Wojciech Kossak: Erinnerungen, 1913
Die Teilnahme an einem Manöver im Raum Stuttgart, Metz und Karlsruhe Anfang September 1899, seine Anwesenheit bei einem Hofball des Königs von Württemberg in der Stuttgarter Residenz, bei einer Inspektion der Königs-Ulanen in Hannover im Gefolge des Kaisers (S. 231f.), beim Besuch Kaiser Franz Josefs I. in Berlin am 4. Mai 1900 als Präsident der Vereinigung von Reserveoffizieren der österreichisch-ungarischen Armee (S. 233-238), an den kaiserlichen Manövern bei Stettin im Gefolge des österreichischen Thronfolgers, Erzherzog Franz Ferdinand (S. 246), bei einem Manöver in Altengrabow im Jerichower Land östlich von Magdeburg (S. 251), bei Paraden auf dem Tempelhofer Feld in Berlin (S. 256) und schließlich bei der Einweihung eines Offizierskasinos in Langfuhr bei Danzig, für das Kossak drei Gemälde angefertigt hatte (S. 260), belegen ausführlich und anschaulich seine militärischen und reiterischen Kenntnisse, seinen versierten Umgang mit Offizieren und Diplomaten, vor allem aber seine enge Verbindung zu Kaiser Wilhelm II. und dem österreichischen Kaiserhaus. War seine Teilnahme an Manövern anfänglich der Aufgabe geschuldet, den Kaiser für die Anfertigung von Porträts zu Pferde (Abb. 6) beim Reiten zu beobachten (S. 251), so gehörte Kossak bald zum üblichen militärischen Gefolge des Monarchen, was der Autor auch durch Anekdoten („Des Kaisers ‚Rache‘“, S. 251-262) belegt.
Da das Somosierra-Panorama durch die Intervention von Fürst Imeretinski nicht realisiert werden konnte, entschieden sich Kossak und das Warschauer Panorama-Konsortium für ein neues Thema, die „Schlacht bei den Pyramiden“ aus Napoleons Ägyptenfeldzug im Juli 1798. Gemeinsam mit Wywiórski reiste Kossak im entsprechenden Monat, also im Juli 1900, an den Originalschauplatz nach Ägypten, weil auch das Wetter und die Lichtverhältnisse den historischen Tatsachen entsprechen sollten. Die Reise über das Mittelmeer erfolgte von Triest aus mit einem Passagierschiff des österreichischen Lloyd nach Alexandria und von dort mit dem Zug nach Kairo (S. 265-271). Empfangen wurde Kossak von Prinz Muhammad Ali (1875-1955, Abb. 7), dem Sohn des vormaligen osmanischen Khediven von Ägypten, der ihn mit dem Direktor der Kriegsarchive bekannt machte und ihn zu den Schlachtfeldern von Embabeh und nach Gizeh begleitete (S. 271-273). Zwei im Buch gezeigte Motive aus dem später von Kossak angefertigten Panorama, eine Geschützstellung der napoleonischen Infanterie (S. 277) und ein Angriff des Mamlukenheers (S. 278) unter der Führung von Murad Bey Muhammad, lassen jedoch kaum landestypische Elemente erkennen.
