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Peenemünde: Polen und Hitlers Wunderwaffe – Die V2-Rakete

V2-Rakete auf Abschussrampe in Peenemünde

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  • 1. Ing. Antoni Kocjan - Ing. Antoni Kocjan, Chef des Luftaufklärungsdienstes der polnischen AK (Heimatarmee).
  • 2. V2-Rakete auf Abschussrampe in Peenemünde - V2-Rakete auf Abschussrampe in Peenemünde.
  • 3. Transport einer V2-Rakete - Transport einer V2-Rakete, Peenemünde, Juni 1942.
  • 4. Rakete bei einem (Fehl-)Start - Rakete bei einem (Fehl-)Start, Peenemünde, März 1943.
  • 5. Raketenkonstrukteur Wernher von Braun (in Zivil) - Wernher von Braun mit Militärs. Erster von links: Dr. Walter Dornberger, enger Mitarbeiter von Brauns im V2-Programm.
  • 6. Zwangsarbeiter beim Holzscheitespalten  - Zwangsarbeiter beim Holzscheitespalten. Peenemünde, Januar 1940.
  • 7. Zwangsarbeiter bei ihrer Arbeit - Zwangsarbeiter bei ihrer Arbeit. Peenemünde, Januar 1940.
  • 8. Arbeiter beim Holzsortieren - Arbeiter beim Holzsortieren. Peenemünde.
  • 9. Sowjetische Zwangsarbeiter - Sowjetische Zwangsarbeiter. Peenemünde.
  • 10. Deutsche Soldaten beaufsichtigen Zwangsarbeiter - Deutsche Soldaten beaufsichtigen Zwangsarbeiter.
  • 11. Fragmente der V2-Rakete im Historischen Park in Blizna - Fragmente der V2-Rakete im Historischen Park in Blizna.
  • 12. Aufklärungsfoto der Versuchsanstalt Peenemünde - Aufklärungsfoto der Royal Air Force der Versuchsanstalt Peenemünde vom 23. Juni 1943.
  • 13. Wernher von Braun in seinem Büro, 1964 - Wernher von Braun in seinem Büro im Raumfahrtzentrum der Vereinigten Staaten, Mai 1964.
  • 14. Wernher von Braun vor der "Saturn V"-Rakete - Wernher von Braun vor der "Saturn V"-Rakete, die Nils Armstrong zum Mond brachte. Raumfahrtzentrum im Bundesstaat Alabama. Vermutlich 1969.
  • 15. Walt Disney und Wernher von Braun - Walt Disney und Wernher von Braun drehten in den 50. Jahren drei Lehrfilme über die Eroberung des Weltalls.
  • 16. US-Präsident J.F. Kennedy und Wernher von Braun   - Der Präsident der Vereinigten Staaten, J.F. Kennedy, im Gespräch mit Wernher von Braun, Mai 1963.
  • 17. Karlshagen nach dem Luftangriff - Wohnsiedlung in Karlshagen bei Peenemünde nach dem britischen Luftangriff. Hier wohnten die an den Raketentests mitwirkenden Wissenschaftler.
  • 18. Replik der V2-Rakete - Replik der V2-Rakete in Peenemünde. Das Original befindet sich im Stützpunkt "Fort Bliss" in Texas, wo der Erbauer der Rakete, Wernher von Braun, beschäftigt war.
  • 19. Historisch-Technisches Museum Peenemünde - Ehemaliges Gelände der Heeresversuchsanstalt und des Kraftwerks Peenemünde. Heute Historisch-Technisches Museum.
  • 20. Kleidung und Gegenstände der Zwangsarbeiter in Peenemünde  - Kleidung und Gegenstände der Zwangsarbeiter in Peenemünde.
  • 21. Ausstellung in Peenemünde - Ausstellung zur Geschichte der V2-Rakete im Historisch-Technischen Museum Peenemünde (Schautafeln).
  •  22. Historische Warnschilder - Warnschilder aus der Zeit der Heeresversuchsanstalt auf Usedom.
  • 23. Historisch-Technisches Museum Peenemünde - Hauptgebäude des Historisch-Technischen Museums Peenemünde.
  • Peenemünde und die Polen - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch - In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.

