Daniel Chodowiecki – Die Polonica
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Daniel Chodowiecki - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Am 20. Juni besuchte er die Dominikanerkirche St. Nikolaus, in der er wegen eines Gottesdienstes nicht lange bleiben konnte, aber Zeit fand, kniende und betende Frauen und Männer zu zeichnen (Abb. 14-16), den Kreuzgang zu besuchen und Altäre und Gemälde zu betrachten. Einen Monat später, am 22. Juli, und zuletzt am 4. August wiederholte er den Kirchenbesuch, um erneut die Gemälde anzusehen, aber auch, um weitere Studien von Gläubigen anzufertigen (Abb. 30-33, 38). Während Chodowiecki die großformatigen und bildmäßig ausgeführten Zeichnungen wie die von der Posthalterei in Donnemörse (Abb. 4) oder die vom Vorstädtischen Graben (Abb. 6) sehr wahrscheinlich erst später nach Skizzen oder ganz aus dem Gedächtnis ausgeführt hat, dürften die kleinen Personenstudien tatsächlich an Ort und Stelle entstanden sein. In der Regel dürfte es sich in der von einer protestantischen deutschen Einwohnerschaft dominierten Stadt Danzig bei den katholischen Geistlichen, Mönchen und Gläubigen um Polen gehandelt haben. Dass dies nicht notwendigerweise so sein muss, liegt auf der Hand. Polen waren mit Sicherheit die drei Flößer, von denen im Lichtdruck von 1895 nur noch eine mit Feder ausgeführte Figur sichtbar ist (Abb. 13). Bei ihnen handelte es sich um die als „Fliß“ (poln. flisak) bekannten, durch ihre Bräuche und ihr raubeiniges Verhalten auffälligen Gestalten des Danziger Stadtbilds, die in der Regel Leibeigene am untersten Rand der Gesellschaft waren und Holz, Getreide und andere landwirtschaftliche Güter aus der polnischen Ebene auf Lastkähnen und Flößen die Weichsel hinunter in den Danziger Hafen schafften.
Mit Vertretern der polnischen Aristokratie kam Chodowiecki erstmals in Berührung, als er am 17. Juni zusammen mit dem Prediger der französischen Gemeinde, Pastor Jean Robert Bocquet, dessen Schwiegermutter Madame Scott, Wirtin eines der besten Danziger Gasthäuser, des Englischen Hauses, besuchte. Man trank Kaffee und anschließend besuchte Chodowiecki den Kaufmann Karl Gottfried Grischow, der im selben Haus einen Laden für englische Waren, Möbel und kolorierte Kupferstiche besaß [17]. Chodowiecki zeichnete sich, Madame Scott und das Ehepaar Bocquet in dem Moment, als sie sich von ihrem Kaffeetisch erhoben hatten, um dem Fürstprimas, der mit seinem Gefolge das Gasthaus verließ, Ehre zu erweisen (Abb. 10). Einen Tag später führte Grischow Chodowiecki bei dem reichen Kaufmann Johann Christian Gerdes ein, der ihn auf der Diele des Kaufmannshauses zusammen mit seiner Frau und den am Tisch spielenden Kindern empfing. Rechts ist das durch Vorhänge geschlossene Himmelbett des Ehepaars zu sehen. Auf dem Sofa am Fenster sitzt Franciszek Antoni Ledóchowski (Franz Graf Ledochowski, 1728-1783), der Starost von Włodzimierz, erkennbar an der polnischen Frisur und von Chodowiecki beharrlich „Starost Ledikowski“ genannt (Abb. 11).
Durch Vermittlung von Grischow bekam Chodowiecki am 26. Juni einen seiner ersten Porträtaufträge. Er erhielt einen Termin im Haus des Wojewoden von Pommerellen, Ignacy Franciszek Przebendowski (Ignatz Franz Graf Przebendowski, 1731-1791), um dessen Gattin zu porträtieren (Abb. 17). Sie sei, vermerkt Chodowiecki in seinem Tagebuch „eine hübsche Frau von ungefähr 40 Jahren […] Sie spricht gut französisch & deutsch, sie will mir die Bekanntschaft einer anderen polnischen Dame vermitteln, die malt & radiert. Ich begann mit ihrem Porträt & ihr Gemahl gab mir das seine, sehr hübsch in Italien in Miniatur gemalt, damit ich eine Kopie mache, & am Dienstag will er mir eine Sitzung gewähren, um sie zu vollenden. […] Sie hat sich sehr gefreut, einen polnischen Maler [damit war Chodowiecki gemeint] gefunden zu haben.“[18]
Der Vermittlung von Grischow, der einige von Chodowieckis Porträts bei potentiellen Auftraggebern herumgezeigt hatte, verdankte er auch den Kontakt zu Fürstprimas Gabriel Jan Podoski, dem höchsten Repräsentanten Polens in Danzig, den er schon am nächsten Tag als Elfenbein-Miniatur und auf Pergament zeichnete (Abb. 18), um danach später eine Radierung anzufertigen. Anwesend waren auch die Schwägerin des Fürstprimas, Gräfin Podoska, die überaus füllige „Intendantin“ des fürstlichen Haushalts, Madame Öhmchen (ganz links im Bild), und andere Mitglieder der gehobenen Gesellschaft. Weitere Porträtsitzungen, unter anderem beim Wojewoden Przebendowski (Abb. 19) und erneut beim Fürstprimas (Abb. 20), aber auch bei Mitgliedern der französischen Gemeinde und deutschen Kaufleuten und Adligen folgten in den nächsten Tagen.
Da der Wojewode und seine Frau mit ihren Miniaturen zufrieden waren, empfahlen sie Chodowiecki erneut weiter, diesmal an die Gräfin Anna Czapska (1747-1837), Tochter des Starost Ledóchowski und Ehefrau des Grafen Michał August Czapski (1702-1796).[19] Gräfin Czapska zeichnete er am 8. Juli in Anwesenheit ihres Ehemanns (am linken Bildrand), einer Schwester der Gräfin, Mademoiselle Ledóchowska, und anderer Mitglieder der Gesellschaft (Abb. 22). Der Schwester widmete er ein elegantes, vermutlich aus der Erinnerung gezeichnetes Porträt, wie sie gerade aus einer Tür heraustritt (Abb. 21). Studien einer Demoiselle Chrząszczewska, die ebenfalls bei der Porträtsitzung der Gräfin Czapska anwesend war (Abb. 23, 24), der Gräfin Podoska mit ihrem Begleiter Chevalier du Bouloir und ein anderes Mal mit dem Starost Ledóchowski (Abb. 27, 29), von Fräulein Gousseau, der Erzieherin der Töchter des Grafen Ledóchowski (Abb. 34, 35), sowie des Strażnik Czapski zusammen mit der Starostin Ledóchowska (Abb. 37) schlossen sich an.
[17] Geismeier entschlüsselt in seiner 1994 edierten Ausgabe des Tagebuchs die von Chodowiecki erwähnten Personen in den Anmerkungen.
[18] Daniel Chodowiecki … Das Tagebuch 1994, Seite 41 f.
[19] Die Erinnerungen Chodowieckis an die Personennamen und die Auflösungen von Geismeier weichen in diesem Fall von den polnischen Ahnentafeln ab, die heute auf http://www.sejm-wielki.pl zu finden sind.