Karol Broniatowski. Gegenwart und Abwesenheit der Skulptur
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Karol Broniatowskis Mahnmal für die deportierten Juden Berlins
Seit 1983 lebt Broniatowski in Berlin. Bereits seit 1981 hatte er sich in Deutschland an Gestaltungswettbewerben für den öffentlichen Raum beteiligt: in Berlin für das Europacenter am Breitscheidplatz, 1984 für die geplante Gedenkstätte auf dem Gelände des Prinz-Albrecht-Palais sowie für die Platzgestaltung an der Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße, 1983 in Frankfurt am Main für eine Skulptur auf dem neu zu bebauenden Römerberg (Abb. 11-14). Eine tiefgreifende Modellierung des Terrains durch verschiedene Ebenen und Treppenanlagen (Abb. 11, 12a), aber auch die Gliederung großer Flächen durch Säulen oder Stelen (Abb. 12b, 13) sind zu beobachten. Die Treppenanlage der Gedenkstätte Prinz-Albrecht-Palais[10] sollte auf einer Fläche von 40 x 40 Metern die Form einer auf die Spitze gestellten Pyramide erhalten (Abb. 12a). Sie hätte in gewisser Weise die Treppenanlagen des Nazi-Architekten Albert Speer (1905-1981) auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ironisiert: Während jene auf die Kanzel hinaufführten, von der Hitler seine Reden hielt, wollte Broniatowski die Besucher mit seiner Treppenanlage zwölf Meter in die Tiefe leiten, wo man mittels eines Durchgangs von 150 Zentimetern Höhe das Ruinengelände hätte unterqueren können. Für den Frankfurter Römerberg projektierte der Künstler eine monumentale Sphinx nach griechischem Vorbild (Abb. 14).
Ebenfalls als Ergebnis eines Wettbewerbs erhielt er 1984 den Auftrag für die Gestaltung eines Springbrunnens auf dem neu zu gestaltenden Franz-Neumann-Platz zwischen der Mark- und der Residenzstraße in Berlin-Reinickendorf.[11] Korrespondierend zur Form des Platzes entwickelte er eine dreieckige Brunnenanlage mit drei Ebenen, auf denen er jeweils eine überlebensgroße sitzende, eine kniende und eine liegende weibliche Aktfigur aus Bronze platzierte (Abb. 15a-c). Gegossen wurden die Figuren in der Berliner Bildgießerei Hermann Noack, in der schon Ernst Barlach, Henry Moore und später Georg Baselitz ihre Plastiken produzieren ließen und mit der Broniatowski bis heute zusammenarbeitet.[12] Michael S. Cullen sah dort die Figuren gleich nach ihrer Fertigstellung und entdeckte „nichts Heiteres, eher etwas Nachdenkliches“ in den Gesichtern und vermutlich auch in der Körperhaltung.[13] Ihre Oberfläche zeigt absichtlich nicht geglättete Strukturen des Tonmodells, Folgen des Aufbaus der Figuren aus einzelnen Tonklumpen, wie sie noch prägnanter bei Broniatowskis Arbeiten an der Warschauer Akademie[14] oder beim Selbstporträt von 1981 (Abb. 10a, b) sichtbar sind. 1989 schuf er für das Albert-Einstein-Gymnasium in Berlin-Neukölln eine Säulenreihe zur Akzentuierung der Gebäudeform (Abb. 16).[15]
1991 wurde dem Künstler die Gestaltung eines Mahnmals übertragen „zum Gedenken an die mehr als 50.000 Juden Berlins, die zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 vorwiegend vom Güterbahnhof Grunewald aus durch den nationalsozialistischen Staat in seine Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden“.[16] Auftraggeber waren der Berliner Senat und der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Der erste Deportationszug mit 1.251 Juden hatte den Bahnhof Grunewald am 18. Oktober 1941 verlassen. Von Gleis 17, aber auch vom Güterbahnhof Moabit und vom Anhalter Bahnhof, gingen bis Kriegsende 185 Transporte mit jeweils mehr als eintausend Menschen zunächst in die Ghettos von Litzmannstadt (Łódź), Minsk, Riga und Warschau, ab Ende 1942 in das Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt und in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Vom Bahnhof Grunewald fuhren etwa 35 Züge mit 17.000 Juden nach Auschwitz.[17]
Broniatowski gestaltete das „Mahnmal für die deportierten Juden Berlins“ (Abb. 17a-c) als über zwanzig Meter lange Betonwand neben dem heutigen S-Bahnhof Berlin-Grunewald an der Auffahrt zum dortigen Güterbahnhof. Sie stützt und modelliert den dahinter liegenden Hang, auf dem sich Gleis 17 befindet. Bildliche Gestaltungselemente in der Wand sind Aussparungen bzw. Negativformen menschlicher Silhouetten, die als Zug der Deportierten interpretiert werden können, die aber vor allem aus der Nähe ertastbare und greifbare Symbole der ewigen Abwesenheit der deportierten Juden sind – „in massiver Materie hinterlassene hohle Spuren menschlicher Präsenz“, wie Lech Karwowski schrieb,[18] die Besucher heute durch das Aufstellen von Kerzen in der Dunkelheit zu Lichtgestalten werden lassen. Der Betonwand verlieh der Künstler durch Bearbeitung mit Steinsägen eine bewegte skulpturale Oberfläche.
[10] Auf dem Gelände des Prinz-Albrecht-Palais und der benachbarten Kunstgewerbeschule befindet sich seit 1987 die 1992 eröffnete Gedenkstätte Topographie des Terrors und seit 2010 das gleichnamige Dokumentationszentrum zur Geschichte des Reichssicherheitshauptamts und der Gestapo.
[13] Michael S. Cullen in: Ausstellungs-Katalog Karol Broniatowski 1984, Seite 10
[14] Abbildungen im Ausstellungs-Katalog Karol Broniatowski 1984, Seite 6 f.
[16] Text der Bronzetafel beim Mahnmal von Karol Broniatowski am Bahnhof Berlin-Grunewald. Der Text fährt fort: „Zur Mahnung an uns, jeder Missachtung des Lebens und der Würde des Menschen mutig und ohne Zögern entgegenzutreten.“ http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/ges…
[17] Andreas Engwert, Susanne Kill: Sonderzüge in den Tod. Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn. Eine Dokumentation der Deutschen Bahn AG, Köln, Weimar, Wien 2009, Seite 129; Kiran Klaus Patel: Der Bahnhof Grunewald. Die Deportation der Juden aus Berlin (1941-1945), Deutsches Historisches Museum, Berlin: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/holocaust/univeranstaltung/pg/or…
[18] Lech Karwowski: Der Terminus „Dialektik“ …, in: Ausstellungs-Katalog Karol Broniatowski 1999, Seite 20