    Peenemünde und die Polen - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.
V2-Rakete auf Abschussrampe in Peenemünde
V2-Rakete auf Abschussrampe in Peenemünde

September 1992. Deutschland bereitet sich auf den zweiten Jahrestag der Wiedervereinigung am 3. Oktober vor. Unterdessen laufen in dem kaum 300 Seelen zählenden Dorf Peenemünde auf Usedom in Mecklenburg-Vorpommern die Vorbereitungen für den 50. Jahrestag des erfolgreichen Starts der V2-Rakete (das „V“ steht für Vergeltungswaffe), der am 3. Oktober 1942 erfolgte. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie wolle diesen Tag als Geburtsstunde der Raumfahrt feiern. Dabei verschweigt er den militärischen Verwendungszweck der im Zweiten Weltkrieg im Forschungszentrum auf Usedom gebauten Raketen ebenso wie die zigtausend Opfer der Luftangriffe, unter anderem auf London und Antwerpen, bei denen diese Waffe eingesetzt wurde.

Die geplanten Feierlichkeiten in Peenemünde lösen einen internationalen Skandal aus. In letzter Minute gelingt es, die Feier abzublasen. Dafür beginnt eine jahrelange Diskussion über die Rolle der Wissenschaft im Dienst eines totalitären Staats. Die Heeresversuchsanstalt auf Usedom, seinerzeit eins der größten Raketenbauzentren weltweit, bietet dafür ein offenkundiges Beispiel.

Die ersten Tests, bei denen flüssiger Raketentreibstoff verwendet wurde, fanden bereits zu Beginn der 1930er Jahre in der Versuchsanstalt Kummersdorf statt, circa 60 Kilometer südlich von Berlin. Die Nähe zur Metropole machte es jedoch unmöglich, das Versuchsgelände auszubauen, während sich das Dritte Reich das Ziel gesetzt hatte, eine absolut unschlagbare Waffe zu besitzen. Daher wurde beschlossen, das Forschungszentrum nach Peenemünde zu verlegen, in das kleine Fischerdorf am nördlichsten Zipfel der Ostseeinsel Usedom. Das Grundstück für die Investition wählt Wernher von Braun persönlich aus, ein genialer Wissenschaftler und einer der Hauptkonstrukteure der V2-Rakete, der Hitlers Regime in seiner Arbeit voll ergeben ist. Die strategische Lage von Peenemünde scheint für das militärische Testgelände ideal zu sein. Die dort gerade verlaufende Küstenlinie lässt es zu, den Flug der Rakete bis zu 300 Kilometer weit zu verfolgen. Das Dorf wird umgesiedelt. 1936 entsteht an dessen Stelle eine militärische Versuchsanstalt samt Stützpunkt und Flugplatz der Luftwaffe.

In den ersten Jahren der Versuchsanstalt stehen den Wissenschaftlern, Ingenieuren und Militärs schier unbegrenzte finanzielle Mitteln zur Verfügung. Alles ist der Idee, eine Wunderwaffe hervorzubringen, untergeordnet. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs treibt die Arbeiten an der Rakete voran. Doch der Mangel an Arbeitskräften macht sich immer stärker bemerkbar. So bleibt es nicht aus, Mitarbeiter aus dem Ausland zu rekrutieren, obwohl die Maßnahme als „streng geheim“ eingestuft wird. Die ersten Zwangsarbeiter trafen in Peenemünde ein, später auch Kriegsgefangene sowie KZ-Häftlinge, unter anderem aus Ravensbrück. Von Monat zu Monat werden es mehr. Die meisten von ihnen sind Polen und Russen, wobei es aber auch Franzosen, Briten, Tschechen und Holender gibt. Schätzungen zufolge wurden in Peenemünde insgesamt 10.000 bis 12.000 Zwangsarbeiter eingesetzt.[1]

 

[1]   Günther Jikeli (Hgg.): Raketen und Zwangsarbeit in Peenemünde, Einleitung, Friedrich-Ebert-Stiftung, Schwerin 2014.

