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„Der Sturm“ und seine polnischen Künstler 1910–1930

Titelseite von „Der Sturm“, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

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Titelseite von „Der Sturm“, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)
Titelseite von „Der Sturm“, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

Einen intensiven künstlerischen Austausch zwischen Deutschland und Polen pflegte der Maler, Grafiker und Schriftsteller Stanislaus/Stanislaw/Stanisław Kubicki (1889-1942 von der Gestapo ermordet), der im Februar 1920 nur für kurze Zeit, soweit aus den historischen Quellen ersichtlich, mit dem Sturm zusammenarbeitete. Als Sohn einer Pädagogin und eines aus der Gegend von Posen stammenden Landvermessungs-Ingenieurs in Ziegenhain südlich von Kassel geboren, studierte er von 1909 bis 1911 Architektur an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg und hörte Vorlesungen in Philosophie, Botanik und Zoologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Von 1912 bis 1914 besuchte er Kurse an der Königlichen Kunstschule zu Berlin, die seit 1905 Kunsterzieher ausbildete. 1914 bis 1916 diente er als Soldat in der preußischen Infanterie, wurde an der Ostfront verwundet und absolvierte seine restliche Militärzeit in Posen als Quartiermeister. 1916 heiratete er die Zeichenlehrerin und Künstlerin Margarete Schuster (seitdem Kubicka, 1891-1984), die 1911-13 das Lehrerinnenseminar der Königlichen Kunstschule besucht hatte. 1917 begegnete er Jerzy Hulewicz, dem Herausgeber der polnischen Literatur- und Kunstzeitschrift Zdrój/Die Quelle, auf dessen Gut Kościanki östlich von Posen er sich zurückzog, nachdem er 1918 aus der preußischen Armee desertiert war. Er arbeitete beim Magazin Zdrój mit und gründete 1918 zusammen mit Hulewicz und anderen die polnische Maler und Literaten umfassende und bis 1920 bestehende expressionistische Künstlergruppe Bunt/Die Revolte.

Die erste Ausstellung der Gruppe Bunt fand vom 1. bis 30. April 1918 in Posen statt, zu der eine Sonderausgabe der Zeitschrift Zdrój erschien. Im selben Jahr ging Kubicki wieder nach Berlin. Dort lernte er Franz Pfemfert, den Herausgeber der Zeitschrift Die Aktion, kennen und verabredete mit ihm die Übernahme der Ausstellung und ein Sonderheft der Zeitschrift. Die Kollektiv-Ausstellung der polnischen Künstlervereinigung „Bunt“ fand vom 1. bis 30. Juni 1918 in den Räumen der Aktion in der Kaiserallee 222 statt. Sie umfasste fünfzig Gemälde, Grafiken und Plastiken von Kubicki, Hulewicz, Margarete Kubicka, Władysław Skotarek, Stefan Szmaj, Jan Wroniecki und August Zamoyski.[57] Gleichzeitig erschien am 1. Juni das Sonderheft der Aktion mit dem Untertitel „Polnische Kunst“ und dem von Kubicki entworfenen expressionistischen Titelbild mit dem Schriftzug BUNT (Abb. 6).[58] Die in den Vordergrund tretende Figur, die Munchs „Schrei“ nachempfunden ist, scheint aus Kubickis Linolschnitt „Der Turmbau zu Babel“ (1917) zu stammen, der auf dem Plakat der Posener Ausstellung abgebildet war (Abb. 7). Das Heft enthält literarische Texte und Dichtungen von Bunt-Mitgliedern und Mitarbeitern der Zeitschrift Zdrój wie Adam Bederski und dem Ehepaar Kubicki, aber auch von außenstehenden Autoren wie Claire Studer (später Claire Goll), Otto Freundlich, Michail Bakunin, dem jungen Carl Zuckmayer und anderen. Die künstlerischen Arbeiten – Reproduktionen und vom Stock gedruckte Holzschnitte – stammen von Kubicka, Wroniecki, Skotarek, Zamoyski, Hulewicz, Szmaj und Kubicki, darunter sein großformatiges expressionistisches Selbstporträt (Abb. 8). Die Ausstellung ging anschließend nach Düsseldorf.

In Berlin lernte Kubicki den Maler Otto Freundlich (1878-1943 im KZ Lublin-Majdanek oder in Sobibor ermordet) kennen, der ihn mit Otto Dix und dessen Dresdner Kreis sowie mit den Berliner Dadaisten George Grosz, Johannes Baader und Raoul Hausmann bekannt machte. Wie Kubicki und Walden miteinander in Kontakt kamen, ist nicht bekannt. Jedenfalls zeigte Kubicki im Februar 1920 in der Gesamtschau der Dreiundachtzigsten Ausstellung des Sturm sechs Gemälde, „Ekstase“, „Tänzerin“, „Turm“, „Der Eintretende“, „Der Lesende im Café“ und „Der Bassgeigenspieler“. Das heute in der Berlinischen Galerie – Museum für moderne Kunst befindliche Gemälde „Ekstase“ von 1919 (Abb. 9) ist vermutlich das in der Ausstellung gezeigte Werk, denn es trägt rückseitig noch den Aufkleber der Sturm-Galerie.[59] Die Ausstellung zeichnete sich durch das Nebeneinander verschiedenster Stilrichtungen aus. Der Expressionismus war mit Jawlensky, Kandinsky und Maria Uhden nur mit wenigen Arbeiten vertreten. Die Mehrzahl der Werke ließ sich mit einer Sonderschau von Van Heemskerck sowie Werken von Archipenko, Gleizes, Léger, Marcoussis, Topp, Wauer und Baumeister in weitestem Sinn dem Kubismus zuordnen. Neben Chagall, Schwitters und Schlemmer waren mit Rudolf Bauer ein erster Abstrakter, mit Dexel ein erster Konstruktivist vertreten. Campendonk repräsentierte ein Stadium zwischen Expressionismus und Kubismus, Gontscharowa und Stuckenberg vertraten den Kubofuturismus (PDF 17).

[57] Ausstellungsverzeichnis in: Die Aktion, 8. Jahrgang, Heft 21/22, Berlin, 1. Juni 1918, nach Spalte 286; online: http://www.aaap.be/Pdf/Die-Aktion/Die-Aktion-08-1918.pdf

[58] Ebenda, nach Spalte 260

[59] Głuchowska 2012 (siehe Literatur), Seite 462. Das Werk „Ekstase“, 1919, Öl auf Pappe, 72 x 58 cm, Inv. Nr. BG-M 3852/87, gelangte 1986/87 als Schenkung von Prof. Karol Kubicki, des Sohnes von Stanisław Kubicki, in die Berlinische Galerie (Berlinische Galerie, Sammlung onlinehttps://sammlung-online.berlinischegalerie.de:443/eMP/eMuseumPlus?service=ExternalInterface&module=collection&objectId=141477&viewType=detailView); ein Gemälde „Eintretender III“, 1919, Öl auf Leinwand, befindet sich in einer Privatsammlung in Neustadt/Weinstraße (abgebildet in: Głuchowska 2009, siehe Literatur, Seite 163, sowie in: Głuchowska 2012, siehe Literatur, Seite 459).