Hermann Scheipers
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Gespräch mit Jacek Barski
Insgesamt waren im KZ Dachau 2720 Geistliche inhaftiert. 1034 von ihnen sind umgekommen. Besonders schwer war die Lage der polnischen Priester, die vor allem, wie sich Scheipers erinnert, von den kommunistisch orientierten „Funktionshäftlingen“ Grausamkeiten erfahren haben. Als sie isoliert wurden und ihnen verboten wurde, die täglichen Gottesdienste zu feiern, schmuggelte Scheipers couragiert Wein und Hostien für sie.
Später wird Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff Hermann Scheipers bei den Dreharbeiten zu seinem Film „Der neunte Tag“ (2004) konsultieren, in dem nach dem autobiographischen Roman von Jean Bernard „Pfarrerblock 25487“ das Schicksal der Geistlichen in Dachau dargestellt wurde.
Hermann Scheipers wird am 13. August 1942 von seiner Zwillingsschwester vor der Gaskammer gerettet. Nachdem sie ihren Bruder heimlich in Dachau getroffen hatte, suchte sie anschließend den für die dort inhaftierten Priester zuständigen Beamten des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin privat auf. Nach einem dramatischen Gespräch erhält sie das Versprechen des Beamten, dass ihr Bruder nicht vergast wird. Diese Zusage erstreckt sich auch auf alle anderen Priester. Tatsächlich kommt es seitdem in Dachau zu keinen Vergasungen von Geistlichen mehr. Anna Scheipers hat damit nicht nur ihrem Bruder, sondern mehr als 500 Priestern das Leben gerettet.
Immer wieder wird Scheipers in Dachau Zeuge von Grausamkeiten wie von den tödlichen Menschenversuchen. Die im kalten Wasser eingetauchten Häftlinge sollten die Unterkühlungsgrenze bestimmen lassen, die für die Entwicklung eines Spezialanzugs für das Militär behilflich sein sollte. Scheipers: „Alle starben bei 27 Grad Körpertemperatur. Nur ein Russe hat bis 17 Grad ausgehalten“. Der Glaube und die durch ihn bestärkte innere Überzeugung lassen Scheipers jedoch nicht abstumpfen. Ganz im Gegenteil. Er ist stets voller Hoffnung und hilft seinen Mithäftlingen und insbesondere den polnischen Priestern, wie er kann. Und er beginnt, sich für Russisch zu interessieren.
Im Vorfeld der anrückenden Alliierten wird das KZ Dachau im April 1945 evakuiert. Für die Häftlinge beginnen die Todesmärsche. Am 27. April 1945 flieht Scheipers von dem Todesmarsch und hält sich versteckt bei einer Pfarrei in Starnberg. Nach Kriegsende bekommt er bereits am 16. Mai 1945 von den amerikanischen Besatzungsbehörden in der Stadt Starnberg einen Personalausweis ausgestellt. Diesen Ausweis betrachtet er bis heute als „Reliquie“.
Nach der Rückkehr und etwa einjährigem Aufenthalt in Ochtrup übernimmt er 1946 für das Bistum Meißen eine Kaplan-Stelle in Radebeul, später in Pirna, Wilsdruff und als Pfarrer in Schirgiswalde. Scheipers gerät in die zweite deutsche Diktatur der Deutschen Demokratischen Republik. Trotz Schikanen beharrt er auf seinen Posten und lässt sogar 1956 den ersten Kirchen-Neubau in der DDR entstehen, die Pfarrkirche in Wilsdruff.
1974 stirbt in der Tschechoslowakei Stephan Kardinal Trochta, mit dem Scheipers in der gemeinsamen Haft in Dachau befreundet war. Trochta, ebenfalls durch die zwei Diktaturen drangsaliert (darunter eine siebenjährige Haft in der Tschechoslowakei), wurde 1948 Bischof von Litoměříce / Leitmeritz. Seine Beerdigung wurde zum Politikum und demonstrativen Treffpunkt der Kardinäle und Bischöfe aus Osteuropa mit über 3000 Besuchern. Der Staatssicherheitsdienst hat es verboten, Grabreden abzuhalten. Scheipers hält sich nicht daran und sagt spontan auf Deutsch: „Lieber Mitbruder und Lebensgenosse im KZ-Dachau! Von Jugend an hast du deinem Herrn Jesus Christus gedient und bist ihm mutig und treu auf seinem Kreuzesweg gefolgt. Unermüdlich hast du gekämpft für die Freiheit des Glaubens und der Kirche, ohne die Drohungen der Feinde zu fürchten, und hast dafür Gefängnishaft und schwere Drangsale ertragen. Der Herr schenke dir nun seinen Frieden und die Krone des ewigen Lebens“.[2] Zusätzlich organisiert Scheipers einen Kranz im Namen der Dachau-Häftlinge. Auf der Schleife steht in Deutsch und Tschechisch: „Unserer Herr Jesus Christus schenke dir die Siegeskrone - Die deutschen Priester, die mit dir im Konzentrationslager Dachau gelitten haben“. Der Kranz befindet sich ganz vorne am Sarg und ist nicht zu übersehen. An der Beerdigungszeremonie nimmt schweigend der Erzbischof von Krakau, Kardinal Karol Wojtyla teil, der vier Jahre später zum Papst Johannes Paul II. wird, womit das Ende des kommunistischen Systems im Osten Europas entscheidend eingeleitet wurde.
Erst im August 1983 kommt Hermann Scheipers nach seiner Pensionierung in die Bundesrepublik Deutschland und 1990 nach Ochtrup zurück. Dort erhalten er und seine Zwillingschwester Anna am 25. November 2002 den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (Verdienstkreuz am Bande). Am 26. Februar 2013 erhält Hermann Scheipers das Kavalierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen. Hermann Scheipers ist Ehrenbürger der Städte Ochtrup, Wilsdruff und Williamsport (USA).
Hermann Scheipers ist am 2. Juni 2016 in Ochtrup gestorben.
Nachdem die CDU-Ratsfraktion mit einem Initiativantrag dafür gesorgte hatte, dass Hermann Scheipers in Ochtrup zum Ehrenbürger ernannt wurde, beantragte sie im August 2016 nach dessen Tod als weiteren Beitrag zur Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, einen "Stolperstein" für Hermann Scheipers zu verlegen – ein inzwischen internationales Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig, das die Erinnerung an alle Verfolgten im Nationalsozialismus lebendig hält. Am 3. Februar 2018 wurde von dem eigens dazu aus Köln angereisten Künstler der Stolperstein mit den Lebensdaten von Hermann Scheipers auf eine quadratischen Messingtafel vor der früheren elterlichen Wohnung in das Pflaster des Bürgersteiges eingesetzt. Eine Gedenktafel erinnert zudem auf Augenhöhe an die besondere Zivilcourage der Zwillinge Anne und Hermann Scheipers.
Jacek Barski, Juni 2015
[2] Ebd. S. 156