August zum Fürstbischof von Ermland berufen worden, fand sich jedoch nach der ersten Teilung Polens 1772 plötzlich in preußischen Diensten wieder. Seitdem pflegte er enge Beziehungen zu Friedrich dem Großen, hielt sich häufig am Hof in Sanssouci auf und wurde seit einer 1778 für Friedrich verfassten satirischen Schrift mit dem Titel „Monachomachia“ (dt. „Der Mönche-Krieg“), die in Polen Verärgerung hervorrief, als Schriftsteller der Aufklärung bekannt. Chodowiecki dürfte ihn in Berlin kennen gelernt haben. 1786 wurde Krasicki in die Berliner Akademie der Künste berufen. Durch dessen Vermittlung dürfte Chodowiecki auch den Auftrag für die Vignette „Das Auge der Vorsehung“ (Abb. 42) in einer religiösen Druckschrift einer Bruderschaft im Ermland erhalten haben.
Mit zwölf „Darstellungen aus der neuen Geschichte“ im „Gothaischen Hofkalender“ von 1790 beginnt Chodowieckis Bildserie zu historischen Ereignissen in Polen. Die Bilder im „Hofkalender“ schilderten in unterhaltsamer Folge und ohne inneren Zusammenhang Weltereignisse der zurückliegenden zwanzig Jahre wie den Tod Friedrichs des Großen 1785, den Besuch Papst Pius VI. 1782 in Wien, die „Verwüstungen des Erdbebens in Calabrien“ im Jahr 1789 oder die Thronbesteigung Selims III., Sultan des Osmanischen Reiches, am 13. April 1789 in Konstantinopel. Das früheste geschilderte Ereignis ist die (gescheiterte) Entführung des polnischen Königs Stanisław II. August (Abb. 43) mitten in Warschau in der Nacht des 3. November 1771 durch Mitglieder der Konföderation von Bar, einer Vereinigung von polnischen Kleinadligen, die seit 1768 gegen die vom König gebilligte russische Fremdherrschaft rebellierten. Das zweite Blatt zeigt unter dem Titel „Der Pohlnische Reichstag“ (Abb. 44) eine Sitzung des Vierjährigen Sejms (1788-92) aus dem Vorjahr 1789, während der unter Vorsitz des Königs die Reform der polnischen Adelsrepublik und das Verhältnis zu Russland und Preußen diskutiert wurden.
Nachdem die neue polnische Verfassung, das erste moderne Staatswesen Europas mit den Prinzipien von Volkssouveränität und Gewaltenteilung, am 3. Mai 1791 vom König vorgelegt und vom Sejm beschlossen worden war, entwarf Chodowiecki für den „Göttinger Taschenkalender“ von 1793 eine Allegorie auf dieses Ereignis (Abb. 45): Unter dem Schutzmantel des Königs vereinigen sich (von rechts) Adel, Wissenschaften und Künste, Bauern und Kaufleute, denen die Verfassung die jeweiligen Bürgerrechte garantierte. Auf die Verfassungsfeier vom 3. Mai 1791, bis heute polnischer Nationalfeiertag, und die von der Französischen Revolution inspirierten Errungenschaften der neuen Verfassung bezieht sich Chodowieckis Radierung „Die Feyer der großen Revolution Pohlens“ (Abb. 46) im „Grosbritanisch Historischen Genealogischen Calender“ von 1793. Eines von „Zwölf Blättern zur Brandenburgischen Geschichte“, 1794 im „Historisch Genealogischen Calender“ in Berlin erschienen, zeigt eine von Friedrich dem Großen während des ersten Schlesischen Krieges am Jahresbeginn 1742 in Dresden einberufene „Conferenz“ (Abb. 47) mit Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen, als August III. zugleich König von Polen (1696-1763), um sich die Unterstützung sächsischer Truppen beim Einmarsch in Mähren zu sichern.
1795 begann Chodowiecki mit der Arbeit an einer Serie von zwölf Radierungen zur „Geschichte von Polen“, die in zwei Folgen zu je sechs Blättern in den „Historisch-genealogischen Calendern“ von 1796 und 1797 im Verlag von Johann Friedrich Unger in Berlin erschienen. Die Auswahl der Themen entsprach offenbar ihrem Unterhaltungswert in den Jahren um die Wende zum 19. Jahrhundert. In den Bereich der Sagen und Legenden gehören die ersten beiden Blätter, „Piast und seine Frau bewirthen zwei unbekante Reisende“ (Abb. 48) und „Boleslaw II zwingt die polnischen Frauen, kleine Hunde an der Brust zu tragen“ (Abb. 49). Der Piasten-Herzog und König Bolesław II. (1042-1081), hochmütig, gewalttätig und verhasst bei seinen Untertanen, bot bis in die Neuzeit Anlass zu blutrünstigen Legenden, da er, so die Sage vom „Stummen Büßer zu Ossiach“, den Heiligen Stanisław, Bischof von Krakau, während der heiligen Messe erschlagen haben sollte.[20] Die von Chodowiecki illustrierte Legende findet sich auch in der 1819 in Leipzig erschienenen Anthologie „Romantischer Bildersaal großer Erinnerungen“: „Boleslav II. der Pohlen König, bekräftigte auch durch sein Beispiel wieder jene als Wahrheit, um wie gar viel leichter es sey, Andere zu überwinden, als sich selbst. Eigenwille, Rachgier, Grausamkeit, schlugen ihre Furienkrallen in sein aufgeregtes Gemüth. […] fürchterlich strafte er die, so auf dem langen gefahr und mühevollen Heerzug in die von jeher verderblichen Tiefen Rußlands seine Fahnen verlassen hatten. Mehr als ein satyrischer Dichter […] schwang die Geißel darüber, daß er bei seiner Heimkehr vom russischen Feldzuge, den Weibern, die seinen treuen Begleitern, während ihrer langen Abwesenheit, untreu geworden waren, die ehebrecherischen Kinder entreissen, und dafür junge Hunde an die Brust legen ließ. Stanislaus […] machte dem König, mit dem Muth eines freyen Mannes, bittere Vorwürfe. Der wüthende Tyrann verfolgte ihn in die Kirche an den hohen Altar zu St. Michael und stieß ihm das Schwert durch den Leib, als er eben Messe las.“[21]
[20] Alois Pischinger: Sagen aus Österreich, Wien 1949, Seite 233-235.
[21] [Wolfgang Adolf Gerle:] Romantischer Bildersaal großer Erinnerungen. Aus der Geschichte des österreichischen Kaiserstaates, Band 2, Leipzig 1819, Seite 20 f.