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„Der Sturm“ und seine polnischen Künstler 1910–1930

Titelseite von „Der Sturm“, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

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Titelseite von „Der Sturm“, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)
Titelseite von „Der Sturm“, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

Mieczysław Szczuka (1898-1927), geboren in Warschau, stammte aus einer Familie des polnischen Landadels, der Vater arbeitete als Kupferstecher und Kartograph. Nach dem Abitur studierte er von 1915 bis 1918 Malerei bei Miłosz Kotarbiński (1854-1944) an der Warschauer Schule der Schönen Künste/Szkoła Sztuk Pięknych w Warszawie, wo er vermutlich Zarnower kennen lernte. Früh interessierte er sich für theoretische und praktische Analysen von Form, Farbe, Textur und Licht und schuf räumliche Kompositionen. Er engagierte sich im studentischen Leben der Kunstschule und stand kommunistischen Ideen nahe. 1919 wurde bei ihm Tuberkulose diagnostiziert. In seiner Malerei arbeitete er figürlich zu biblischen Themen, beeinflusst vom Futurismus und von primitivistischen Tendenzen. Sein 1920 entstandenes Selbstporträt orientiert sich am Kubismus.[86] Im selben Jahr zeigte er im Polnischen Künstlerclub/Polski Klub Artystyczny im Hotel Polonia in Warschau seine erste Einzelausstellung mit Gemälden und Grafik, die verhalten aufgenommen wurde. Im Dezember 1921 stellte er zusammen mit Stażewski und Miller im Künstlerclub aus und präsentierte neben kubistischen und religiösen Werken mobile Raumkonstruktionen („Forme mobile“), die an Tatlin geschult waren, sowie suprematistische Kompositionen. 

Gleichzeitig entstanden abstrakte Plastiken aus Alltagsmaterialien wie Zement, Gips, Blech, Eisen, Holz und Glas, die sich ebenfalls an Arbeiten von Tatlin orientierten. Seine Ausstellung im Sturm im Juni 1923 zusammen mit Zarnower, Bernáth und Schreyer (PDF 22) repräsentierte diese Phase, während der er auch mit Bühnenbildern, Architekturentwürfen, Grabmalprojekten (unter anderem für Karl Liebknecht und Fjodor Dostojewski) und abstrakten Filmkonzepten experimentierte. Nach der Teilnahme an der ersten Konstruktivisten-Ausstellung in Vilnius 1923 reiste er zu einem von mehreren Kuraufenthalten nach Zakopane und begeisterte sich seitdem für das Bergsteigen in der Hohen Tatra. Seit der Jahreswende 1923/24 beschäftigte er sich mit der grafischen Gestaltung von Zeitschriften und Büchern, konzipierte konstruktivistische Layouts für die kommunistische Wochenzeitung Nowa Kultura und das avantgardistische Literaturmagazin F 24 – Almanach Nowej Sztuki und gestaltete Buchcover für Bruno Jasieński, Anatol Stern und andere. Dabei verband er, so Walden später, „die Arbeit an der Erneuerung der Kunst mit der Arbeit an der Grundlegung einer neuen proletarischen Kultur“ (PDF 25).

Nach Gründung der Gruppe Blok publizierte er ab 1924 in der von ihm mit redigierten und gestalteten Zeitschrift regelmäßig Entwürfe und kunsttheoretische Beiträge. Herausragend sind seine Fotomontagen, in denen er Motive des Arbeitsalltags, der Arbeiterkultur und des technischen Fortschritts zu dynamisch-konstruktivistischen Flächengestaltungen kombinierte (Abb. 21, 24, 25). Die Gesellschaftsreformen des ersten Präsidenten der türkischen Republik, Mustafa Kemal Pascha (ab 1934 Atatürk, 1881-1938), inspirierten ihn zu einer Collage aus Symbolen der antiken Kultur und technischer Errungenschaften in der Art von Raoul Hausmann, jedoch ohne dessen dadaistisch-absurden Unterton, sondern in bewusst klarer und offener Gestaltung und mit Partei ergreifender, politischer Diktion (Abb. 23). Er und Zarnower gelten als die einzigen Gestalter von Fotomontagen in der bildenden Kunst dieser Zeit in Polen. Daneben zeigte er einen typografischen Entwurf für ein Schriftlayout (Abb. 22) und einen Innenraumentwurf in der Art des Stijl (Abb. 25). 