Die Arbeiter aus Osteuropa werden in der nationalsozialistischen Rassendoktrin als „Untermenschen“ eingestuft. Ihnen ist unter Androhung von Strafe, sogar der Todesstrafe, verboten, Kontakte zur deutschen Bevölkerung zu knüpfen. Sie werden viel schlechter als Briten und Franzosen behandelt, erhalten erheblich geringere Lebensmittelrationen und hausen in viel ärmeren Baracken. Leon Dropek, der mit rund 400 weiteren Polen im Sommer 1940 in Peenemünde eintraf, beschreibt die dort herrschenden Bedingungen so: „Man sagte uns, wir seien freiwillig hierhergekommen, um zum Wohle und zur Unterstützung des Dritten Reichs zu arbeiten. Die an uns vorbeiziehenden Polen aus Łódź gaben uns kein Anlass zu Optimismus. Sie waren schlecht gekleidet, abgemagert und niedergeschlagen.“[2]

Anfangs wurde Dropek zusammen mit anderen Arbeitern in dem Peenemünder Lager für deutsche Arbeitskräfte einquartiert. „Die Baracken waren in U-Form angeordnet, weiß gestrichen und sahen mit ihren roten Fensterrahmen wie Schmuckstücke aus. Sie hatten Acht-Betten-Zimmer, eine Dusche, ein Badezimmer, Matratzen und eine Heizung. Die Bettwäsche konnte jeden Tag gewechselt werden. Diese Idylle währte sechs Wochen, dann wurden wir in das Polen-Lager verlegt. Hier waren 14 Männer in einem Raum untergebracht, es gab Drei-Etagen-Hochbetten, alte Matratzen, alte vergammelte Decken, keine Kissen und kein Wasser, dafür einen Kohleofen. Unsere Körper wurden wegen fehlender Hygiene von Läusen, Flöhen und Wanzen bis aufs Blut zerbissen. Von Zeit zu Zeit wurden Desinfektionsmitteln eingesetzt, die so stark waren, dass Messer, Gabeln und Rasiermesser rosteten. Nach solchen Aktionen wurde die Baracke für 24 Stunden geschlossen. Es war ihnen völlig egal, wo wir schliefen. Hauptsache, wir erschienen am nächsten Tag zur Arbeit. In einer anderen Nacht haben wir uns damit fast vergiftet, uns war schwindlig und wir spuckten Blut. Nach einer Woche waren die Wanzen wieder da.“[3]

Von der strategischen Bedeutung des Peenemünder Forschungszentrums zeugt der Umstand, dass der Ort als dritter überhaupt, nach Berlin und Hamburg, eine elektrische S-Bahn-Anbindung bekam. Am 15. April 1943 wurden 106 km Schienenstrecke in Betrieb genommen. Es gab zwei Bahnlinien mit 12 Haltestellen. Die Züge brachten die Arbeiter täglich zwischen 5 und 23 Uhr aus dem Umland nach Peenemünde. Auch die Regularien dieser Transporte diskriminierten die polnischen Zwangsarbeiter. Sie durften nur den letzten Waggon benutzen. Die Direktion der Deutschen Reichsbahn erließ sogar eine eigene „Richtlinie zur Beförderung von Kriegsgefangenen und Polen“, die unter anderem an die Pflicht erinnerte, ein violettes „P“ zu tragen, das gut sichtbar auf die Kleidung zu nähen war. Polen durften die Bahn außerdem nur mit schriftlicher Genehmigung der örtlichen Polizei betreten, während Arbeiter aus anderen Ländern, beispielsweise Belgier, Franzosen und Italiener, den deutschen Passagieren in der S-Bahn gleichgestellt waren.

Der Elan, mit dem der Bau des Forschungszentrums geplant wurde, sorgte dafür, dass die Zwangsarbeiter durch verschiedene Arbeiten ausgebeutet wurden. Seit 1936 entstanden auf Usedom in wenigen Jahren unter anderem ein Kraftwerk, eine Luftzerlegungsanlage, ein Flugplatz der Luftwaffe mit kompletter Infrastruktur, zwei Häfen, einige Abschussrampen für Raketentests, Prüfstände, Wohnsiedlungen für Wissenschaftler und Zivilangestellte sowie mehrere Zwangsarbeiterlager. In Karlshagen, einer 7 km von Peenemünde entfernten Ortschaft, gab es zwei Konzentrationslager, die als Außenstelle des KZ Ravensbrück für Männer geführt wurden.

 

[2]   Archivmaterial aus dem Historisch-Technischen Museum Peenemünde.

