Stefan Szczygieł. Das fotografische und filmische Werk
Mediathek Sorted
ZEITFLUG - Hamburg
ZEITFLUG - Warschau
Selbst bei Szczygiełs anderen, präzisen, detailgenauen Stadtlandschaften liegt immer die Vermutung der digitalen Veränderung in der Luft. Dem Künstler ist bewusst, dass sich seine Rezipienten damit auseinandersetzen müssen. Das fängt bei Raummanipulationen an und hört bei Farbmanipulationen auf. Das, was in der Malerei noch künstlerische Freiheit ist, wird bei der Fotografie schnell zur verführerischen Machenschaft, denn die technischen Möglichkeiten, die später nicht mehr sichtbaren Veränderungen, werden immer perfektionierter. Das macht sich der Künstler zunutze, denn gerade durch die Präzision, durch die fokussierte Schärfe bis in die Details und den Hintergrund hinein wirken die Fotos „ehrlich“ und „wahrhaftig“. Es wird schließlich alles haargenau gezeigt.
Szczygieł setzt sich damit von der verbreiteten naiven Vorstellung ab, der zufolge Landschaft schlichtweg ein Stück Natur sei. „Einfache“ Natur war jedoch, so scheint er sagen zu wollen, noch nie „Landschaft“ – auch nicht in der Kunstgeschichte. Motivauswahl, Komposition und Arrangement von Naturelementen machten Landschaftsgemälde und später die -fotografie vielmehr immer schon zu Collagen, nur dass keine geklebten Versatzstücke oder Schnitte sichtbar bleiben. Heute lässt die digitale Bildbearbeitung Elemente gar regelrecht miteinander verschmelzen, und es entstehen sogar Abbildungen von mutmaßlichen Orten der Welt, die ohne jede Vorlage vollständig oder größtenteils rein am Computer errechnet worden sind. Dies sind dann nichts anderes als Puzzle-artig inszenierte Bilder und Bildfolgen vermeintlicher „Landschaften“. Umgekehrt vermitteln unbearbeitete Abbildungen realer Orte – wie Szczygieł am Beispiel der „Straßenbahnhaltestelle“ zeigt – immer häufiger den Eindruck als blicke man in eine Computersimulation.
Dass die Welt zum Resultat medialer Wahrnehmung wird, ist allerdings auch nichts Neues[14], bedenkt man, dass im 18. Jahrhundert Großgrundbesitzer – vornehmlich in England, West- und Zentraleuropa – umfangreiche, großflächige Ländereien in Parks und Gärten umwandelten, die eingespielten Mustern der Landschaftsmalerei nachempfunden waren. So sorgten einst von Besitzern künstlich angelegte Parkanlagen mit aufgeschütteten Wällen und Hügeln für eine Gleichschaltung von Horizontlinie und Eigentumsgrenze. Landschaft wurde also schon damals simuliert und manipuliert. Der Großgrundbesitzer machte sich selbst in Personalunion zum Schöpfer und Eigentümer von Landschaft. Jean-Jacques Rousseaus Aufforderung „Zurück zur Natur“ war so gesehen nicht nur eine Zivilisations- und in gewissem Sinne auch Kultivierungskritik bzw. eine Gegenbewegung zur aufkommenden Industrialisierung, sondern auch eine, die „Zurück zu Bildern“ führte, die man kannte. Das war nicht weniger „künstlich“. Im Zuge der Industrialisierung begann die Ausbeutung der Landschaft in bekanntem Maße, und landschaftliches Aussehen veränderte sich grundlegend: Brücken, Staudämme, Fabriken entstanden, und der Tagebau wälzte ganze Landstriche um. Die Landschaft ist darüber hinaus längst umgedeutet und – wie bei Szczygieł – zur „Stadtschaft“ geworden, sodass sich die für die Landschaft beschriebenen Prozesse ebenso auf die Städte und heutigen Mega-Cities übertragen lassen, wenngleich die städtischen Entwicklungen mit unterschiedlichen Wirkungen und Definitionen verbunden sind. Genau mit diesen Phänomenen und Fragestellungen von Hierarchie und Eigentum, Definitionshoheiten und Zugehörigkeit, Identität und Manipulation spielt Stefan Szczygieł in seinem Werk, selbst dort, wo es von ihm keine digitale Beeinflussung gibt.
[14] Vgl. FRIEDE, Claus: „My Landscape Is Your Landscape – Internationale Videokunst zum Thema 'Landschaft'“, Beitrag im Feuilleton KulturPort.De – Follow Arts, 15. Januar 2014 [http://www.kultur-port.de].