Jan de Weryha-Wysoczański
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Materielle Erscheinungen waren in der Gruppe De Stijl und bei den frühen Konstruktivisten noch nicht von Interesse. In Deutschland wurde die angemessene Verwendung natürlicher Materialien in der industriellen Moderne zunächst nur im Zusammenhang mit den angewandten Künsten, also dem Kunstgewerbe, diskutiert und propagiert und zwar vom 1907 gegründeten Deutschen Werkbund. Die Objektkunst entwickelte sich in Westeuropa erst in einem langsamen Prozess von der Erfindung der Collage als künstlerische Technik durch die Künstler der DADA-Bewegung in der Zeit um 1916 über die „MERZ-Bilder“ von Kurt Schwitters bis hin zu dessen Objekt- und Raumcollagen, wie dem seit 1923 entstandenen begehbaren „Merzbau“. Konstruktivistische Plastik, in der das Material eine neue Rolle spielte, entstand jedoch sehr viel früher in Moskau. Dort entwickelte ab 1914 Vladimir Tatlin noch in enger Verbindung zum Futurismus und zum Suprematismus dreidimensionale, im Raum verspannten „Eck-“ und „Konterreliefs“ aus gefundenen Materialien wie Holz, Eisen, Zink, Leder und Metalldrähten und propagierte eine „Kultur des Materials“.
Unter dem Einfluss der russischen Revolution entwickelten Alexander Rodtschenko und El Lissitzky geometrisch determinierte, konstruktivistische Objekte, die „gegenstandsfrei in einer materiellen Welt“ sein sollte. Emigranten aus Moskau wie Naum Gabo und sein Bruder Antoine Pevsner exportieren diese Ideen nach Berlin und Paris, Katarzyna Kobro nach Warschau, wohin sie 1922 emigrierte. Sie führten glatte, industriell gefertigte und geformte Materialien wie Plexiglas, Stahlblech, industriell bearbeitetes Glas und Holz in geometrischen Formen und reinen Farben als Äquivalent zur modernen Welt in die Bildhauerei ein. Das Staatliche Bauhaus in Weimar und Dessau bot seit 1919 eine Diskussions- und Lehrplattform für alle vorangegangenen und aktuellen Zweige des Konstruktivismus und propagierte dessen Anwendung auf sämtliche Bereiche des Lebens. Seine Resonanz prägt bis heute weite Bereiche der Kunsttheorie und unseres Alltags.
In Polen bildete sich nach ersten konstruktivistischen Arbeiten von Henryk Stażewski und der Gründung der Gruppe Blok (dt. Block) 1924 durch Stażewski, Henryk Berlewi und Władysław Strzemiński, der seit 1920 mit Kobro verheiratet war, eine eigene Tradition des Konstruktivismus, die zwar die gesamte europäische Bewegung reflektierte, vom Westen aber kaum zur Kenntnis genommen wurde. Ihr folgte in den 1960er- und 1970er-Jahren eine an den Konstruktivismus anschließende „Neo-Avantgarde“ mit Edward Krasiński in der Objektkunst, Zofia Artymowska und Jerzy Grabowski in der Grafik sowie Józef Robakowski und Ryszard Waśko in der Malerei, Film-, Video- und Objektkunst. Heute beziehen sich junge polnische Künstlerinnen wie Natalia Stachon und Marlena Kudlicka, die teilweise in Deutschland arbeiten, wieder auf die erste Generation der konstruktivistischen polnischen Avantgarde.
De Weryha wendete geometrische Formen zunächst auf die Anordnung seiner Bodenarbeiten (Abb. 14 . , 16 . , 26 . , 29 . ), dann auf freistehende Objekte wie die „Hölzerne Säule“ (Abb. 38 . ), den „Hölzernen Kubus“ (Abb. 40 . ) und das kegelförmige „Hölzerne Objekt“ (Abb. 93 . ) und schließlich auf die Binnenstruktur seiner „Hölzernen Tafeln“ (Abb. 78 . , 91 . , 92 . ) an. Diese strengen, regelmäßigen Arbeiten weisen aber auch auf die dem Konstruktivismus nachfolgende Konkrete Kunst zurück. Durch van Doesburg eingeführt und durch die 1929 in Paris gegründete Gruppe Art concret weiterverfolgt, erhielt diese Bewegung mit den Schweizern Max Bill und Richard Paul Lohse seit 1936 und in den 1940er-Jahren ihre bis heute geltende theoretische Grundlage. Während Bill zunächst nur strenge mathematische und geometrische Systeme als Grundlage „subjektiver Formen“ in der Kunst zuließ, erlaubte er in den Sechzigerjahren auch statistisch errechnete, gleichmäßige Verteilungen, regelmäßige Gitter und „Ordnungen“. Lohse erforschte ab 1940 „serielle“ und „modulare Ordnungen“, die er noch in den 1980er-Jahren propagierte.[1]
[1] Richard Paul Lohse: Modulare Ordnungen (1985), Serielle Ordnungen (1985), in: Richard Paul Lohse 1902-1988, Ausstellungs-Katalog Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen 1992, Seite 18 f., 21 f.