Veränderungen auf dem Ozean. Über die Kunst von Agata Madejska
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An dieser Stelle lohnt es sich, kurz vor einer Entdeckung innezuhalten, die im Erleben der Arbeiten von Agata Madejska bedeutsam sein kann. Sie trifft sowohl auf Projekte zu, die die Künstlerin für die Ausstellung „Miejsce. Tłomackie 3/5“ (Ort. Tłomackie 3/5; 2017)[3] im Auftrag des Jüdischen Historischen Instituts (Żydowski Instytut Historyczny) durchgeführt hat, indem sie die komplizierte Geschichte des Institutsgebäudes erkundete[4], als auch auf den Zyklus „Tender Offer“ (2017) über die Londoner City, oder auf den Fotoessay „Temporary or Permanent“ (2011) für das Museum Folkwang sowie auf die bereits erwähnten Arbeiten: „DeBeers“, „London Stock Exchange“ und „The Economist“. Alle befassen sich mit dem Thema Architektur, was vor allem eine konsequente Strategie der Künstlerin zeigt. In diesem schwer zu erfassenden politischen Raum nimmt sie seine Ausblühungen und Ausbuchtungen auf. In dieser Haltung geht sie ähnlich wie die ersten Solaristen vor, indem sie sich auf die Aktivität der komplexen Struktur konzentriert um sie zu offenbaren und bestätigen.
Dies ist jedoch noch nicht die Entdeckung an sich, sondern erst die Verbindung von Architektur und Fotografie. Während diesem Medium historisch eine große Nähe zur Malerei zugeschrieben wird, verdeutlicht sich bei Madejska die Anpassung der Kamera an Körper und Raum mit aller Kraft. Dies geschieht auf eine besondere Art und Weise, die dem Denken und Erkennen der Betrachter dieser Objekte den Vorrang gibt. Die Künstlerin stellt diese Objekte in den sich verändernden politischen Hyperraum, als ob sie versuchte, die sich überschneidenden Vektoren der diversen Interessen hervorzuheben. In diesen Unterfangen folgt sie den Details, den Unebenheiten und den Spalten, als ob sie die einzelnen Inhalte dieses Raums den Aussagen von Mildred und Edward Hall zufolge, mit ihrem eigenen Körper vermessen würde. Sie selbst äußert sich dazu in ihrem Briefwechsel mit Johanna Jaeger anlässlich der Ausstellung „Johanna Jaeger & Agata Madejska“[5], in dem sie schreibt, dass sie den Raum nicht nur mit den Augen wahrnehme, sondern dass sie ihr Wirkungsfeld, den Raum, der optozentrischen Wahrnehmung trotzend mit ihrem ganzen Ich erfahre.
Was Agata Madejska aus dem so vermessenen Raum dann hervorholt, ist nicht so sehr eine nachträgliche Erinnerung als vielmehr die Visualisierung ihrer Aufschiebung. Als Beispiele sind hier Raumarbeiten aufzuführen, die eine Mischung aus fotografischer Lichtempfindlichkeit und ungewöhnlichen Medien wie Betonzylinder (For Now [Folly]), 2015), glatte Tafeln, fast spiegelartige Materialien (From Now On [Folly], 2014) und schließlich frei hängende Textilien, die langsam auf das in den Saal einfallende Licht reagieren (Near Here, Not Here, Come Here, Over Here, Right Here, Here We Are, 2017). Diese Arbeiten streben keine figurative Aufzeichnung, sie dienen nicht der Indexierung oder dem Aufruf historischer Fakten, sondern sie gestatten dem Betrachter eher, für einen Moment in den Raum sowohl als Magma als auch als Form einzutauchen. Madejskas Arbeiten sind als Stichproben aus dem Urstrom zu sehen, der fortwährend in seinem Bett fließt.
Es ist durchaus möglich, dass die Künstlerin zumindest noch einen weiteren Grund für diese starke Verbindung von Architektur und Fotografie hat. Wie bei dem Medium, das man als Erinnerungsprothese verstanden hat, können Bauwerke ähnliche Konnotationen erzeugen. Man sah in ihnen bis zu den totalitären Erfahrungen im 20. Jahrhundert seit jeher etwas Beständigeres als das menschliche Leben selbst, da sie das Schicksal, die Funktion und die Spuren der Veränderungen im politischen Raum in sich trugen, und dessen Horizont füllten. Beide Erscheinungsformen liefern sich einen Wettlauf mit der Zeit, sowohl rückwärts in die Vergangenheit, die von Ruinen, alten Karten und Denkmälern gekennzeichnet ist, die mit der sentimentalen Umarmung durch Fotografien verschmolzen, als auch Vorwärts in die Zukunft, im Sinne der Bewahrung vor dem Vergessen. Wenn Bauwerke niedergerissen werden, bleiben vielleicht wenigstens Bilder von ihnen erhalten?