[3]   Ebenda.

Der Einsatz der Zwangsarbeit wurde ständig bewacht und fand in einem Klima der Angst vor drohenden Strafen statt, die selbst bei kleinsten Vergehen empfindlich ausfallen konnten. Gleichwohl kam es hin und wieder zu Versuchen der polnischen Arbeiter, die Baumaßnahmen zu verzögern. Zudem gründeten Polen und Holländer eine kleine Widerstandsgruppe, die bei Dr. Karl Lampert zusammenkam, einem aus Österreich stammenden katholischen Priester, sowie bei Johannes ter Morsche, einem holländischen Kommunisten, der mit seiner deutschen Frau im nahegelegenen Zinnowitz wohnte. Beide informierten die Arbeiter über das aktuelle Frontgeschehen, von dem sie als Hörer verbotener Radioprogramme Kenntnis erlangten. Die Gruppe wurde jedoch denunziert. Ihre Mitglieder wurden im Oktober 1943 wegen Hochverrats angeklagt. Viele von ihnen wurden zum Tode verurteilt.[4]

Die Aktivitäten des Peenemünder Zentrums wurden streng geheim gehalten. Die Insel war von mehreren Sperrkreisen umgeben, so dass es nicht leicht war, irgendwelche Informationen von dort nach außen zu tragen. Doch das Geheimnis konnte nicht lange verborgen bleiben. Schon am 19. September 1939 bot ein anonymer Absender dem britischen Marineattaché in Oslo an, ihm wertvolle Informationen über die geheimen Rüstungsprojekte des Dritten Reiches zukommen zu lassen. Um an die detaillierten Angaben zu gelangen, sollte die Nachrichtenübertragung der BBC in deutscher Sprache an einem bestimmten Tag leicht abgeändert werden. Nach der Ausstrahlung des vereinbarten Zeichens erhielt der Attaché tatsächlich ein ausführliches Dokument, das seitdem „Oslo-Bericht“ heißt. Es enthielt Informationen über den Bau von Raketen und Raketenanlagen, über Radiosysteme und über die Entfernungsmessungen der Deutschen. In diesem Papier war auch zum ersten Mal vom Ort Peenemünde die Rede.

Der Bericht wurde jedoch trotz seiner umfangreichen Informationen als eine Finte der Deutschen eingestuft. Die britischen Experten glaubten einfach nicht, dass ein einziger Mensch ein so breites Wissen über Geheimwaffen haben könnte. Daraufhin wurden zwar Aufklärungsflugzeuge nach Usedom geschickt, die aber das bestens getarnte Zentrum nicht aufspüren konnten, zumal die damalige Luftaufnahmen-Technologie noch nicht ausgereift war. Die Briten taten das Dokument daraufhin als Bagatelle ab. Dabei gilt das Papier als das größte Rätsel in der Geschichte der Nachrichtendienste. So gelang es auch trotz eifrigster Bemühungen nie, seinen Urheber zu ermitteln.

In den folgenden Jahren gelangten sporadisch weitere Informationen über neue, von den Nazis getestete Waffen in die Hände britischer Geheimdienstler. Besonderen Anteil daran hatte der Geheimdienst der Armia Krajowa (AK), der polnischen Heimatarmee, deren Agenten allen Gerüchten über Hitlers einzigartige Wunderwaffe nachgegangen sind. Um die Jahreswende 1942/1943 wird dem Ingenieur Antoni Kocjan, Chef des Luftaufklärungsdienstes der AK, eine Information von einem Polen zugeleitet, der zur Zwangsarbeit nach Königsberg verschleppt wurde, wo sich ein Ausbildungszentrum für Bedienmannschaften der Raketenabschussrampen befand. Dieser Informant spricht von deutschen Versuchen mit neuen Waffen auf einer Insel Nähe Stettin (Szczecin). Seiner Meinung nach solle diese Waffe zur Zerstörung Londons eingesetzt werden. Der Bericht über Peenemünde wird unverzüglich an die Briten weitergeleitet, die daraufhin erneut ein Aufklärungsflugzeug nach Usedom schicken, das dann die Information über das geheime Forschungszentrum bestätigen wird. Wichtige Details liefert auch Ingenieur Jan Szreder, Deckname „Furman“, den der Nachrichtendienst der AK 1943 zum freiwilligen Arbeitseinsatz nach Usedom schickt. Er lässt sich auf Vermittlung des deutschen Arbeitsamtes als Fahrer in Swinemünde anstellen und liefert Lebensmittel für das Militärzentrum aus. Doch Peenemünde bleibt wegen seiner zahlreichen Kontrollposten und Schlagbäume für Zivilisten unerreichbar. „Furman“ erfährt trotzdem einiges über die Existenz der Konzentrations- und Gefangenenlager sowie der Lager für Zwangsarbeiter, in denen sich tausende Ausländer befinden. Er belauscht auch ein Gespräch der Deutschen, in dem sie über „Lufttorpedos“ sprechen, die an kleine Flugzeuge erinnern und auf Spezialrampen abgeschossen werden.[5]

