Karin Stanek. Das Mädchen mit der Gitarre
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Ein kurzes Comeback
1974, nach einer langen Tournée durch die UdSSR, erhält Karin auf Bemühen ihrer Managerin die Einladung, bei der ersten Polnischen Bühnenmesse (Polskie Targi Estradowe) in Łódź (Lodsch) zusammen mit der Band Schemat aufzutreten. Dazu gelingt es Anna Kryszkiewicz, Aufnahmen bei dem Posener Rundfunksender Radio Poznań anzubahnen. Für ihren Schützling sind dies die ersten Rundfunkaufnahmen seit Jahren. Karin nimmt vier neue Lieder auf, die später nur wenige Male im Radio gespielt werden sollten. Auch ihre Teilnahme an der Messe verläuft nicht gut. Ihr erster Auftritt war ganz zu Beginn des Abends angesetzt worden, auf einen Zeitpunkt, zu dem die Zuschauer noch ihre Plätze suchten. Unter diesen Umständen konnte keine Interaktion zustande- und kein Feedback zurückkommen. Ihr zweites Konzert hingegen findet erst kurz vor Mitternacht statt, wodurch das junge Publikum ausbleibt. Ähnlich wenig Glück hatte die Sängerin auch bei ihrer Teilnahme am Lieder-Festival 1974 in Opole. Dabei war dies in ihren Augen ein erfolgreicher und enthusiastisch beklatschter Auftritt gewesen, der jedoch zu ihrer Überraschung aus der Fernsehübertragung herausgeschnitten wurde. Außerdem waren die Kritiken in der Presse nicht gerade schmeichelhaft.
„Die einzige gute Pressekritik über das Festival erschien in der DDR. Nach meiner Rückkehr aus Opole stand für mich fest, dass dies mein letzter Auftritt bei einem derartigen Event war. Es machte keinen Sinn, sich anzustrengen. Für meine Arbeit habe ich nichts als Ärger geerntet. Also wofür das Ganze?“[6]
In der Folgezeit konzentriert sich die Künstlerin auf Auftritte außerhalb von Polen. 1975 wird sie rund 110 Auslandskonzerte geben. 1976 werden ihr sogar 120 Gigs in Dresden angeboten. Doch kurz bevor sie die Zusammenarbeit mit dem Veranstalter in der DDR aufnehmen soll, stellt sich heraus, dass sie keine Erlaubnis der polnischen Agentur Pagart besitzt. Die Möglichkeit, ein Jahr lang Konzerte in Ostdeutschland zu geben, verfällt.
Westeuropa und die USA
Im Dezember 1976 spielt Karin Stanek Konzerte in Wien und wird dort gut aufgenommen. Bei ihrem Aufenthalt dort hat sie die Möglichkeit, ihre Mutter zu treffen, die aus der Bundesrepublik Deutschland angereist ist, wohin sie aus Polen umgesiedelt war. Dieses Treffen stuft Karin später als traumatisches Erlebnis ein, da die Mutter sie dazu gedrängt habe, im Westen zu bleiben und sich der Familie in Westdeutschland anzuschließen. Karin war jedoch überzeugt, dass ihr Platz in Polen sei, da sie sich dort musikalisch verwirklichen könne. Und in der Tat: Nach ihrer Rückkehr rührt sich etwas. Karin Stanek wird zu Aufnahmen in den Fernsehsender nach Wrocław (Breslau) eingeladen. Auch ihre alten Kontakte nach Ost-Berlin leben wieder auf. Im März 1976 wird sie dort zwei ihrer eigenen Kompositionen in deutscher Version für den Rundfunk aufnehmen; kurz danach gehen sie über den Äther. Die Kontakte im Westen lässt ihre Managerin Anna ebenso wenig aus den Augen. Karin Stanek wird erneut nach Wien eingeladen. Dort angekommen, fährt sie vom Flughafen direkt ins Aufnahmestudio. Die Aufnahmen wie auch das Konzert in Wien werden zu einem Erfolg.
