Karin Stanek. Das Mädchen mit der Gitarre
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Kindheit und Jugend
Es gibt kaum eine Biographie, die so sehr durch die Umstände der Nachkriegsjahre gezeichnet wäre. Karin Stanek kommt am 18. August 1943 in Beuthen (heute Bytom) als drittes von sechs Kindern einer Bergmann-Familie zur Welt. Die Mutter zieht die Kinder allein groß, zu Hause herrscht bittere Armut. Schon als junges Mädchen übernimmt Karin viele Aufgaben im Haushalt, und obwohl sie gern Bücher liest und bereitwillig lernt, verbringt sie ihre Freizeit mit Kochen, Waschen und Putzen. Da die Wohnverhältnisse eine weitere Schulausbildung nicht zulassen, bricht Karin die siebenjährige Grundschule nach der sechsten Klasse ab. Stattdessen lässt sie sich in dem Bergbauunternehmen Przedsiębiorstwo Robót Górniczych in Bytom als Botin einstellen. Sie unterstützt finanziell ihre Mutter. Außerdem meldet sie sich in der Abendschule an.
Die erste Gitarre ist ein Geschenk ihrer Mutter, die ihr auch die ersten Griffe beibringt. Die junge Karin war von dem Instrument begeistert, seit sie es zum ersten Mal in den Händen ihres Onkels gesehen hatte, der sie regelmäßig besuchte. Schnell stellt sich heraus, dass sie eine äußerst talentierte Autodidaktin ist. Trotzdem erhält sie bald Privatunterricht, mit dessen Hilfe sie ihr Gitarrenspiel weiter verfeinert. Sie knüpft Kontakte zu Musikerkolleg:innen, Jugendklubs und Kulturhäusern. Intuitiv spürt sie, dass die Gitarre und ihr markanter Gesang die passenden Ausdrucksmittel für sie sind. Mit der Gitarre in der Hand scheint Karin schon am Anfang ihrer Karriere frei von Lampenfieber und Komplexen, so dass sie in der Jugend-Musikszene Oberschlesiens rasch Fuß fasst. Und so kommt es, dass die Menschen diejenige, die mit ihrer Gitarre auf der Bühne tobt, mit der kleinen Karin in Verbindung bringen. Sie spielt in den Klubs von Bytom (Beuthen), Szombierki (Schomberg) und Miechowice (Miechowitz), tritt im Steinkohlebergwerk Bobrek (ehem. Gräfin-Johanna-Grube) auf sowie bei Festveranstaltungen und Tanzabenden. In ihrem Repertoire hat sie populäre Songs und angesagte Hits. Schließlich traut sie sich und gibt sogar ein heimliches Konzert für ihre Kollegen am Arbeitsplatz. Kurz darauf folgt ein offizieller Auftritt im Ministerium für Energie und Bergbau (Ministerstwo Energetyki i Górnictwa) in Katowice (Kattowitz).
Die geborene Unterhalterin
Die Bühne zieht Karin Stanek magnetisch an. Die Möglichkeit, mit dem Publikum zu interagieren, reizt sie so sehr, dass sie von Anfang an eifrig davon Gebrauch macht. Ihr Bühnenimage baut Karin auf, indem sie ihrer Intuition vertraut und auf der Bühne die bleibt, die sie wirklich ist. In den ersten Jahren flechtet sie ihr langes, dunkles Haar zu zwei Zöpfen. Später werden daraus zwei seitliche, mit Samtband zusammengebundene Pferdeschwänze, schließlich trägt sie ihr Haar offen mit Pony. Bei ihren Auftritten ist sie ungeschminkt, fast immer trägt sie Hosen. Dabei bleibt sie ein bescheidenes Mädchen, mit dem sich ihre Altersgenossinnen sehr gut identifizieren können. Zugleich aber ist sie eine emanzipierte, eigenständige junge Frau, die davon singt, wie ihre Generation leben will – spontan und unabhängig.
Aufgrund der schwierigen finanziellen Situation zu Hause wird Karin Stanek niemals eine reguläre Musikschule besuchen. Als Outsiderin in der Musikbranche bestand ein Weg hin zu einer Gesangs- und Musikkarriere in der Teilnahme an Wettbewerben für junge Talente. Diese Möglichkeit nutzt sie erstmalig im März 1961, als sie an einem landesweiten Liederwettbewerb des Rundfunksenders Polskie Radio Katowice teilnimmt. Bevor sie jedoch überhaupt dabei sein kann, muss sie erst einige Überzeugungsarbeit leisten, denn die Teilnahme richtet sich an Personen ab 18 Jahren. Sie ist jünger und sieht zudem wie ein richtiger „Backfisch“ aus. Bei ihrem Auftritt singt sie zuerst das Lied „Diana“, dann performt sie „Tutti frutti“ und erobert so die Herzen der Jury und des Publikums. Sie erreicht damit die nächste Runde: Dort sollen alle, die weitergekommen sind, dasselbe nostalgische Lied interpretieren: „Śnimy się sobie co noc“ („Wir träumen jede Nacht voneinander“). Karin weiß, dass dieser Song nicht zu ihrem Stil passt und zieht sich aus dem Wettbewerb zurück.
1962 bietet sich die nächste Gelegenheit, als die Band Czerwono-Czarni (Die Rot-Schwarzen) ihre Suche nach jungen Talenten bekannt gibt. Sie wird von ihrem Freund überredet, sich für die schlesische Vorausscheidung zu bewerben. Mit ihren Auftritten, zuerst in Zabrze (Hindenburg) und dann in Kraków (Krakau), landet die junge Sängerin offenbar einen Volltreffer. Jahre später wird Karin Stanek ihrer Biografin und Managerin Anna Kryszkiewicz die folgende Geschichte davon erzählen:
„Das einzige [vorgesehene] Begleitinstrument war das Klavier. Ich aber hatte meine Gitarre dabei, deren Anblick die Mitglieder des geschätzten Auswahlgremiums wohlgemerkt zum Lächeln brachte. Sie sahen die darauf aufgeklebten Blumen und Sternchen sowie die Fotos von Presley und Tommy Steel und amüsierten sich. Die Gitarre ersetzte mir die Band, in einem Solo diente sie mir sogar als Schlagzeug. Gesungen habe ich natürlich ‚Hulla tutulla‘. Dabei vergaß ich, dass ich einen Rock trug, also tanzte und tobte ich, als hätte ich eine Hose an.“[1]
[1] Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek. Autostopem z malowaną lalą („Karin Stanek. Per Anhalter mit der angemalten Puppe“), Warszawa 2015, S. 35.