Polinnen und Polen in Deutschland. Wege in die Sichtbarkeit
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Interview mit Leszek Zadlo
ZEITFLUG - Hamburg
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Integration oder Separation?
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich die kulturellen Verhaltensmuster polnischer Zuwanderer in Deutschland fort. Das war schon bei vielen Aussiedlern der Fall: Wer von ihnen mehr Pole als Deutscher war, versuchte nach der Übersiedlung möglichst rasch, einen Weg in die deutsche Wohlstandsgesellschaft zu finden und als Pole, als Polin weitgehend unsichtbar zu werden. Für große Teile der deutschen Nachkriegsgesellschaft galt Polen als wenig attraktives Land, seine Kultur als „minderwertig“. Diese Überzeugungen von einem Kulturgefälle waren auch für die Zuwanderer aus Polen prägend. Nur wenige hielten offensiv an ihrer Herkunftskultur fest, engagierten sich in polnischen Verbänden oder Vereinen. Für das Gros standen Integration, Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und die Zukunft der Kinder an erster Stelle.
Dies war auch der Grund, warum die eingewanderten Polen öffentlich kaum als geschlossene Gruppe erkennbar waren, zumal sie sich äußerlich nicht wesentlich vom „Durchschnittsdeutschen“ unterscheiden. Auch die Religionsausübung der Polen passt in die konfessionelle Landschaft Deutschlands. Verschiedene Indikatoren belegen ihre vergleichsweise gute Integration in Deutschland. Sie zeichnen sich im Vergleich zu Migranten aus anderen Staaten durch eine geringe Armutsgefährdungsquote und ein höheres Durchschnittseinkommen aus, durch gute Bildungsabschlüsse und eine relativ hohe Erwerbstätigenquote.
Zwar wurden einige polnische Organisationen schon gleich nach 1945 neu gegründet, doch bis heute halten sich polnische Migranten mit Vereinsgründungen stark zurück. Auch die verschiedenen Dachverbände haben nur eine sehr geringe Bedeutung, am ehesten funktioniert noch das Netz der polnischen katholischen Missionen. In einigen Städten existieren meist kleine polnische Vereine, die sich um Sprachunterricht für polnische Kinder kümmern oder sich auch für kulturelle Belange einsetzen. Meistens wirken sie innerhalb der polnischen Community, manchmal gelingt es ihnen aber auch, eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, am ehesten im Ruhrgebiet und in Berlin. Überhaupt unterscheidet sich Berlin stark vom Rest der Republik: Hier, nur 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, sammeln sich seit den 1980er Jahren nicht nur Erwerbsmigranten, sondern auch tausende von Polinnen und Polen, die kulturell aktiv sind oder einfach nur alternative Lebensstile genießen wollen. Damit ist die Stadt heute zu einem wichtigen Zentrum der polnischen Kultur geworden, oder besser gesagt: zu einem Zentrum für die kulturelle Betätigung von Menschen aus Polen. Denn immer häufiger wollen sich die aus Polen ausgewanderten oder mit einem Bein hier und mit dem anderen dort lebenden Kulturschaffenden und Intellektuellen nicht mehr einer Nation verschreiben, sondern verstehen sich als Teil transnationaler Gemeinschaften, als Weltbürger oder Europäer.
Diesem Trend stellen sich wiederum Vereine entgegen, die versuchen, auch in Deutschland am konservativen Wesen Polens die Welt genesen zu lassen. In mehreren Großstädten haben sich „Klubs der Gazeta Polska“ gegründet, die ein katholisch-nationalkonservatives Weltbild pflegen. Schließlich gibt es eine Reihe von weltanschaulich neutralen Vereinen, etwa eine wachsende Zahl polnischer Sportvereine wie die Fußballklubs FC Polonia Berlin, FC Polonia Wuppertal, SV Polonia Monachium oder KS Polonia Braunschweig.
Für fast jede größere deutsche Stadt und viele Regionen gibt es heute polnische Facebook-Gruppen, in denen sich mal einige hundert, mal mehrere zehntausend Menschen über die wichtigen Dinge des Alltags informieren. Die polnische Community kann sich dabei auf eine mittlerweile gut etablierte ethnische Ökonomie stützen, die polnischsprachige Dienstleistungen von Ärzten bis Rechtsanwälten, von Nagelstudios bis Hochzeitskapellen umfasst. Und je umfangreicher diese Infrastruktur wird, desto sichtbarer wird sie auch. Die Zeiten, in denen Polinnen und Polen sich partout vor der Mehrheitsgesellschaft verstecken wollten, gehören größtenteils der Vergangenheit an.
Dazu trägt auch die langsam wachsende Zahl von Menschen des öffentlichen Lebens mit erkennbar polnischem Hintergrund bei. Und es sind beileibe nicht mehr nur ein paar Fußballer wie Miroslav Klose und Lukas Podolski oder einige Persönlichkeiten der Kulturwelt, deren „fremder“ Zungenschlag à la Marcel Reich-Ranicki die Deutschen jahrzehntelang daran erinnerte, wie eng Deutschland mit dem östlichen Europa verknüpft war.
Heute ist es ein wenig anders: Der Generalsekretär der CDU, Paul Ziemiak, ist als Kind nach Deutschland gekommen, ebenso wie die Schauspielerin Patrycia Ziółkowska, die in ihrem Namen all die polnischen Sonderzeichen verwendet, auf die frühere Migrantengenerationen gerne verzichteten, die Tennisspielerin Angelique Kerber bekennt sich zu ihrer polnischen Herkunft ebenso wie der Sänger Mark Forster, in der Pfalz geborener Sohn einer polnischen Mutter, der 2017 das deutsche Fernsehpublikum mit einem polnisch gesungenen Weihnachtslied überraschte. Margarete Stokowski prägt die feministische Debatte im Lande, Henryk M. Broder wirbelt mit seinen widerspenstigen Kommentaren immer noch journalistischen Staub auf und die „Zeit“-Journalistin Alice Bota trägt maßgeblich zur Präsenz von Polnischem in Deutschland bei. An deutschen Hochschulen und in den Symphonieorchestern, in großen IT-Firmen wie in der Medienbranche – überall finden sich heute Menschen, die sich biographisch mit Polen verbunden fühlen.