Daniel Chodowiecki – Die Polonica
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Daniel Chodowiecki - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Als Chodowiecki am 3. Juni 1773 zu Pferd von Berlin nach Danzig aufbrach, hatte er seine Heimatstadt und seine Mutter dreißig Jahre lang nicht mehr gesehen. Zwei Tage zuvor hatte er beim Stadtkommandanten von Berlin, dann beim Gouverneur, schließlich beim Berliner Polizeidirektor und letztlich beim Stadtsekretär einen Reisepass beantragen müssen. Die Reise würde, wie man ihm sagte, zehn bis zwölf Tage dauern. Probleme bei der Einreise in Danzig sollte es keine geben, denn die Stadt habe ihre Freiheit behalten und der preußische König zum Ausgleich dafür zwei Wojewodschaften bekommen.[16] Im Jahr zuvor war Danzig, das seit dem 15. Jahrhundert als selbständige Stadtrepublik zur polnischen Krone gehört hatte, bei der ersten Teilung Polens zur freien Enklave geworden, während Westpreußen vom Königreich Preußen vereinnahmt worden war. Erst bei der zweiten Teilung Polens 1793 kam auch Danzig zu Preußen.
Schon nach acht Tagen, am 11. Juni, erreichte Chodowiecki Danzig und reiste zwei Monate später, am 18. August wieder nach Berlin zurück. Nicht nur die 108 Zeichnungen, sondern auch das umfangreiche in französischer Sprache geschriebene Tagebuch berichten von der Reise. Es existiert heute nur noch in einer sorgfältigen Abschrift, die 1976 aus dem Besitz der Nachfahren des Künstlers in die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin gelangte. Schon die erste Buchveröffentlichung der Zeichnungen 1895 von Wolfgang von Oettingen (1859-1943), Professor für Kunst- und Literaturgeschichte an der Düsseldorfer Kunstakademie, später Sekretär der Berliner Akademie der Künste, dann Direktor des Goethe-Nationalmuseums in Weimar, enthält zu jeder Zeichnung einen Kommentar, der die die zugehörigen Stellen aus dem Tagebuch referiert. 1994 veröffentlichte der Kunsthistoriker Willi Geismeier (1934-2007) die Zeichnungen und das von Claude Keisch übersetzte Tagebuch in zwei Bänden, wobei wiederum die Zeichnungen mit Kommentaren nach dem Tagebuch versehen sind und das Tagebuch auf die zugehörigen Zeichnungen verweist.
Nach seinem Ritt durch Brandenburg und Pommern über Freienwalde, Plathe, Köslin und Stolp erreichte Chodowiecki am 10. Juni einige kaschubische Dörfer und bei Donnemörse/Donimierz Gebiet, das im Jahr zuvor noch zu Polen gehört hatte. In seiner vierzehnten Reisezeichnung (Abb. 3) ebenso wie in seinem Tagebuch schilderte er, wie eine Frau ihm in einem kaschubischen Dorf ein zwei- oder dreijähriges Kind als Geschenk anbot, das sie angeblich gefunden hätte. Ein schlesischer Kaufmann, den Chodowiecki einige Dörfer zuvor in einem Wirtshaus getroffen hatte, bot an, es auf seiner Rückreise mitzunehmen, um es einem kinderlosen Mann zu geben. Im Stall der Posthalterei von Donnemörse (Abb. 4) versuchten der Postmeister und sein Postillion, Chodowiecki sein Pferd abzukaufen oder es gegen einen „polnischen Fuchs“ zu tauschen, während der schlesische Kaufmann interessiert zuhörte. Chodowiecki lehnte jedoch ab. Über Oliva, wo er zwei Männer in polnischer Tracht und eine Dame mit modischer Kleidung vor einem zum Kloster gehörenden Landhaus zeichnete (Abb. 5), erreichte er am preußischen Schlagbaum die Stadtgrenze von Danzig, während in der Ferne schon der Stadtteil Langfuhr zu sehen war.
In Danzig standen für Chodowiecki natürlich die Ankunft in seinem Elternhaus, die Begegnung mit der Mutter, den beiden Schwestern und den beiden alten Tanten Justine Ayrer, einer unverheirateten Schwester seiner Mutter, und Concordia Chodowiecka, der Witwe seines Onkels Samuel, im Vordergrund. Als der Alltag wieder einkehrte, verließ er das Haus, um Besuche zu machen. Noch hatte er keinen Kontakt zur polnischen Gemeinde. Auf seinen Wegen durch Danzig begegnete er aber natürlich zahlreichen Polen, die er beiläufig oder absichtlich in seinen Zeichnungen festhielt. Sein Pferd hatte er gegen ein Entgelt in einer Kaserne am Vorstädtischen Graben untergebracht. Am rechten Rand der Szene zeichnete er einen Mann in polnischer Adelstracht (Abb. 6). Am selben Tag begegnete ihm auf der Grünen Brücke, die über die Mottlau auf die Speicherinsel führt, ein katholischer Geistlicher, den er zeichnete (Abb. 7). Einige Tage später besuchte er die Karmeliterkirche St. Joseph, auch Weißmönchenkirche genannt, wo er zwei der mit weißen Kutten gekleideten Mönche festhielt (Abb. 8). „Ohnweit Weiss Mönchen“ besuchte er den Pferdestall eines vornehmen Polen, in dem ein Stallknecht mit polnischer Frisur gerade ein Pferd striegelte (Abb. 9). Einem weiteren Mönch begegnete er drei Tage später auf dem Damm und zeichnete ihn in Rückansicht (Abb. 12).
[16] Daniel Chodowiecki … Das Tagebuch 1994, Seite 7