Wojciech Kossak: Erinnerungen, 1913
Im August 1900 erreichte Kossak ein Hoftelegramm, in dem der Kaiser ihn nach Neapel beorderte, von wo aus er im Stab des Feldmarschalls Alfred Graf von Waldersee (1832-1904) als Kriegsmaler nach China gehen sollte. Am 27. Juli hatte ein internationales Expeditionskorps Bremerhaven verlassen, um in China den Boxeraufstand niederzuschlagen. Kossak, der gerade den Vertrag für ein Panorama über die „Schlacht bei den Pyramiden“ unterzeichnet hatte und zu dessen Vorbereitung nach Ägypten reisen wollte, gelang es im letzten Moment, in einem persönlichen Gespräch mit dem Kaiser anlässlich einer Kavalleriebesichtigung in Altengrabow, zu der er ebenfalls beordert worden war, den Einsatz abzuwenden. An seiner Stelle reiste der Schlachtenmaler Theodor Rocholl (1854-1933) nach China (S. 172-175).
Einen anderen Auftrag nahm Kossak hingegen an, und zwar den eines in Warschau gegründeten Konsortiums für die Erstellung eines neuen Panoramas, das die Schlacht von „Somo-Sierra“ vom 30. November 1808 zeigen sollte, wie Kossak im gleichnamigen Kapitel berichtet. Andere Themen waren zuvor ausgeschieden, weil sie als national-polnisch die preußische Zensur nicht passiert hätten. Die Schlacht von Somosierra, bei der Napoleon am gleichnamigen Bergpass spanische Truppen geschlagen und den Weg nach Madrid freigekämpft hatte, und zwar unter wesentlicher Beteiligung polnischer Kavalleristen, konnte hingegen als unverdächtiges Thema mit gesamteuropäischer Bedeutung gelten. Für die Anfertigung des Rundgemäldes und des plastischen Vordergrund-Terrains wurde Kossak eine Summe von 100.000 Rubel garantiert. Interessant im allgemeinen Kontext der Schlachtenmalerei ist Kossaks Eingeständnis, dass vorangegangene Gemälde über dieses Thema von französischen und polnischen Malern wie Vernet, Suchodolski, seinem Vater und ihm selbst hinsichtlich der Landschaft und des Schlachtenterrains reine „Phantasiegebilde“ gewesen seien. Für das neue Panorama wäre es jedoch darauf angekommen, eine möglichst getreue Darstellung anzufertigen. Kossak studierte daher auch in diesem Fall nicht nur historische Literatur, sondern konsultierte einen ausgewiesenen Militärhistoriker, den aus Litauen stammenden russischen Infanterie-General Aleksandr Puzyriewski (1845-1904) (S. 179-181).
Vor allem aber reiste Kossak zusammen mit seinem Mitarbeiter Wywiórski, nachdem er beim Kaiser Urlaub genommen hatte, mit der Eisenbahn über Paris, Bordeaux und Madrid nach Segovia, weiter mit einem von Maultieren gezogenen „Omnibus“ ins kastilische Vorgebirge und von dort zu Fuß mit Passierscheinen der österreichischen Botschaft, einem einheimischen Führer und einem zweirädrigen, von Maultieren gezogenen Karren, auf dem Malutensilien und fotografische Apparate transportiert wurden, zum fraglichen Bergpass. Ausführlich beschreibt der Autor das Schlachtfeld und weitere, aus den historischen Schriften bekannte geographische Details, die von den Malern in Skizzen und Fotografien festgehalten wurden (S. 181-202), einschließlich der dazugehörenden Truppenaufstellungen.
Trotz der wohlwollenden Beurteilung der ersten im Schloss Monbijou entstandenen Entwürfe durch den Kaiser drohte das Somosierra-Panorama zu scheitern: Mit vier Skizzen im Maßstab 1:10 reiste Kossak nach Warschau, wo die Arbeiten beim Konsortium und bei dem Militärhistoriker Puzyriewski auf Zustimmung stießen. Dieser erklärte sich bereit, sich beim russischen General-Gouverneur von Warschau, Alexander Imeretinski (1837-1900), für die Ausstellung des künftigen Panoramas in Warschau einzusetzen. Imeretinski lehnte jedoch ab, da er offenbar, so ist es in dem Kapitel „Fürst Imeretynski und Großfürst Wladimir“ (S. 205-217) zwischen den Zeilen zu lesen, national-polnische Ausschreitungen befürchtete. Den finanziellen Verlust für das bereits in Warschau gemietete Panorama-Gebäude und die in Brüssel bestellte Leinwand vor Augen, wandte sich Kossak um Vermittlung an Wilhelm II., der wiederum Großfürst Wladimir Romanow, Sohn Zar Alexanders II., einschaltete, da dieser in Russland für künstlerische Angelegenheiten zuständig war. Schließlich reiste Kossak selbst mit seinen Entwürfen nach St. Petersburg, um der Depesche des Kaisers Nachdruck zu verleihen. Doch auch Großfürst Wladimir war nicht in der Lage, Imeretinski umzustimmen. In Berlin hatte Kossak inzwischen die „Schlacht bei Zorndorf“ und ein Bildnis des Kaisers zu Pferde fertiggestellt, wofür er vom Kaiser persönlich mit dem Roten Adlerorden ausgezeichnet wurde, nachdem er ein halbes Jahr zuvor bereits den Königlichen Kronen-Orden erhalten hatte (S. 208).
Drei Kapitel mit insgesamt 45 Seiten, „Stuttgart – Kaisermanöver – Franz Joseph I. in Berlin“, „Stettin“ und „Des Kaisers ‚Rache‘“, widmet Kossak seiner Teilnahme an Manövern der preußischen Armee unter der Führung Wilhelms II., die er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur österreichischen Armee in der Stellung eines „Militärattachés ausländischer Mächte“ ausübte. Als Gast des Kaisers hatte er eine Hofequipage, Dienstpferd und Ordonnanz zur Verfügung, stieg in den besten Hotels ab und nahm an den Essen des diplomatischen Korps teil (S. 219 f.). Ausländische Offiziere und Diplomaten wurden zu den Manövern als Beobachter zugelassen, von der Vorführung neuer Transportmittel und Geschütze jedoch ausgeschlossen. Auf dem Schlachtfeld wurde er regelmäßig zum Kaiser beordert („Herr von Kossak, bitte zu Majestät“), um sich von dessen Position aus besonders „malerische“ Schlachten-Ordnungen anzusehen (S. 224).