 

[4]   „Der Betrieb... kann mit Häftlingen durchgeführt werden. Zwangsarbeit für die Kriegsrakette“, in: Peenemünder Hefte 3, Historisch-Technisches Museum Peenemünde GmbH, 2009, S. 48.

[5]   Michał Wojewódzki: Akcja V-1, V-2, Instytut Wydawniczy Pax, Warschau 1970, S. 24.

Diese Informationen werden von Augustin Träger (Deckname „Tragarz“) bestätigt und präzisiert, einem Österreicher, der nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs deutsche Staatsbürger wird, in Bromberg (Bydgoszcz) wohnt und mit dem polnischen Widerstand kooperiert. Und, wie der Zufall so will, wird Trägers Sohn Roman zur Wehrmacht eingezogen und auf Usedom in der Nähe der Versuchsanstalt stationiert. Sein Vater überredet ihn, den Polen Informationen zu Peenemünde zu liefern. Er stimmt zu und wird unter dem Decknamen „T2-As“ AK-Agent.

Roman Trägers Berichte treffen durch Vermittlung des Luftaufklärungsdienstes der AK in London ein, wo am 29. Juni 1943 nach langen Diskussionen in der Sitzung des Komitees für Verteidigung die Entscheidung fällt, das Zentrum auf Usedom zu bombardieren. Es sollen noch anderthalb Monate vergehen bis die Flugzeuge der Royal Air Force ihre Basis verlassen. In dieser Zeit wird der Luftangriff minutiös geplant. Nach dem Krieg gab Sir Arthur Harris, Marshal of the Royal Air Force, zu: „Kein Luftangriff wurde so genau und so sorgfältig vorbereitet“.[6] Die Briten beschließen, die Deutschen abzulenken, indem sie im Vorfeld des Angriffes auf Peenemünde zunächst Luftangriffe auf Berlin durchführen. Dabei wählen die RAF-Flugzeuge nicht die direkte Route, sondern fliegen entlang der Ostseeküste, über Peenemünde und drehen erst dann nach Berlin ab.

Der eigentliche Angriff auf das Raketenzentrum Peenemünde fand in der Nacht auf den 18. August 1943 statt. Eine gigantische Flotte von fast 600 viermotorigen Bombern warf in einem der größten Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs in drei Angriffswellen insgesamt 1.937 Tonnen Bomben auf das Forschungszentrum und die benachbarte Gegend ab.[7] Michał Wojewódzki zitiert in seinem Buch „Akcja V-1, V-2“ aus den Berichten der Polen, die bei dem Angriff auf der Insel waren. Henryk Skoczylas, der bei einem deutschen Bauern in Bannemin bei Zinnowitz gearbeitet hat, beschrieb ihn so: „Was damals in Peenemünde und im Westteil der Insel geschah, lässt sich wahrlich kaum beschreiben. Es war eine Nacht des Grauens. Es schien, als schlüge der Boden unter den Füßen Wellen und als würde die Insel jeden Moment platzen und ins Meer versinken. (…) Über Peenemünde, dort wo sonst komische deutsche Kleinflugzeuge in die Höhe schossen, brach die Hölle los!“[8]

