Veränderungen auf dem Ozean. Über die Kunst von Agata Madejska
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Der Künstlerin Madejska bedeuten Worte viel. Ihre Suche nach den richtigen Worten ist nicht nur Ausdruck einer gut durchgeführten Recherche, an die zeitgenössische Künstler gewöhnt sind, sondern sie ist ihr eigentliches Arbeitsfeld. Man kann fast sagen, dass ihre Werke ihren Ursprung in Worten haben, da der politische Raum an sich aus ihnen erschaffen wird – sie gehören zu den Hauptmaterialien.
Diese starke Beziehung des Worts zum Werk manifestiert sich bei Madejska auf mehreren Ebenen. Die erste Ebene betrifft die Titel selbst. Sie sind entweder beschreibend und ausschweifend, als würden sie eine Leitmelodie für den Empfänger vorbereiten, wie bei der Arbeit „Near Here, Not Here, Come Here, Over Here, Right Here, Here We Are“ (2017) oder kurz und trocken, wie mit der Präzision eines Apothekers abgemessen - etwa die, die sich auf Entstehungsdaten des Monuments beziehen: „25-36“ (2010), „46-48“ (2010), „81-86“ (2010), „1906“ (2012). Die Titel leiten insofern den Wahrnehmungsprozess der Arbeit ein. Mal, wie im Fall des ersten, setzen sie den Betrachter gewissermaßen in Bewegung, mal geben sie nur einen Hinweis auf die Zeit, also auf seine Auswirkungen.
Eine weitere Beziehungsebene stellt die Verwendung der Werkzeuge dar, die der Künstlerin für ihre Arbeit mit dem Wort – die Beobachtung, wie es seine überflüssigen Präfixe, seine Ergänzungen, seine zeitweiligen Einzelheiten verliert – zur Verfügung stehen. In dieser Hinsicht ist die Arbeit „Mistakes Were Made“ (2018) als Erfüllung dieser Praxis zu sehen. Es handelt sich um bearbeitete, faktenreduzierte Reden von Politikern, vorgetragen von professionellen Schauspielern.
Madejska gelingt es hier, etwas nicht Offensichtliches/Naheliegendes zu berühren. Die Aufzeichnungen der Reden sind eine Art Exposé oder einer Regierungserklärung. Durch gezielte Eingriffe wie Kürzungen und Bearbeitungen mutieren die Reden zu Eingeständnissen von Schwäche, zu Liebeserklärungen und bieten Reflexionen über die Gemeinschaft. Auf der Bedeutungsebene sind diese bewegenden Monologe Laienbeichten vor einer geliebten Person. Im Zeitalter der Post-Wahrheit sind eine größere Aufwertung von Worten und eine stärkere Verknüpfung von ihnen mit Emotionen und Werten, die kennzeichnend für Liebes- und Familienbeziehungen sind, schwer zu finden.
Diese Aufwertung der Worte trägt gleichzeitig dazu bei, dass ihre politische Wirkung universaler wird, so dass sie auf mythische Wurzeln der Abreden zwischen den Regierenden und den Regierten verweist. Madejska arbeitet aus den Winkeln der zersplitterten Geschichte eine auf Worten basierende Gemeinschaft hervor und verleiht ihr neue emotionale Qualität.
In „Mistakes Were Made“ ist diese mythologische Gemeinschaft rau und sehr weich zugleich. Diese Widersprüchlichkeit entsteht in Folge der Bekenntnisse, die letztlich nichts anderes sind, als Geständnisse von Niederlagen, Sünden und von Schwächen der Menschen, die führen und anführen sollen.
Eine so einfühlsame Einstellung zur Gemeinschaft ist wie eine Neubetrachtung des Gesellschaftsvertrags [des Philosophen, Anm. d. Übers.] Thomas Hobbes, in dem das Überleben unter dem Anführer Leviathan als wichtigstes Hauptziel gesetzt wird. In „Mistakes Were Made“ scheint das Überleben keine ausreichende Voraussetzung für die Einhaltung des Vertrags zu sein. Der Augenblick, in dem die Niederlage eingestanden wird und den der Zuschauer in einem durch ein schwarzes Zelt abgetrennten intimen Raum erfährt, ist wie ein Versprechen, den Vertrag umzuschreiben und dabei die neue Forderung zu berücksichtigen, die Gesellschaft zu den gleichen Bedingungen, die für ein Gespräch zweier Menschen in einer engagierten Beziehung gelten, zu subjektivieren.
