Generationsübergreifend. Polnische Kunst in Marl 6. März bis 12. Juni 2016
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Neben den Filmen von Robakowski und Sasnal stammte der dritte sehr persönlich und auf hohem Niveau mit historischem Bezug erzählte Videofilm der Ausstellung von Agnieszka Polska, die 1985 in Lublin geboren wurde und zuletzt in Krakau und Berlin lebte. Die Videokünstlerin und Fotografin, von der allein sieben Filme auf der Online-Filmothek des Museums für Moderne Kunst in Warschau (Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie) zu sehen sind, erzählt unter dem Titel „How the Work Is Done“ (2011) in einer Art Neuinszenierung am selben Schauplatz, nämlich in den Ateliers der Krakauer Kunstakademie, an der sie selbst von 2005 bis 2010 studierte, über einen Studentenstreik an der Hochschule im Jahr 1956 (Abb. 28). Während sich die Studenten weigern zu arbeiten oder zu gehen, verwandelt sich deren Keramikwerkstatt während zehn Tagen in einen vorübergehenden Wohn‑, Schlaf‑ und Küchenraum. Erst als die studentischen Wachen eines Nachts müde werden, stürmt die Polizei das Gebäude, räumt es und wirft allen beweglichen Inhalt auf die Straße, bevor es einige Zeit später abgerissen wird. Ähnlich wie in Robakowskis Video „From My Window“ (1978-1999) lebt auch Polskas Arbeit von der Spannung, die aus dem Gegensatz zwischen politisch unterschiedlichen Zeiten und wenig veränderten menschlichen und künstlerischen Empfindungen entsteht. In einem ihrer neuesten Videos, „I Am the Mouth“ (2014), das 2014/15 auf ihrer gleichnamigen und ersten Einzelausstellung in Großbritannien im Nottingham Contemporary zu sehen war, zeigt sie einen animierten und meditativ wirkenden, halb im Wasser untergetauchten Mund, der für das Kunstwerk spricht (Abb. 29). Beeinflusst von Samuel Becketts auch „One-Mouth-Play“ genanntem dramatischem Monolog „Not I“ (1972) bezieht sich ihr Film auf wissenschaftliche Untersuchungen, wie sich Schallwellen durch unterschiedliche Materialien bewegen.
Georg Elbens Konzept, historische, inhaltliche und formale Bezüge in Längs- und Querschnitten zwischen drei oder besser vier Generationen polnischer Künstlerinnen und Künstler von der Avantgarde der Zwanzigerjahre bis in die jüngste Gegenwart sichtbar zu machen und mit qualitativ erstklassigen Werke zu belegen, war sicherlich aufgegangen. Mit Leihgaben aus in Deutschland ansässigen Sammlungen und Galerien war das, soviel sei abschließend bemerkt, vor allem für jene Besucher gelungen, die genügend Zeit, Kontemplation und eigene Recherche aufwenden konnten, diese zu entdecken. Ein Katalog, der weniger erfahrene Kunstinteressierte auf die richtigen Fährten hätte führen können, war aufgrund der kurzfristig anberaumten Ausstellungsreihe der in Bochum, Recklinghausen und Marl beheimateten Museen anlässlich der Eröffnung des Museums Jerke nicht zu realisieren.
Axel Feuß, Juni 2016