Die Schäden am Peenemünder Zentrum waren enorm. 50 von 80 Gebäuden lagen in Schutt und Asche. Die Wohnhäuser der Wissenschaftler waren am meisten zerstört. Dessen ungeachtet blieben zwei große Produktionshallen fast unversehrt. Infolge eines Irrtums der Piloten, der ihnen durch die schlechten Sichtverhältnisse unterlief, fielen allerdings auch Bomben auf die Baracken des Zwangsarbeiterlagers im nahen Trassenheide. Bei dem Luftangriff kamen insgesamt 735 Personen ums Leben, von denen 178 dem deutschen Mitarbeiterstab angehörten. Unter den Opfern befand sich auch ein enger Mitarbeiter von Wernher von Braun: Dr. Walter Thiel. Die meisten Toten waren unter den Gefangenen sowie den Zwangsarbeitern zu beklagen, vor allem unter Polen und Russen. Ernsthafte Verluste hatten aber auch Briten, denen die deutsche Luftabwehr 42 Flugzeuge abschossen hat.

 

[6]   M. Wojewódzki: Akcja V-1, V-2, S. 110.

[7]   Ebenda, S. 115.

[8]   Ebenda, S. 125.

Nach dem Luftangriff auf Peenemünde musste der Beginn der Massenproduktion von Hitlers „Wunderwaffe“ und ihr Einsatz um Monate aufgeschoben werden. Die Raketentests blieben bis Anfang Oktober 1943 unterbrochen. Die Raketenproduktion wurde in die unter Tage gelegene Fabrik der Firma Mittelwerk bei Nordhausen im Harzgebirge verlegt. Zu Erprobungszwecken wurde eine V2-Abschussrampe auf dem Gelände des SS-Truppenübungsplatzes „Heidelager“ im Dorf Blizna, rund 50 km östlich von Rzeszów, gebaut. Damit befand sie sich außer Reichweite der britischen und amerikanischen Bomber.

Das Bauprojekt in Blizna stieß sehr schnell auf das Interesse der polnischen AK-Agenten. Anfangs wussten die Polen nicht genau, welches Ziel die Nazis damit verfolgten. Die Späher beobachteten eine gesteigerte Betriebsamkeit der Soldaten. Des Weiteren fielen ihnen neue, zusätzliche Absicherungen rund um den Truppenübungsplatz auf. In kurzer Zeit fanden sich immer mehr SS-Männer ein. Ihr Areal wurde mit Flakgeschützen umstellt. Die Agenten wurden auch Zeugen anderer, kurioser Szenen. In dem schon früher umgesiedelten und niedergebrannten Dorf erhielten die Zwangsarbeiter den Befehl, Nachbildungen von Häusern, Stallungen und Schuppen aus Sperrholz aufzustellen. Vor den Gebäuden lagen Hunde aus Gips, auch Puppen, die Einwohner mimten, waren zu sehen. Das Dorf machte dadurch von weitem, vor allem aber aus der Luft, einen bewohnten Eindruck, was einen Luftangriff im Hinblick auf den nahegelegenen Truppenübungsplatz verhindern sollte. Die Raketentests bei Blizna wurden Ende November 1943 wieder aufgenommen.

Die Arbeit der AK-Agenten wurde sehr erschwert. Dabei erwiesen sich die Beamten der Försterei Wola Osiecka in der Beschaffung von Informationen, aber auch von Teilen zerstörter Raketen, als äußerst wertvolle Helfer. Auf das Ansichbringen von Raketenteilen stand die Todesstrafe, was den Polen auf speziellen Flugblättern von den Deutschen mitgeteilt wurde. Alle Informationen wurden unverzüglich an die AK-Leitung gegeben. Die Raketenteile gingen an polnische Wissenschaftler, die diese insgeheim untersuchten.[9] Ihre Erkenntnisse wurden dann nach London weitergeleitet.

Dabei stellte sich sehr bald heraus, dass es den Polen nicht gelang, so viele Teile zu beschaffen, um eine volle Rekonstruktion der Rakete vorzunehmen. Unterdessen behielten die Briten die deutschen Machenschaften im Visier, wobei sie zunehmend Luftangriffe unter Verwendung der neuen Nazi-Waffen auf ihre Städte fürchteten. Aus diesem Grund drängten sie die AK-Leitung dazu, ihnen schnellstmöglich eine detaillierte technische Beschreibung sowie eine Auflistung der einzelnen Raketenteile zu liefern.