„Das Ende meiner Berliner Laufbahn nahte heran“, schreib Kossak in einem der letzten Kapitel seiner „Erinnerungen“: „Auf der Höhe meines Erfolges, im Vollbesitze der kaiserlichen Gunst und der Anerkennung der kunstverständigen Kreise Berlins sollte ich diese Stadt verlassen“ (S. 283). Als Mitglied des aristokratischen, auf Pferderennen spezialisierten Union-Klubs hatte er enge Verbindungen zum deutschstämmigen Adel in Polen. Auch bei dieser Klientel, so Kossak, waren die Auswirkungen der polenfeindlichen Agitation durch die Hakatisten und der restriktiven Maßnahmen der preußischen Regierung zu spüren. Anlässlich eines Ordensfestes der Johanniter im Juni 1902 auf der Marienburg, zu dem Kossak eingeladen, aber „in Vorahnung dessen, was kommen sollte“, nicht erschienen war, machte der Kaiser in einer Rede, so Kossak, „persönlich gegen das Slawentum Front“ (S. 286).[21] Dieser Vorfall nährte seinen Entschluss, Berlin umgehend und für immer den Rücken zu kehren. Einer Einladung des Kaisers zur Besichtigung der Gardekavallerie auf dem Tempelhofer Feld, bei der Wilhelm ihm umfangreiche Aufträge für Gemälde, darunter ein Reiterporträt der Kaiserin, avisierte, leistete er ein letztes Mal Folge. „Diese Liste von großen, en masse bestellten Arbeiten“, resümiert Kossak, seien ein Versuch gewesen, den Maler in Berlin „zurückzuhalten, solange es noch Zeit war.“ (S. 293)
Wieder zuhause, erwarteten Kossak Telegramme aus Polen, die seine angebliche Teilnahme am Johanniterfest auf der Marienburg kritisierten, sowie eine Nachricht seines Bruders Stefan, der forderte, entsprechende Berichte in der polnischen Presse richtigzustellen. Kossak telegrafierte an Zeitungen in Polen, dass er nicht in Marienburg gewesen sei und erläuterte seinem Bruder, dass er sich aufgrund der unerträglichen Situation entschieden habe, Berlin zu verlassen (S. 293 f.). Ein Besuch des Kaiserpaars in seinem Atelier im Schloss Monbijou, bei dem Wilhelm für ein fertigzustellendes Reiterbildnis Porträt saß, verlief in angespannter Atmosphäre: „Während ich dankte und die Majestäten ans Parktor begleitete, gab ich mir genau Rechenschaft darüber, dass ich nie mehr in meinem Leben einen so mächtigen und wohlwollenden Mäzen meiner Kunst finden werde.“ Wilhelm, der noch keine Informationen über Kossaks endgültigen Abschied haben konnte, wünschte dem Maler eine rasche Rückkehr aus den Ferien. Am folgenden Tag war das vollständige Telegramm an Kossaks Bruder, der dieses in Lemberg an die Presse gegeben hatte, in Berliner Zeitungen nachzulesen (S. 294-296). Durch Kommandant von Plessen ließ Kossak dem Kaiser seine Dankbarkeit übermitteln und erläuterte, dass er „infolge der letzten politischen Vorgänge“ seine „moralische Ruhe verloren habe, dass mein Gewissen im Zweifel ist, ob ich als Pole hier jetzt noch weiter wirken darf“ (S. 297). Die letzte Woche in Berlin nutzte Kossak, um Malaufträge zu vollenden und persönliche Angelegenheiten zu regeln.
[21] Redetext Wilhelms II. anlässlich des Johanniterfests am 5. Juni 1902 auf der Marienburg: „Ich habe schon einmal Gelegenheit genommen, in dieser Burg und an dieser Stelle zu betonen, wie die alte Marienburg, dies einstige Bollwerk im Osten, der Ausgangspunkt der Kultur der Länder östlich der Weichsel, stets ein Wahrzeichen für deutsche Aufgaben bleiben soll. Jetzt ist es wieder so weit! Polnischer Übermut will dem Deutschtum zu nahe treten. Ich bin gezwungen, mein Volk aufzurufen zur Wahrung seiner nationalen Güter und hier in der Marienburg spreche ich die Erwartung aus, dass alle Brüder des Ordens St. Johann immer zu Diensten stehen werden, wenn ich sie rufe, deutsche Art und Sitte zu wahren.“ (Die Ostmark. Monatsblatt des Deutschen Ostmarken-Vereins, Juli/August 1902, Seite 41; zitiert nach: Tzu-hsin Tu: Die Deutsche Ostsiedlung als Ideologie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Kassel 2009, Seite 151)