Stefan Szczygieł. Das fotografische und filmische Werk
Mediathek Sorted
ZEITFLUG - Hamburg
ZEITFLUG - Warschau
Besonders erwähnenswert ist die Ästhetisierung der Objekte, die im normalen Alltag durch den konstanten und wenig hinterfragten und sorgfältigen Gebrauch ihre ursprüngliche Seele ein wenig verloren zu haben scheinen. Stefan Szczygieł sorgt dafür, dass die zumeist in Massenproduktion hergestellten Objekte – selten sind es Unikate – im wahrsten Sinne des Wortes in ein neues Licht gerückt und quasi als individuelle Besonderheiten aus der Welt herausgehoben werden. So dienen die ausgewählten Objekte keinerlei Archivierung oder Inventarisierung, sondern sind allein auf den Fokus des Wahrnehmens gerichtet: auf die Reflexion von Einzelstücken aus unserem täglichen Leben, auf die Rückbesinnung auf einen ursprünglichen oder bewussten Gebrauch derselben sowie auf eine indifferente und nicht weiter präzisierte geschichtliche Erzählung. Er löst die teilweise bereits im Alltag (fast) verschwundenen Einzelstücke aus ihrem Kontext, ohne sie dabei ihres Ursprungs zu berauben. Wir sehen die Dinge dadurch neu, überdenken Bedeutungshoheiten und definieren diese sogar anders. In der Anschauung der Fotowerke entführt uns jedes einzelne Objekt in einen chromatischen Reichtum jenseits jedweder Dokumentation. Wir schätzen die Dinge mehr für deren Aussehen als für ihre Funktion und erleben sie durch die Vergrößerung im Detail vollkommen neu. Der Kunstkritiker Marek Bartelik beschreibt diesen Umstand in seinem Aufsatz über Szczygieł in der englischsprachigen Kunstzeitschrift „Artforum International Magazine New York“ im Jahr 2007 mit lyrischen Worten: „Er wagt sich in die Unterwelt dieser alten, fast aus unserer Wahrnehmung verschwundenen Gegenstände und enthüllt deren letzten Schimmer von Schönheit”[6].
Gerade die Gebrauchsspuren sind es, die diese Schönheit definieren und die die einzelnen Objekte wie Fundstücke (objets trouvés) daherkommen lassen, bis hin zur Erkenntnis ihrer Dysfunktion. Marcel Duchamps (1887-1968) Idee der Readymades[7] wird zitiert und in Beziehung gesetzt. Bis heute trauen sowohl viele aus der Kunstwelt als auch viele der Rezipienten bereits existierenden Gegenständen, die zur Kunst erklärt werden, nicht über den Weg. Stefan Szczygieł hingegen erreicht über den „Filter“ der Fotografie genau das: die Dinge mittelbar zu Kunst zu erklären. Das ist ein Erbe, das er sich aus dem Studium erhalten und von Nam June Paik übernommen hat.
Für den Künstler sind die Blow Ups wie individuelle Portraits – nur nicht von Menschen oder Persönlichkeiten, sondern von Objekten, die dem Menschen einst dienten oder bis heute dienen und ihre eigene Geschichte haben.
[6] BARTELIK, Marek: „Stefan Szczygieł: Center for Contemporary Art - Ujazdowski Castle”, in Artforum International, 1. November 2007. Im Original heißt es: “He ventures into the underworld of these old, disappearing items, revealing their lasting beauty” (die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche stammt von Claus Friede).
[7] Vgl. Marcel Duchamp and the Readymade, Museum of Modern Art, New York [https://www.moma.org/learn/moma_learning/themes/dada/marcel-duchamp-and…].