Peenemünde: Polen und Hitlers Wunderwaffe – Die V2-Rakete
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Peenemünde und die Polen - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Die Arbeiter aus Osteuropa werden in der nationalsozialistischen Rassendoktrin als „Untermenschen“ eingestuft. Ihnen ist unter Androhung von Strafe, sogar der Todesstrafe, verboten, Kontakte zur deutschen Bevölkerung zu knüpfen. Sie werden viel schlechter als Briten und Franzosen behandelt, erhalten erheblich geringere Lebensmittelrationen und hausen in viel ärmeren Baracken. Leon Dropek, der mit rund 400 weiteren Polen im Sommer 1940 in Peenemünde eintraf, beschreibt die dort herrschenden Bedingungen so: „Man sagte uns, wir seien freiwillig hierhergekommen, um zum Wohle und zur Unterstützung des Dritten Reichs zu arbeiten. Die an uns vorbeiziehenden Polen aus Łódź gaben uns kein Anlass zu Optimismus. Sie waren schlecht gekleidet, abgemagert und niedergeschlagen.“[2]
Anfangs wurde Dropek zusammen mit anderen Arbeitern in dem Peenemünder Lager für deutsche Arbeitskräfte einquartiert. „Die Baracken waren in U-Form angeordnet, weiß gestrichen und sahen mit ihren roten Fensterrahmen wie Schmuckstücke aus. Sie hatten Acht-Betten-Zimmer, eine Dusche, ein Badezimmer, Matratzen und eine Heizung. Die Bettwäsche konnte jeden Tag gewechselt werden. Diese Idylle währte sechs Wochen, dann wurden wir in das Polen-Lager verlegt. Hier waren 14 Männer in einem Raum untergebracht, es gab Drei-Etagen-Hochbetten, alte Matratzen, alte vergammelte Decken, keine Kissen und kein Wasser, dafür einen Kohleofen. Unsere Körper wurden wegen fehlender Hygiene von Läusen, Flöhen und Wanzen bis aufs Blut zerbissen. Von Zeit zu Zeit wurden Desinfektionsmitteln eingesetzt, die so stark waren, dass Messer, Gabeln und Rasiermesser rosteten. Nach solchen Aktionen wurde die Baracke für 24 Stunden geschlossen. Es war ihnen völlig egal, wo wir schliefen. Hauptsache, wir erschienen am nächsten Tag zur Arbeit. In einer anderen Nacht haben wir uns damit fast vergiftet, uns war schwindlig und wir spuckten Blut. Nach einer Woche waren die Wanzen wieder da.“[3]
Von der strategischen Bedeutung des Peenemünder Forschungszentrums zeugt der Umstand, dass der Ort als dritter überhaupt, nach Berlin und Hamburg, eine elektrische S-Bahn-Anbindung bekam. Am 15. April 1943 wurden 106 km Schienenstrecke in Betrieb genommen. Es gab zwei Bahnlinien mit 12 Haltestellen. Die Züge brachten die Arbeiter täglich zwischen 5 und 23 Uhr aus dem Umland nach Peenemünde. Auch die Regularien dieser Transporte diskriminierten die polnischen Zwangsarbeiter. Sie durften nur den letzten Waggon benutzen. Die Direktion der Deutschen Reichsbahn erließ sogar eine eigene „Richtlinie zur Beförderung von Kriegsgefangenen und Polen“, die unter anderem an die Pflicht erinnerte, ein violettes „P“ zu tragen, das gut sichtbar auf die Kleidung zu nähen war. Polen durften die Bahn außerdem nur mit schriftlicher Genehmigung der örtlichen Polizei betreten, während Arbeiter aus anderen Ländern, beispielsweise Belgier, Franzosen und Italiener, den deutschen Passagieren in der S-Bahn gleichgestellt waren.
Der Elan, mit dem der Bau des Forschungszentrums geplant wurde, sorgte dafür, dass die Zwangsarbeiter durch verschiedene Arbeiten ausgebeutet wurden. Seit 1936 entstanden auf Usedom in wenigen Jahren unter anderem ein Kraftwerk, eine Luftzerlegungsanlage, ein Flugplatz der Luftwaffe mit kompletter Infrastruktur, zwei Häfen, einige Abschussrampen für Raketentests, Prüfstände, Wohnsiedlungen für Wissenschaftler und Zivilangestellte sowie mehrere Zwangsarbeiterlager. In Karlshagen, einer 7 km von Peenemünde entfernten Ortschaft, gab es zwei Konzentrationslager, die als Außenstelle des KZ Ravensbrück für Männer geführt wurden.