„Der Impresario, der mich zu dem Konzert eingeladen hat, war Leiter einer Künstleragentur. Ich geriet also endlich an die richtige Person. Außerdem war er ein bekannter Komponist. Er unterschrieb einen Vertrag mit mir und seine Agentur verpflichtete sich, [meine] Konzerte und Plattenaufnahmen zu managen. Die erste Platte sollte ich im Herbst aufnehmen“, erzählt Karin in ihrer Biographie.[7]
Einige Tage später schickt der Impresario die Sängerin zu Auftritten nach Frankfurt am Main. Ein Manager dort schlägt ihr vor, eine Platte aufzunehmen. Auch diesmal kommt Karins Mutter, um die Tochter zum Verbleib im Westen zu überreden. Karin aber kehrt wie immer nach Polen zurück. Dort wartet ein Vertrag für Konzerte in Chicago auf sie und es gelingt ihr, ihn von der Pagart-Agentur genehmigen zu lassen. Im Herbst 1976 tritt Karin nach zehn Jahren erneut in Amerika auf. Sie verlängert ihren Aufenthalt und gibt sieben Monate lang Konzerte in Chicago und in New Jersey. Kurz vor ihrer Abreise wird sie vom amerikanischen Fernsehen in die landesweit ausgestrahlte „Joe Franklin Show“ eingeladen, in der sie ihr Lied „Czekoladowy krem“ („Die Schokocreme“) präsentiert. Anschließend wird Karin mit Angeboten amerikanischer Clubs überhäuft und von vielen Entertainern kontaktiert. Doch Karin lehnt alles konsequent ab, weil sie bald die bereits verabredete Platte in Frankfurt aufnehmen soll. „Dies war mein wohl größter Fehler, den ich in meinem Beruf begangen habe. Wie konnte ich nur solche Angebote ausschlagen? Verstanden habe ich es erst nach Jahren“, resümiert sie in ihrer Biographie.[8]
Emigration in den Westen
Karin Staneks Umsiedlung nach Westdeutschland verlief in zwei Etappen. 1976, nach ihrer Rückkehr aus den USA, hielt sie sich zunächst einfach nur hier auf. Es tat sich beruflich einiges für sie. Ihre damals in Köln lebende Managerin Anna Kryszkiewicz tat ihr Bestes, um Karin Staneks Karriere richtig in Schwung zu bringen. Durch den deutschen Aufenthaltstitel war Karin von ihrem Heimatland nicht abgeschnitten; sie konnte jeder eventuellen Einladung zu einem Auftritt in Polen nachkommen und nach Polen reisen. Den Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedlerin wird sie erst Jahre später stellen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sich die politische Lage in Polen verschärfte. Mit dem Status einer Spätaussiedlerin standen ihr nicht nur deutsche Papiere zu, sondern auch das Recht auf Weiterbildung und notwendige staatliche Hilfen.
Zurück ins Jahr 1976. Bei der Rückkehr aus den Staaten wird Karin Stanek auf dem Frankfurter Flughafen wie ein Star begrüßt. Direkt danach wird ein 45-minütiger Film mit ihr gedreht, darauf folgen Auftritte in zwei Diskotheken. Karin nimmt zwei Lieder für das Label Phonogram auf, darunter eine deutsche Version ihrer eigenen Komposition „Proszę, nie płacz już“ („Bitte weine nicht“). Die deutsche Presse vergleicht Karin Stanek mit Elvis Presley, für einige Journalisten ist sie die polnische Rocklady. Wiederholt wird sie von amerikanischen Impresarios angerufen, die ihr Vorschläge für Konzerte in den USA unterbreiten. In der Zwischenzeit erfahren Karin und ihre Managerin, wie groß die Diskrepanz zwischen der Gage der Sängerin und dem Honorar des deutschen Impresarios ist. Außerdem ist die von ihm versprochene Plattenaufnahme ins Stocken geraten. Karin tritt von dem Vertrag zurück.
Zu diesem Zeitpunkt fährt sie zu Konzerten nach Lyon in Frankreich, wo sie ebenfalls große Erfolge feiert. Die französischen Journalisten vergleichen sie mit Janis Joplin. Den Monatsvertrag eines bekannten Lyoner Clubs, den sie nach den ersten Auftritten angeboten bekommt, lehnt sie jedoch ab. Sie hat Verpflichtungen in Deutschland, wo sie zur Aufnahme einer Platte mit zwölf Titeln verabredet ist. Nach drei Tagen im Studio und einer Woche Wartezeit kann Karin tatsächlich eine Musikkassette und eine Single entgegennehmen. Den Titelsong singt sie mehrfach im deutschen Fernsehen, unter anderem neben Udo Jürgens in der beliebten ZDF-Musiksendung „Disco“. Ziemlich lange hält sie sich in den Radio- und Disco-Charts auf guten Plätzen. Ihre Beziehungen zu Polen pflegt Karin Stanek über die Managerin. Sie befürchtet, dass eine eigene Einreise nach Polen ihre Rückkehr nach Deutschland verhindern könnte. Damals wurden die Pässe polnischer Bürger beim Passamt hinterlegt und ihnen nur für die Zeit der Reise selbst ausgehändigt, sofern ihr Reiseantrag positiv beschieden worden war. Von 1976 bis 1981 lässt Karin jedes Jahr ihre Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland verlängern.
In dieser Zeit absolviert Karin viele Auftritte in Deutschland; sie ist hier aber natürlich nicht so bekannt wie in Polen. Als dann das Angebot kommt, eine Platte in englischer Sprache aufzunehmen, stimmt sie dem damit verbundenen Imagewechsel zu. Ihr Künstlername in Deutschland ist ab jetzt Baby Gun; später nennt sie sich „Cory Gun“. Sie ändert ihren Bühnenlook und wird zu einer raffinierten Rock-and-Roll-Lady mit wildem Haar und enger Ledermontur. Karin Stanek alias Cory Gun stellt ihre Platte „Let's have a party“ in mehreren Fernsehsendungen vor, und der Titelsong erobert für mehrere Wochen einen Platz in den Radio- und Disco-Charts – für eine Künstlerin, die erst unlängst aus einem Land hinter dem Eisernen Vorhang gekommen war, ein ziemlicher Erfolg. Zur gleichen Zeit macht Stanek noch einen weiteren, entscheidenden Schritt: Sie schickt ihre Kompositionen als Beitrag zum amerikanischen Musikwettbewerb für Autoren und Komponisten nach Hollywood. 1978 belegt ihre Komposition „Wierny wiatr“ („Treuer Wind“) dort den dritten Platz, und 1979 landet der Song „Proszę, nie płacz już“ auf Platz vier.
[6] Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 211.
[7] Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 218.
[8] Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 228.