Agata Madejska versteht das Politische, das den menschlichen Lebensraum organisiert, vor allem als Dynamik menschlichen Handelns. Spannungen und Ausbuchtungen des Raums, der jedenfalls auf der Organisationsebene verschieden sein kann, wie auch der stets aus demselben Stoff bestehender Boden, schreiten voran, solange die Geschichte nicht endet – wie noch vor kurzem Fukuyama glauben wollte. Die Künstlerin ist darum bemüht, die besonderen Augenblicke der Aktivitäten dieses Ozeans an Beispielen aus der Vergangenheit ans Tageslicht zu bringen, in der sie Bilder und eigenartige Genreszenen findet, die helfen, die Kraft des Politischen besser wahrzunehmen; was jedoch nicht heißt, sie besser zu verstehen.
Eine solche Szene ist der Kieler Matrosenaufstand, der 1918 die Novemberrevolution in Deutschland auslöste. Anlässlich des 100. Jahrestags dieses Ereignisses konzipierte Agata Madejska die Ausstellung “Modified Limited Hangout” in Wilhelmshaven, wo seinerzeit die ersten Funken des Aufstands auf die Flotte übersprungen sind.
Es war die bisher größte Einzelausstellung der Künstlerin, in der ihre früher geübten künstlerischen Maßnahmen und Methoden zahlreich zu besichtigen waren. Zugleich wurde, nicht zuletzt wegen dem großen Format der Ausstellung, die Summe der Gesten verstärkt, was dazu führte, dass eine sehr aufgeladene, beklemmende Atmosphäre entstand. Im Grunde genommen war die Ausstellung ein Psychothriller ohne erkennbaren Widersacher und kein Historiendrama mit bekannten Darstellern. Die Künstlerin verzichtete wie immer auf dekorative und figurative Elemente sowie auf einfache Indexierung, so dass vielleicht gerade deshalb im dominierenden Grau kein Gedanke an die Vergangenheit aufkommt, die als nüchterne Beschreibung der Fakten den Grund des Aufstands, die Verweigerung des Gehorsams gegenüber Leviathan, erklären würde. Was hervortritt, ist die Energie zwischen dem Bewusstsein der Ausstellungsbesucher für diese historischen Fakten und dem Jetzt – der in Fragmente zerbröckelten Welt.
Wie bei der früheren Arbeit „Tender Offer“ mit dem bevorstehenden Brexit im Hintergrund, scheint hier der Aufstand in der Vergangenheit eine Art Matrix für etwas Neues zu sein, für etwas, was erst noch erscheinen kann. Indem die Künstlerin auf verschiedenen Ebenen alle zuvor schon probierten Mittel verwendet, unternimmt sie den Versuch, ihre unscharfen Formen zu vermessen. In ihr kann man alle Ängste wie Populismen, Post-Wahrheit, fortschreitende Technologien und das Auseinanderdriften der Gesellschaft finden, einschließlich dem Verlust der Bindungen und dem schwindenden Vertrauen in die Institutionen.
Aus diesem Grund wird in der Ausstellung in der Kunsthalle Wilhelmshaven „Mistakes Were Made“ ausgestellt zusammen mit einer neuen Arbeit, die an die Die gläserne Kette erinnert – einen 1919 von Bruno Taut initiierten Gedankenaustausch unter Visionären und Architekten über die Zukunft der Architektur, die aus der Novemberrevolution hervorgehen könnte. Diesen utopischen Dialog läßt Madejska wieder in “Wohin sollen wir uns wenden, um wohin zu gelangen?” (2018) –einer niedergeschriebenen Diskussion zwischen Nina Franz, Rebekka Ladewig und Eva Wilson neu aufleben. Es is ein weiteres Beispiel für Madejska’s Interesse für das Wort, für den Prozess der Benennung von etwas Neuem sowie für die Suche nach Verständigung und Unterstützung der Annahmen durch Diskurs.