Waren sie wirklich „Rebellen“? Zur Münchner Ausstellung „Stille Rebellen. Polnischer Symbolismus um 1900“
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Mit dem bevorstehenden Ende des Ersten Weltkriegs und den inneren Kämpfen um die Wiedererrichtung der polnischen Nation häuften sich offenbar die (vermeintlichen) Darstellungen der „Polonia“. Malczewski zeigte in geradezu folgerichtigem Ablauf weibliche Allegorien der „Sklaverei“, des „Krieges“ und der „Freiheit“ in einem Triptychon (1917, Abb. 37 . rechts). Auf seinem Gemälde „Pythia“ (1917, Abb. 40 . ) schlüpft die weissagende Priesterin des delphischen Orakels, so Godetzky, „gleichsam in die Rolle der Polonia“.[82] Okuń zeigt sich und seine Ehefrau auf dem Gemälde „Wir und der Krieg“ (1917–1923, Titelbild . ), das er in Italien begann und in dem längst unabhängigen Polen vollendete, beim Gang durch die letzten Jahre des Krieges, wobei sie von einer alten weißhaarigen Frau als Personifikation von Hunger, Krankheit und Tod und im Hintergrund von Schlangen und Schmetterlingen als Symbole für feindliche Bedrohung und glückselige Hoffnung begleitet werden.
„Rebellen“ wurden auch nach intensiver Durchsicht von Ausstellung und Katalog nicht gefunden und auch sonst verstellen allzu plakative Überschriften der einzelnen Kapitel im Ausstellungs-Katalog eher den Kern der Problematik. Auch der Begriff „Junges Polen“ bleibt bis zuletzt ein Rätsel, wohl in der Hoffnung, er werde sich schon bei Publikum und Leserschaft durch häufigere Verwendung zu einer Klärung zusammensetzen. Darüber hinaus bietet die Ausstellung mit zahlreichen Kunstwerken erstaunliche Erweiterungen und Ergänzungen zur Problematik des europäischen Symbolismus und stellt in Deutschland weitgehend unbekannte Künstlerpersönlichkeiten in den Mittelpunkt. Wer sich auskennt, wird bei den Exponaten zahlreiche „alte Bekannte“ wiedersehen, die in den letzten Jahren auch an anderen Orten in Europa zu sehen waren.[83] Fast alle Werke sind auch im Internet in den digitalen Sammlungen der polnischen Nationalmuseen oder auf gemeinfreien Seiten zu finden.
Axel Feuß, im Juli 2022
Ausstellungs-Katalog: Stille Rebellen. Polnischer Symbolismus um 1900, herausgegeben von Roger Diederen, Albert Godetzky und Nerina Santorius. Mit Beiträgen von Agnieszka Bagińska, Albert Godetzky, Michał Haake, Urszula Kozakowska-Zaucha, Agnieszka Rosales Rodríguez, Nerina Santorius und Agnieszka Skalska, Ausstellungs-Katalog Kunsthalle München, München: Hirmer Verlag, 2022, 300 Seiten.
Alle Links in den Anmerkungen wurden zuletzt im Juli 2022 aufgerufen.
[82] Godetzky 2022 (siehe Anmerkung 77), Seite 266
[83] So etwa auf der Ausstellung Pologne 1840–1918. Peindre l’âme d’une nation im Kunstmuseum Louvre-Lens in Lens, 25.9.2019–25.1.2020, vergleiche https://www.louvrelens.fr/exhibition/pologne/?tab=exposition#onglet, Bildauswahl auf france3 hautes-de-france, https://france3-regions.francetvinfo.fr/hauts-de-france/louvre-lens-10-tableaux-decouvrir-nouvelle-expo-pologne-peindre-ame-nation-1727395.html, pädagogisches Konzept: https://education.louvrelens.fr/wp-content/uploads/sites/3/2019/09/Dossier-pedagogique-Pologne_optimise.pdf