In dieser Situation stimmte der Oberbefehlshaber der AK, General Tadeusz Bór-Komorowski, zu, die Rakete gewaltsam zu beschaffen, und zwar bei einem ihrer Transporte mit der Bahn. Als Tatort wurde ein Waldstück zwischen Tarnów und Brzesk gewählt. Die Soldaten der AK sollten die Besatzung des deutschen Zuges unschädlich machen und die Rakete mit einem Kran auf ein Spezialfahrzeug umladen. Als der Plan bereits bis ins kleinste Detail ausgearbeitet war, wurde im Mai 1944 eine Nachricht empfangen, die dazu führte, die Aktion zu unterlassen: In der Ortschaft Sarnaki am Bug, in deren Richtung die Raketen in Blizna abgeschossen wurden, wurde ein Blindgänger der V2-Rakete gefunden.

 

[9]   Volkhard Bode, Gerhard Kaiser: Raketenspuren. Peenemünde 1936-1996, Bechtermünz Verlag, Augsburg 1998, S. 80.

Winston Churchill, der Premierminister Großbritanniens, erinnert sich in seinen Tagebüchern wie folgt an dieses Ereignis: „Die Raketen fielen vielen Meilen voneinander entfern herab. Die deutschen Spähtrupps rannten dann immer auf den Ort der Explosion zu und sammelten die Teile auf. Eines Tages kam jedoch eine Rakete am Ufer des Bug herunter ohne zu explodieren. Die Polen erreichten die Einschlagstelle als erste, wälzten sie in den Fluss, warteten bis die Deutschen ihre Suche aufgaben, holten sie später heraus und nahmen sie im Schutze der Dunkelheit auseinander.“[10] Laut verschiedenen Berichten wurde die Rakete mit Pferdegespannen oder Traktoren aus dem Fluss geborgen. Die ausgebauten Raketenteile wurden in Geheimverschlägen in drei Lastwagen versteckt, die Kartoffeln transportierten. So trafen sie in Warschau ein, wo kurz darauf beschlossen wurde, sie den Britten zu übergeben.

Daraufhin sollte ein britisches Flugzeug die Raketenteile im Rahmen der Operation „Most III“ (Brücke III) aus Polen ausfliegen. Die Landung eines Flugzeugs in den besetzten Gebieten und seine Abfertigung für den Rückflug galten als extrem schwierig. Die wichtigsten Teile des Flugkörpers wurden in Sauerstoffflaschen versteckt, nachdem deren Böden abgetrennt und dann wieder verschweißt worden waren. Anschließend wurden sie von Warschau in die Nähe von Tarnów verbracht. Die Nazis haben diese Ladung trotz wiederholter Routinekontrollen nicht entdeckt.[11]

Ein provisorischer Landeplatz wurde nordwestlich von Tarnów auf den „Łąki Przybysławskie“ (Wiesen von Przybysław) eingerichtet. Gesichert wurde er von über 200 Personen, AK-Truppen und den Bewohnern der umliegenden Dörfer. Der Abflug des britischen Fliegers verzögerte sich wegen starker Regenfälle und wegen der erwarteten Schwierigkeiten bei der Landung auf dem unbefestigten Gelände. Schließlich hieß es, die Operation „Most III“ könne in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1944 beginnen. Die zweimotorige Maschine „Dakota“ startete auf dem Stützpunkt Brindisi in Italien. Mit an Bord waren unter anderem Gesandte der polnischen Exilregierung, die nach Polen eingeflogen werden sollten. Auf dem Rückflug sollten fünf Personen mit an Bord sein, unter ihnen Kapitän Jerzy Chmielewski (Deckname „Rafał“), Geheimdienstoffizier der AK, der für den Transport der wertvollen Ladung verantwortlich war.

