Veränderungen auf dem Ozean. Über die Kunst von Agata Madejska
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Zur Utopie und zu ihren falschen Hoffnungen kehrt die Künstlerin auch in der Arbeit „Voyage, Voyage“ (2018) zurück, für die sie die Form eines Teppichs mit geometrischem Muster wählte. bezieht sich auf ein Stück Land im nordamerikanischen Texas, das der radikale Sozialist Etienne Cabet 1848 für seine Gemeinschaft der Ikarier erwarb. Die spezifischen Formen der Parzellen wurden durch den Vertrag zwischen der Verwaltung des Bundesstaats und der Firma, die den Grund und Boden verkaufte, vorgegeben. Die Aufteilung des Grundstücks lähmte das Gedeihen der jungen Kolonie und ließ sie fast untergehen. Diese Arbeit wurde mit dem Zyklus „Technocomplex“ zusammengestellt, einem Beispiel für die Brutalität der Entropie, die in einem entworfenen Raum herrscht.
Madejska schuf für diese Ausstellung auch eine Arbeit, mit der sie, wie es scheint, ihre solaristischen Beobachtungen prolongiert, wobei sie sich diesmal mathematischer Formeln bedient. „Simon says“ (2018) ist ein Zyklus, der sich auf das Josephus-Problem[10] im Bereich der Kombinatorik bezieht. Diese theoretische Aufgabe, die in der Informatik häufig gestellt wird, gibt der Künstlerin die Gelegenheit, über die Zufälligkeit der Ausbuchtungen und Spannungen im politischen Raum nachzusinnen oder sogar den Versuch zu unternehmen, diese vorherzusehen – vor allem i rassistisch und religiös motivierten Konflikten oder in solchen, die aus Mangel an Empathie entstehen.[11] Dabei bleibt der Ozean, wie bei den Solaristen und bei Madejska üblich, auch hier unberührt und in diesem besonderen Fall – grau.
Ein weiterer Zyklus mit dem Titel „RISE“ (2018) entstand in derselben Farbgebung für die Ausstellung „Modified Limited Hangout“. Diese besonderen Arbeiten in der Ausstellung erwecken den Anschein, als kämen sie direkt aus dem Labor von Stanisław Lem, da sie Aufzeichnungen eines photochemischen Smogs sind, der entsteht, wenn ultraviolette Sonnenstrahlen mit hohen Konzentrationen von Abgasen und Industriegasen in der Luft reagieren. Der „RISE“-Zyklus stellt eine extreme Aufzeichnung der Entropie dar, die sich im heutigen öffentlichen Raum materialisiert. Das Phänomen betrifft vor allem große Städte. In Madejskas Version sind das Proben von Veränderungen, von Faktoren, auf die Leviathan noch keine Antwort gegeben hat, wobei möglich ist, dass er sie noch gar nicht sah.
Mit dem Zyklus „RISE“ überschreitet Madejska eine Grenze, hinter der sich die unsichtbare Ausfüllung des politischen Raums, also das, was uns alle betrifft, in ein sichtbares Hyperobjekt verwandelt. Seit dem Zyklus „Factum“, in dem die Künstlerin erstmalig versuchte, ein neues Bild zu erschaffen, gelang Madejska dank ihrer alchemischen Werkstatt eine absolut einzigartige Leistung: Die von ihr ausgesandten Sonden brachten eine neue Entität zum Vorschein.
Jakub Śwircz, November 2019
[10] Das Problem wurde nach dem römisch-jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus benannt, der im ersten Jahrhundert nach Christus lebte. Er wurde bei der Eroberung der Stadt Jotapata gemeinsam mit anderen Aufständischen in einer Höhle umzingelt. Als ihnen die Festsetzung drohte, beschlossen sie, sich selbst zu töten. Da der Suizid jedoch nach jüdischem Recht streng verboten ist, entschieden sie zu losen, wer wen töten sollte, und zwar bis zum letzten, der sich schließlich selbst töten sollte. Flavius und einer seiner Begleiter überlebten diesen Akt zufällig und beschlossen, sich den Römern zu stellen.
[11] Eine Version des Josephus-Problems befasst sich mit der Frage, wie auf einem sinkenden Schiff nur die türkischen Matrosen (Moslems) abgezählt werden können, um sie über Bord zu werfen, um die anderen [die Christen; Anm. d. Übers.] zu retten.