Ab 1925 gab er die Malerei auf und widmete sich sozial determinierten Achitekturkonzepten. Seine Entwürfe (PDF 24) basierten auf denen des Stijl, favorisierten jedoch blockartige Strukturen, die das kontinuierliche Hinzufügen neuer Elemente ermöglichten. Zusammen mit Zarnower und professionellen Architekten entwarf er monumentale Stadt- und Siedlungsprojekte sowie genossenschaftliche Wohnbauten mit Gartenterrassen unter maximaler Berücksichtigung von Licht und Luft. 1926 organisierte er in Warschau zusammen mit anderen die 1. Internationale Ausstellung für moderne Architektur/I Międzynarodowa Wystawa Architektury Nowoczesnej, auf der er die zusammen mit Zarnower entworfenen Gartenstadtprojekte zeigte. In der Zeitschrift Dźwignia/Die treibende Kraft, die er seit 1927 herausgab, versammelte er Literaten und Künstler zur gemeinsamen Arbeit an einer proletarisch-kommunistischen Kultur. Er selbst setzte sich in Artikeln mit der sozialen Stellung des Künstlers und dem Verhältnis der Kunst zur Arbeiterklasse auseinander. Zuletzt kritisierte er den ästhetischen Ansatz des Suprematismus insbesondere von Malewitsch und trat für eine am gesellschaftlichen Nutzen und am technischen Fortschritt orientierte Kunst ein. Er organisierte eine (vom polnischen Staat nicht legalisierte) Gesellschaft für Arbeiterkultur und engagierte sich für den Arbeitersport. Während seiner zahlreichen Aufenthalte in Zakopane unternahm er Klettertouren mit professionellen Bergsteigern und Touristen. Bei seiner dreizehnten Besteigung der Südwand des Ödkarturms/Zamarła Turnia in der Hohen Tatra im August 1927 stürzte er in den Tod.[87]

Walden veröffentlichte im April 1928 in der Sturm-Zeitschrift einen ausführlichen Nachruf auf ihn, der dokumentierte, dass Walden nicht nur über die künstlerische Arbeit von Szczuka und Zarnower, sondern auch über die Gruppe Blok und ihre Zeitschrift außerordentlich gut informiert war. Zusätzlich publizierte er von Szczuka Architekturprojekte, Fotomontagen und den bereits erwähnten Innenraum-Entwurf, die in der Zeitschrift Blok erschienen waren. Szczukas architektonische Arbeiten seien, so Walden, „von ungeheurem Einfluss auf die ganze junge Generation der polnischen Architekten“ gewesen (PDF 25).

[86] Mieczysław Szczuka: Autoportret z paletą/Selbstporträt mit Palette, 1920, Öl auf Leinwand, 134,4 x 92 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, Inv. Nr. MPW 1166 MNW; dort auch ein Gemälde „Madonna“, Öl auf Pappe, 31,6 x 25 cm; beide Werke auf MN digitalhttp://cyfrowe.mnw.art.pl/dmuseion/results?action=AdvancedSearchAction&type=-3&search_attid1=103&search_value1=Szczuka%2C+Mieczys%C5%82aw+%281898-1927%29&skipSearch=false

[87] Zur Biografie vergleiche unter anderem Joanna Daranowska-Łukaszewska: Mieczysław Szczuka, in: Polski Słownik Biograficzny, Band XLVII, 2010/11, online auf Internetowy polski słownik biograficznyhttps://www.ipsb.nina.gov.pl/a/biografia/mieczyslaw-szczuka, dort weitere Literatur; Irena Kossowska: Mieczysław Szczuka, auf culture.pl (2002, polnisch), https://culture.pl/pl/tworca/mieczyslaw-szczuka, sowie (2002/2015, englisch) https://culture.pl/en/artist/mieczyslaw-szczuka