Zu beachten ist auch, dass Madejska nicht einfach als Künstlerin nur eines Mediums einzuordnen ist, wenngleich die Fotografie ihr durchaus entspricht. In dem Briefwechsel mit Johanna Jaeger erzählt sie an anderer Stelle über ihre frühe Erfahrung mit der Malerei. Die Fotografie trat erst in ihrem Studium in Essen in ihr Leben, wobei sie gerade die Unvollkommenheit der Kunstform interessiert. Die Spalten, die sie als Künstlerin zeigt und zu vertiefen versucht, haben ihren Ursprung in der zweifelhaften Vollkommenheit der Abstimmung dessen, was beabsichtigt ist, festzuhalten, und dem, was im Akt der Fotografie tatsächlich abgebildet wird. Die Differenz zwischen dem Ausgangszustand und dem Endzustand nährt die Skepsis der Künstlerin; nimmt dem Medium seine Finalität sowie die Kraft, etwas gültig zu benennen und zu manifestieren. Es geht nur um Annäherungen und Modalitäten.
Diesen Ansatz verfolgt Agata Madejska zum ersten Mal in ihrer Arbeit „Factum“ aus dem Jahr 2014. Sie besteht aus sechzehn kleinen Tischen mit abstrakten, stereographischen Bildern, die auf mehreren Plexiglasschichten gedruckt wurden. Diese Hybride aus Fotografie, Objekt und Skulptur sind Zeugnisse des Studiums eines außergewöhnlichen Raums um das Sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow, dessen Einzigartigkeit in der Fixierung eines Spiegelbildes in Stein wiedergegeben wird, das die eigentliche Form des Monuments ausmacht, da die Anlage an ihren beiden Längsseiten von sechzehn Sarkophagen mit der Asche sowjetischer Soldaten eingerahmt ist. Alle Sarkophage wurden mit jeweils zwei Reliefs versehen, in die Zitate von Josef Stalin eingemeißelt wurden, auf der einen Seite auf Russisch und auf der anderen Seite auf Deutsch. Diese Bildtafeln sind als Bühnenelemente zu verstehen, die den Blick des Betrachters nachhaltig auf sich ziehen.
Diese Formen, die in der Wiederholung identisch sein sollten, waren von Anfang an fehlerbehaftet, was einerseits von Menschenhand verursacht wurde, andererseits in der Unzulänglichkeit der Sprache begründet ist, was bei den Übersetzungen deutlich wird. Diese monumentale Spiegelung ist für Madejska der Raum, den sie erforscht. Auf den Tischen werden aufeinandergelegte, hoch kontrastreiche Zusammenstellungen von Spalten in Spiegelblöcken gezeigt, die eben nicht miteinander identisch sind. Dies erinnert an Effekte, die bei elliptischen Spiegeln entstehen, die das Abbild verzerren, mit dem Unterschied, dass bei Madejskas „Factum“ das, was der Betrachter zu sehen bekommt, außerhalb der künstlichen Bildfläche gar nicht existiert. Der Künstlerin gelingt es damit erstmals, etwas hervorzubringen, was sich zwischen zwei Aggregatzuständen bewegt.
Diese Arbeit, die die Einstellung der Künstlerin zur Materie der Fotografie dokumentiert, ist auch im Hinblick auf den Raum des Monuments interessant. Schließlich stellt er einen Erinnerungsort dar, dessen Semantik die Geschichte eines Konflikts enthüllt, wobei das langsam schwindende Verständnis für den Ort, das Madejska mit den auseinander driftenden Schichten darstellt, die eigentliche Wirkung der Zeit in ihren Zwischenräumen zeigt, die sich verändert, die verschwimmt und die zu etwas Neuem wird. Es ist die Eröffnung des in der Post-Erinnerung festgeschriebenen Missverständnispotenzials, der Atrophie der Verbindungen und zugleich eine ironische Darstellung ungehorsamer Dinge, die sich der menschlichen Kontrolle leicht entziehen können, obwohl sie entworfen wurden um zu erinnern.
[3] [Tłomackie ist eine Straße im Zentrum Warschaus, in der sich unter der Nummer 3/5 der Sitz des Jüdischen Historischen Instituts befindet. - Anm. d. Übers.]
[4] http://www.madejska.eu/images/Miejsce%20book%20ENG%20002%202017-11-12-1.pdf
[5] Kunstraum Griffelkunst, Hamburg, 2016.