Karina Smigla-Bobinski - „I am talking about a complex world.“
Mediathek Sorted
ROUTEN, 2002
TRAUMREISE, 2002
WURMLOCH, 2008
ADA, 2011. Premiere: FILE Electronic Language International Festival, São Paulo.
Wieder mit dem Gespür für dramatischer und kontroverser werdende Entwicklungen stellt Smigla-Bobinski in dem aus mehreren Teilen bestehenden Kunstprojekt QUERY (2009, Abb. 10a-c) im Umfeld der Lukas-Kirche in München die kritische Frage nach Sinn und Gegenwart der Religionen: „Was verbirgt sich hinter den Religionen? Wo verorten wir sie in unserem Leben? […] Brauchen wir Gotteshäuser wie Kirchen, Moscheen oder Tempel wirklich noch?“ Die Installation eines Ballons mit einem aufgedruckten Fragezeichen, der sich in Form und Farbe an Markierungen von Google Maps orientiert, verortet das Gotteshaus zwar weltweit im Netz, stellt es aber zugleich infrage. Ein Internet-Projekt bietet Nutzern die Möglichkeit, eigene Standpunkte zu den gestellten Fragen online zu stellen. QUERY thematisiert den Zwiespalt der Menschen zwischen Religionen und globalem Management und die Rolle des Internets als einer Informationsplattform, die weltweit längst die Deutungshoheit übernommen hat. Der aufgeflammte (und sich verschärfende) Glaubenskampf zwischen Moslems, Juden und Christen stehe, so die Künstlerin, im Gegensatz zur Globalisierung und zum World Wide Web, das den Religionen den Anspruch auf die Weltherrschaft bereits streitig gemacht habe. Eine Arbeit zum Thema Globalisierung ist auch die 2008 auf der Biennale von Busan gezeigte Videoinstallation WURMLOCH (Video), die zwei Orte an gegenüberliegenden Punkten der Erde, Busan und New York, durch die Fiktion einer direkten Sichtverbindung durch die hohle Erde (Menschen schauen unter den Wolkenkratzern und dem Himmel von New York durch das „Wurmloch“ auf Busan herunter) aufgrund der modernen Technik und der globalen Wirtschaft eng zusammenrücken lässt.
Die gegenwärtig gezeigten Arbeiten der Künstlerin sind in engem Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Verständnis neuester Technologien entstanden. 2011 entwickelte sie ADA (Abb. 11a, b, Video), eine Zeichenmaschine, bestehend aus einer kugelrunden mit Helium gefüllten PVC-Hülle und außen angebrachten Kohlestiften, die in weißen Räumen, angestoßen von Besuchern, weitgehend selbsttätig Zeichnungen auf Boden, Decke und Wände produziert und die bis heute weltweit auf Ausstellungen und Kunstfestivals zu sehen ist. In Anlehnung an Ada Lovelace (1815-1852), britische Mathematikerin und Tochter Lord Byrons, die Grundlagen für einen mechanischen Computer zur Produktion von Kunst entwickelte, sollte auch ADA selbstständig arbeiten und so etwas wie eigene Persönlichkeit entwickeln. Gleichzeitig soll das Publikum zu interaktiver Aktion bewegt werden, um Kunst nicht nur zu betrachten, sondern in den Produktionsprozess eingreifen zu können, wobei sich die Maschine abhängig von der Heftigkeit der Bewegung nur bis zu einem gewissen Grad steuern lässt. Die entstehenden Zeichnungen ähneln Strukturen im Nanobereich, wie sie von Nanoschaltern in neuesten Computer-Prozessoren konfiguriert werden oder auch für Verknüpfungen im menschlichen Gehirn verantwortlich sind.
Eine „Brücke zwischen Medientechnologie und Wahrnehmungspsychologie“ (Thomas Huber, 2014) schlägt die Künstlerin mit ihrer Versuchsanordnung SIMULACRA (Abb. 12a-c), die erstmals 2013 im Museum of Transitory Art (MoTA) in Ljubljana zu sehen war. Ein Kubus aus vier weißen LCD-Bildschirmen mit offen sichtbaren Kabeln und Steuergeräten wirkt zunächst als unübersehbare Lichtquelle, kann jedoch von den Besuchern mithilfe von Lupen zum Leben erweckt werden. Diese enthalten Polarisationsfolien, die zuvor von den Bildschirmen entfernt wurden und durch die der auf den Video-Screens laufende Film wieder sichtbar gemacht werden kann. Körperteile, Haare, Berührungen von Händen und Füßen auf der Innenseite des Schirms, die in dem Film zu sehen sind, lassen menschliche Wesen im Inneren der Apparatur vermuten. Nicht nur wird das Publikum zur Erforschung neuer Seherlebnisse veranlasst, denn das Drehen der Lupen und ihre Kombination führen zu immer neuen optischen Effekten; auf der Grundlage der seit den 1980er-Jahren anhaltenden Diskussion über die neuzeitliche Bilderflut vermittelt die Apparatur auch die Erkenntnis, dass im Zeitalter elektronischer und weltweit übermittelter Bildmedien ein Bild der Wirklichkeit nicht im Innern der Geräte sondern in den Köpfen der Betrachter entsteht. Ähnliches gilt für Hörerlebnisse, wie Smigla-Bobinski in ihrer Klanginstallation CONE (Abb. 13) im selben Jahr unter der Kuppel des historischen Tophane-i Amire Culture and Arts Center in Istanbul zeigt. Wassertropfen, die durch eine Öffnung im Gewölbe kontinuierlich in den Bau hineinzutropfen scheinen, werden in Wirklichkeit aus einem Lautsprecher über den darüber installierten Folienkegel in den Raum abgespielt.