Die Operation musste sehr geschickt durchgeführt werden, da in der Nähe des Geschehens deutsche Truppen stationiert waren. Anfangs verlief auch alles reibungslos. Das Flugzeug wurde nach seiner Landung in nur 15 Minuten beladen. Die Probleme traten beim Start zum Rückflug auf. Der Pilot versuchte drei Mal nacheinander, mit der Maschine abzuheben, was ihm aber nicht gelang, weil das Fahrwerk jedes Mal im aufgeweichten Boden stecken blieb. Daraufhin wurde entschieden, die Besatzung und die Passagiere herauszuholen und das Flugzeug zu verbrennen. Einige AK-Leute beschlossen jedoch, das Fahrwerk freizulegen, indem sie Holzscheite aus dem nahen Waldstück vor die Räder schoben. Schließlich stieg die Drehzahl der Motoren an und das Flugzeug hob ab. Die ganze Operation sollte eigentlich nur 10 bis 15 Minuten dauern, doch die „Dakota“ befand sich über eine Stunde auf dem Landeplatz.[12]

 

[10]   Winston Churchill: The second World War. The Invasion of Italy, zweite Auflage, London 1965, S. 207-208.

[11]   Jakub Ciechanowski: Most III. Operacja, która nie mogła się udać, ein Beitrag auf dem Webportal: www.histmag.org

[12]   M. Wojewódzki: Akcja V-1, V-2, S. 344.

Trotz alldem wurden die V2-Raketen im Zweiten Weltkrieg doch noch von den Nazis eingesetzt, allerdings in viel geringerem Ausmaß als ursprünglich geplant. Bei den Luftangriffen, unter anderem auf London, Paris, Maastricht und Antwerpen, kamen insgesamt rund 8.000 Menschen ums Leben. Die Bombardierung des Forschungszentrums in Peenemünde und die Ausspionierung des Flugkörpers durch die AK verzögerten den Beginn der Massenproduktion jedoch, was möglicherweise Einfluss auf den Lauf der Geschichte genommen hat. Die hastig produzierten Raketen zündeten oft nicht oder sie erreichten nicht ihr Ziel. Die Hoffnungen der Nazis in die „Wunderwaffe“ wurden nicht erfüllt.

Der Anteil der Polen an der Aufdeckung des V2-Programms wurde international nicht gewürdigt. Viele Verdienste auf diesem Gebiet haben sich die Briten nach Kriegsende selbst zugeschrieben, während Wernher von Braun in Deutschland als Vater der Raumfahrt und noch lange Zeit als Kultfigur galt. Der Wissenschaftler, dessen Arbeit im Dienst des Nationalsozialismus stand, wurde für die Schaffung dieser tödlichen Waffe nie zur Rechenschaft gezogen. Er begab sich nach der Kapitulation Deutschlands in die Hände der Amerikaner und ging in die Vereinigten Staaten, wo er 1958 Direktor des Raumfahrtzentrums der NASA in Alabama wurde. Dort entwickelte er die „Saturn V“-Rakete, mit deren Hilfe Neil Armstrong 1969 auf dem Mond gelandet ist. Wernher von Braun wurde auch dank seiner Zusammenarbeit mit Walt Disney und der mit ihm gedrehten Filme über die Eroberung des Weltalls von Millionen von Amerikanern geliebt.

Die Schicksale der an der Entschlüsselung der Geheimwaffe beteiligten Polen entwickelten sich dagegen ganz anders. Jerzy Chmielewski, der Geheimdienstoffizier, der die Teile des Blindgängers nach London brachte, ließ sich nach einem ungeklärten Attentat auf ihn in Brasilien nieder und kehrte nie mehr nach Polen zurück. Antoni Kocjan, der Chef des Luftaufklärungsdienstes der AK, wurde wegen der Anfertigung von Granaten von der Gestapo verhaftet und im August 1944 im Pawiak-Gefängnis in Warschau hingerichtet. 

 

Monika Stefanek, Februar 2018

 

Die Geschichte des Baus der V2-Raketen dokumentiert das Historisch-Technische Museum Peenemünde.
Museumsadresse: Im Kraftwerk, 17449 Peenemünde
Webseite (auch in polnischer Sprache): www.museum-peenemuende.de

 

Film:

Auf Grundlage der Entschlüsselung des Geheimnisses der V2-Rakete entstand der Spionagefilm „Die gefrorenen Blitze“ des Regisseurs János Veiczi. Der Film enthält unter anderem Archivaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg. Besetzung: Leon Niemczyk, Alfred Müller, Emil Karewicz, Dietrich Körner, Renate Blume und Ewa Wiśniewska. Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme 1967.

Filmtrailer: https://www.youtube.com/watch?v=dKqqOAlnEjg